Als Mediator bin ich darin geübt, Menschen aus Konflikten herauszubegleiten, welche für sie etwas Bedrohliches zu bekommen drohen. Aber nicht nur Menschen, die hier rechtzeitig, bevor nachhaltiger Schaden droht, Unterstützung suchen, kommen in meine Praxis. Oft hat der Konflikt bereits ein Eigenleben entwickelt und scheint das Leben der Betroffenen zu dominieren: bereits der Gedanke an den anderen Menschen bereitet Bauchschmerzen. Die ersten Minuten in meiner Praxis sind dann oft begleitet von einer Mischung aus der Frage, was man denn eigentlich hier mache, der Hoffnung, dass doch alles wieder gut wird und dem instinktiven Liebäugeln mit der Tür, um zu flüchten. Aber selbst dann hat man noch die Wahl: das Gegenüber bekriegen und dabei, weil es eh schon wurscht ist, zu immer härteren Bandagen greifen - oder vielleicht doch eine Mediation versuchen.
In dieser Artikelreihe wird anhand einiger Beispiele veranschaulicht, wie weit verbreitete Szenen aus Konflikten aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können. So, wie es unter anderem auch in Mediationen gemacht wird. Es handelt sich dabei meist um wenige Worte, die aus langen Geschichten herausgegriffen sind und dennoch stellvertretend für sie erahnen lassen, welche Sprenkraft darin liegen kann: der eine Leser oder die andere Leserin wird sich vielleicht sogar dabei ertappen, Ähnliches schon selbst erlebt zu haben oder auch als vollkommen unbeteiligte Person nach dem Lesen des Beispieles ein Urteil zu fällen, wie denn das zu verstehen ist. Wer da im Recht ist - und wer im Unrecht. Eine Falle, in die man sehr leicht tappen kann - und aus welcher Mediation wieder heraushilft, um doch noch zu konstruktiven Lösungen zu kommen.
Hans-Jürgen Gaugl www.lassunsreden.at
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Heute geht es um eine klassische Situation beim sonntäglichen Familienessen, zu welchem auch die Schwiegermutter eingeladen wurde. Als die Schwiegertochter das Essen auftischt, meint die Schwiegermutter: „Ich mache das Rotkraut zum Schweinebraten immer selbst und nehme nicht das aus dem Glas. Das schmeckt wirklich gut!“
Ein wunderschönes Beispiel, in das man sich gut hineinfühlen kann: man riecht den wunderbaren Geruch des Schweinebratens, der Tisch ist gedeckt und die Familie sitzt erwartungsfroh bereits bei den Tellern. Und nun fällt dieser Satz. Ich kenne ja Geschichten, wo statt dieses Satzes nun ein mitgebrachter Behälter geöffnet wird, aus welchem die Schwiegermutter mitgebrachtes Essen für sich und ihren Sohn auspackt. Aber bleiben wir bei diesem Beispiel.
Die Aussage der Schwiegermutter klingt ja zunächst einmal für einen Außenstehenden harmlos und durchaus informativ: Okay, dann wissen wir, dass die Schwiegermutter Rotkraut selbst zubereitet und dass ihr das gut schmeckt. Das könnte dazu ermuntern, nach dem Rezept nachzufragen, nach Zubereitungstipps. Oder ihr beizupflichten, wie gut es bei ihr geschmeckt hat bei der letzten Einladung zum Essen.
Je nachdem, mit welchem Gefühl Schwiegermutter und Schwiegertochter bei ihrer letzten Begegnung auseinandergegangen sind, kann diese eigentlich beiläufige Aussage allerdings auch ganz anderes bezwecken oder bewirken. Will die Schwiegermutter vielleicht wirklich versteckt ihren Unmut darüber äußern, sich nicht willkommen zu fühlen trotz der Einladung? Weil da beim letzten Besuch ein Vorfall war, der sie verletzt hat und den sie aber nicht ansprechen will, weil sie nicht weiß, wie sie das am besten angeht? Oder fühlt sich die Schwiegertochter schon seit geraumer Zeit nicht gewertschätzt, hat das Gefühl, der Schwiegermutter nicht gut genug zu sein für ihren Sohn und ohnehin nichts richtig zu machen in ihren Augen und wartet bereits förmlich auf den nächsten Untergriff? Je angespannter das Verhältnis ist, desto leichter werden durch diese Aussage nun Verteidigungsreflexe ausgelöst und Gefühle geweckt. Weil die Schwiegertochter sich etwa bedroht fühlt in der Verwirklichung ihres Bedürfnisses nach Anerkennung oder noch schlimmer: sie sieht das harmonische Familienleben, das für sie unverzichtbar ist, in Gefahr. Und weil die Schwiegermutter vielleicht sogar genau das beabsichtigt. Der Satz ist dann lediglich nach außen hörbare Botschaft; daneben schwingt das mit, was von Betroffenen oft als Bauchgefühl beschrieben wird: etwas, das viel Raum für Interpretationen offenlässt und viel zu oft gar nichts mehr zu tun haben muss mit dem, was eigentlich tatsächlich gemeint war. Besteht ein schwelender Konflikt zwischen den beiden, dann reicht dieser unscheinbar wirkende Satz unter Umständen aus, dass nun Reaktionen folgen, welche von Außenstehenden als skurril empfunden werden.
