Die Aufregung ist gross.
Immer.
Und es gibt auch immer irgendetwas, worüber man sich aufregen kann.
Einen Terroranschlag, oder halt über einen „bedauerlichen Einzelfall“, über ein Satiremagazin oder über sexuelle Übergriffe.
Alles unbestreitbar wichtige Themen.
Wobei die Unterschiedlichkeit der Aufregung gerade bei #metoo sehr anschaulich vor Augen geführt wird.
Wenn, wie in der berühmt berüchtigten Silvesternacht in Köln, Frauen von „Ausländern“-Übergriffen ausgesetzt wird, sind sich dann fast alle (auch ich) einig, dass dies zu verhindern und zu verurteilen ist.
Wenn dann allerdings Frauen, die von Männern in Machtpositionen sexuell belästigt werden und Übergriffen ausgesetzt sind, ist das tolerierbar, weil es immer schon so war, und die Frauen sollten sich gefälligst geehrt fühlen.
Frei nach dem Motto: Eine Erektion ist das ehrlichste aller Komplimente.
Aber hier und jetzt, soll nicht #metoo das Thema sein.
Ein beliebter Aufreger ist auch die Mindestsicherung. Das geht immer. Vor allem bei jenen, die leistungslose öffentliche Bezüge bekommen. Diese bösen Ausländer aber auch!
Gibt’s dann einmal nicht etwas wirklich vorgeblich Ernsthaftes zum Aufregen, sucht man sich was. Z.B. Türkische Musik aus dem Lautsprecher bei einer U-Bahnstation. Oder den Regenschirm von VdB. Wirklich!
Wir wissen also jetzt, was sich als Thema für einen „Aufreger“ eignet. Fast alles, solang es nur irgendwie dazu geeignet ist, boulevardgerecht „Ausländer“ ins Spiel zu bringen und zu diskreditieren.
Krone & Co hupfen vor und (fast) alle anderen, inklusive der heimatverbundenen und leistungsverteidigenden Politik, springen nach.
Interessant ist aber, worüber man sich nicht aufregt.
Interessant vor allem deshalb, weil das eigentlich jenes Thema ist, dass bis auf die 5 % Reichen oder Superreichen alle anderen ganz wesentlich mehr (und zwar direkter) betrifft, als das „Ausländerthema“. Aber natürlich ein Thema, dass vom „Boulevard“ keines Wortes gewürdigt wird.
Verteilungsgerechtigkeit und die Macht des Geldes.
Am Montag, 30.10., fanden sich im DerStandard gleich vier Artikel, die zwar jeder für sich vielleicht nicht wirklich als „Aufreger“ taugen, miteinander verknüpft aber doch ziemlich heftiger Stoff sind.
Da war erstens der Artikel „Warum das Eigenheim für viele ausser Reichweite ist“
Vielleicht ist ja einigen noch die Aussage des Schon-Fast-Kanzlers Kurz in Erinnerung:
Zudem will Kurz, dass mehr Menschen ihre Wohnung besitzen: „Wir müssen es auch in Wien schaffen, dass sich mehr Menschen Eigentum leisten können.“ Der Kauf des ersten Eigenheims soll dafür steuerfrei sein. Eigentum sei die beste Vorsorge gegen Altersarmut.
Der Artikel nun nimmt Bezug auf eine Studie der ÖNB über das Sparverhalten der privaten Haushalte in Österreich.
Und dabei kommt heraus:
Wer 500 Euro im Monat spart, was im Schnitt erst ab dem obersten Fünftel der Haushaltseinkommen passiert, kommt bei Verzinsung von einem Prozent in 30 Jahren auf 210.000 Euro – da beginnen etwa die Preise für bezugsfertige Zwei-Zimmer-Wohnungen im für Wiener Verhältnisse nicht rasend teuren Bezirk Ottakring. Bei drei Prozent Zinsen schauen 290.000 Euro heraus. Nimmt man den Median-Sparbetrag der Haushalte – die eine Hälfte der Beträge liegt darüber, die andere darunter – als Maßstab, ist noch viel mehr Geduld gefragt. 200 Euro im Monat summieren sich bei Zinsen von einem Prozent in 30 Jahren auf 84.000 Euro, Zinsen von drei Prozent bringen 117.000 Euro. Für einen großen Teil der privaten Haushalte, schlussfolgern die Studienautoren, sei somit selbst der Erwerb der ersten Immobilie außerhalb ihrer Sparmöglichkeiten – "weil die Einkommen zu gering sind".
Dazu passend Artikel Zwei über das Geldvermögen der ÖsterreicherInnen.
Laut einer Studie der Allianz-Versicherung besitzen die ÖsterreicherInnen pro Kopf ein Finanzvermögen von 51.980 Euro netto – also Guthaben abzüglich Schulden.
Das klingt ja schon einmal nicht so schlecht.
Nur muss ich leider feststellen, dass ich von diesen knapp € 52.000,- doch etwas weit weg bin. Und damit gehör ich wohl zur Mehrheit in diesem Lande. In dieser Studie wird dargelegt, dass etwa 50 % - die „Unterklasse“ - ein durchschnittliches Pro-Kopf-Vermögen von unter € 16.000,- hat. Nur 10 % - die „Oberklasse“ haben ein Vermögen von mehr als 93.560 pro Kopf. Netto-Finanzvermögen wohlgemerkt – ohne Sachwerte wie Immobilien, wertvolle Kunstgegenstände, Gold oder zb. teure Uhren oder Autos.