Plötzlich steht dann nämlich ganz anderes im Raum: woher weiß die Schwiegermutter eigentlich bereits beim Anrichten, dass das nun aufgetischte Rotkraut aus dem Glas stammt? Und: will sie damit zwischen den Zeilen etwas sagen? Etwa, dass die Schwiegertochter nicht kochen kann? Oder noch schlimmer: dass sie faul ist? Will sie der Schwiegertochter vorwerfen, dass es ihr nicht wichtig ist, ob das Rotkraut auch schmeckt? Genauso gut wäre denkbar, dass die Schwiegermutter aber auch nur bereits beim Anrichten vermeiden will, in die für sie selbst als peinlich empfundene Situation zu kommen, etwas auf dem Teller überzulassen – sie will der Schwiegertochter vielleicht genau das nicht vermitteln, was es in ihrer Welt bedeutet, wenn nicht aufgegessen wird. Weil sie etwa von sich weiß, wie verletzend das für sie selbst ist, wenn nicht aufgegessen wird – sie zugleich aber von sich weiß, dass sie Konservierungsstoffe nicht gut verträgt und dann Verdauungsprobleme hat.
Je entspannter das Verhältnis von Schwiegermutter und Schwiegertochter zueinander ist, desto leichter wird es fallen, sich auf sachlicher Ebene nun über die gehörte Information zu unterhalten – und dabei vielleicht zu erfahren, welche Unverträglichkeiten gegen diverse Konservierungsstoffe bestehen. Oder Rezepte auszutauschen und darüber Einigkeit zu genießen, wie aufwändig kochen eigentlich ist im Vergleich zur kurzen Zeit, die es braucht, zu essen – und wieviel Wertschätzung es verdient, wenn dennoch diese Mühe für die liebsten in Kauf genommen wird.
Was tun, um solchen Situationen den Schrecken zu nehmen? Was kann die Schwiegermutter tun, wenn sie merkt, dass ihre unter Umständen harmlos gemeinte Äußerung oder der vielleicht sogar in den besten Absichten getätigte Hinweis falsch angekommen ist? Was kann die Schwiegertochter dazu beitragen, dass sie diesen Satz nicht in die falsche Kehle bekommt?
Aus Sicht der Schwiegertochter: Wie wäre es etwa mit einem Lob für die Kochkünste der Schwiegermutter, welche man bei ihrer letzten Einladung genießen konnte? Wie wäre es mit der Nachfrage, ob es denn da Tricks gäbe, das Rotkraut zeitsparend selbst zuzubereiten? Wie, wenn man nachfragt, wo denn für sie der wichtigste Unterschied besteht zwischen selbst zubereitetem Rotkraut und dem aus dem Glas? Aus Sicht der Schwiegermutter kann nochmals die Freude über die Einladung zum Essen und damit die Verbundenheit der gemeinsamen Zeit betont werden. Und klargestellt werden, dass sie vielleicht einfach Angst hat, die Konservierungsstoffe nicht gut zu vertragen; oder sie sich nur entschuldigen möchte, dass sie vielleicht nicht alles zusammenessen wird, weil sie das auch mal probiert hat mit dem Rotkraut aus dem Glas und ihr diese Marke gar nicht geschmeckt hat. Das kann jedenfalls einmal die Situation retten.
Das wichtigste ist wohl, sich Zeit zu nehmen für einander: in der Hektik des Alltages ist man es gewohnt, sehr rasch aus verschiedenen Worten und Beobachtungen Schlussfolgerungen zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. Was bei automatisierten Abläufen durchaus Sinn machen kann, das kann im zwischenmenschlichen Bereich allerdings rasch zu Missstimmung führen: um diese eine Aussage der Schwiegermutter richtig deuten zu können braucht es eine Vielzahl weiterer Informationen. Nun kann man diese fehlenden Informationen entweder ersetzen durch eigene Erfahrungen und Erwartungen mit jeder Menge Möglichkeiten für Missverständnisse – oder man kann auch nachfragen. Letzteres ist wohl immer dann sehr sinnvoll, wenn man erkennt: da läuft jetzt etwas nicht so, wie ich es mir wünsche, da wühlt mich etwas auf.
Kennen Sie ähnliche Situationen? Wie gehen Sie damit um? Wären auch Sie in die Falle eines vorschnellen Urteils getappt?
Mag. Hans-Jürgen Gaugl, MSc ist unter anderem eingetragener Mediator und darauf spezialisiert, Konflikten ihren Schrecken zu nehmen. Er hat auch bereits einige Bücher dazu geschrieben, wie man aus Konflikten wieder herausfinden und dabei auf Verliererinnen und Verlierer verzichten kann: "Der Tiger und die Schwiegermutter" und "Wenn Eltern sich streiten" behandeln dabei das weite Feld von Familienkonflikten. Nähere Infos und Kontaktmöglichkeiten finden Sie auf www.lassunsreden.at.