Und beim dritten Artikel wird’s wirklich spannend:
Der lautet: Entlastung der Vermögenden kommt wieder in Mode
In Frankreich und den Vereinigten Staaten werden die Reichen und Superreichen in Zukunft weniger Steuern bezahlen. Und es wird die Frage gestellt: Beginnt ein Wettlauf zur Entlastung von Wohlhabenden?
Großbritannien, USA und Ungarn als Trendsetter. Am Ende drohen viele Verlierer.
Ein gutes Beispiel ist auch Irland, das mit seiner Mini-Steuerbelastung für Firmen von 12,5 Prozent ganz vorne liegt. Dass gerade ein Land, das im Gefolge der großen Finanzkrise schon einmal Milliardenhilfen seiner Euro-Partner in Anspruch nehmen musste, auf 13 Milliarden Euro Steuernachzahlungen des US-Konzerns Apple verzichten will, sorgt bei vielen für Unverständnis.
Und wenn man sich die Wirtschaftsprogramme von ÖVP und FPÖ ansieht, weiss man, dass die neue schwarz-blaue Regierung bei dem als „Steuer-Wettbewerb“ schöngeschriebenem Steuerdumping an vorderster Front dabei ist.
Wenn also jetzt die Steuerbelastung für gut verdienende Unternehmen, Reiche und Superreiche und Spitzenverdiener geringer wird, stellt sich natürlich die Frage, auf wessen Kosten das geht und welche Auswirkungen das auf unsere Gesellschaft hat?
Eine Antwort darauf findet sich im Artikel Nummer 4.
"Reiche gefährden das Ziel politischer Gleichheit"
Der private Reichtum gehe alle etwas an – und das viele Geld in wenigen Händen untergrabe die Demokratie
Das gesellschaftliche Problem dahinter hat Georg Simmel in der Philosophie des Geldes bereits um 1900 beschrieben: Vermögen vermag etwas. Wer viel besitzt, kann Politik beeinflussen, sei es in der Rolle eines Medieneigentümers oder eines Milliardärs, der selbst in die Politik geht. Reiche Menschen verletzen damit das Ziel der politischen Gleichheit.
Und der IWF, Hüter des globalen Kapitalismus, schlägt in die gleiche Kerbe:
Christine Lagarde, in keiner Weise des Sozialismus oder gar Kommunismus verdächtig, sagt:
«Wir alle haben davon gehört, dass heute das reichste Prozent der Welt die Hälfte des Vermögens besitzt.» Dagegen anzukämpfen, mahnte Lagarde, sei nicht nur ein «moralischer Imperativ»: Die Ungleichheit von Chancen, Einkommen und Vermögen hemme das wirtschaftliche Wachstum, zerstöre Vertrauen und befeure die politischen Spannungen auf der Welt.
Und eine neue IWF-Studie zeigt, dass die Steuern für Reiche in den OECD-Staaten seit 1981 von 62 auf 35 Prozent gesenkt wurden.
Warum das so ist, ist leicht erklärt und zeigt auch einen Bezug auf österreichische Verhältnisse.
Zum einen vertreten die nationalen PolitikerInnen die Interessen der UnternehmerInnen und Reichen, die ihre Wahlkämpfe finanzieren (siehe die Grossspender für die Liste Kurz) oder deren Reihen sie teilweise selbst entspringen – wie etwa Immobilienmogul Donald Trump, der frisch gewählte Milliardär Babis in Tschechien oder der etwas skurille Frank Stronach.
Das scheint aber vielen Reichen Einzelpersonen und grossen Konzernen noch nicht zu reichen. Neben dem Versuch, die Spielregeln unserer Gesellschaft in ihrem Sinne zu verändern, nutzen sie auch in hohem Ausmass halblegale und illegale Wege zur Steuerumgehung, -vermeidung und -hinterziehung.
Sei es nun, um durch „gekaufte“ Staatsbürgerschaften in den Genuss günstigerer Steuersätze zu in Anspruch zu nehmen oder nationalen Schwarzgeldfahndern zu entkommen.
Entlarvend auch: die 500 größten US-Konzerne haben 9.755 Niederlassungen in Schattenfinanzzentren. Alleine die 30 reichsten Konzerne haben 2.213.
Warum wohl?
Der französische Datenökonom Gabriel Zucman erklärt, wie Steueroasen und Banken den Superreichen weiter bei der Steuerflucht zur Hand gehenund nennt das Diebstahl.
Nun kann man einwenden, dass Lagarde und der IWF mit ihrem Ruf nach mehr Umverteilung lediglich das Nötigste fordern, um den Kapitalismus zu retten, wie das z.B. auch Yanis Varoufakis getan hat – ein System, das neben enormem Reichtum auch Ausbeutung, Kriege und die Zerstörung des Planeten mit sich gebracht hat. Man sollte jedoch nicht zu dogmatisch sein: Ja, als ProgressiveR muss man mehr fordern. Gleichzeitig gilt es jetzt, den Kapitalismus vor der Rechten zu retten. Denn die drohende Alternative sind noch mehr Ungleichheit, ein neuer Crash und das weitere Erstarken der Rechtsnationalen.
In diesem Sinne:
Bleit´s gsund und losst´s eich nix gfoin!
Und passt´s auf eich auf!