Kurt und Anita sind gerade noch gemütlich zusammengesessen und haben sich unterhalten. Worum es dabei ging ist jedoch mit einem Schlag nicht nur in Vergessenheit geraten, sondern auch uninteressant. Er hat es nämlich gesagt: „Typisch Frau.“ Diese bösen zwei Wörter, welche für Sie für so viele Erlebnisse stehen, in denen sie damit gekämpft hat, mit ihrer Weiblichkeit ins Reine zu kommen. Erinnerungen daran, wie ihr beinahe die Tränen des Zorns gekommen wären, als sie am Tag nach der Trennung von ihrem Partner bei einem Aufnahmegespräch nach der Familienplanung gefragt wurde; oder an die zahllosen billigen Anmachversuche, wenn sie einfach mal an der Bar in ihrem Lieblingslokal alleine chillen wollte; auch der Fahrlehrer hat sich nicht unbedingt ausgezeichnet, als er sie wie ein Depperl behandelte bei der Erklärung der einzelnen Bestandteile im Motorraum und beim Einparken seine blöden Sprüche über die Relativität von zwanzig Zentimetern anbrachte. Mit einem Schlag waren all diese Erinnerungen da. War das wohlige Gefühl einer angeregten Unterhaltung verblasen. Statt dessen stieg der Drang auf, hinauszuschreien, wie sehr diese Ungerechtigkeiten sie verletzt haben und wie sehr sie es satt ist, sich ständig den Vorurteilen ausgesetzt zu sehen, welche sich in der Gesellschaft allgegenwärtig verstecken.
Wo mindestens zwei Personen aufeinandertreffen, dort kann es schon mal zu menscheln beginnen. Da kann schnell ein Wort fallen, welches im Gegenüber negative Gefühle auslöst, und schon hat man den Salat: selbst wenn es nicht so beabsichtigt ist, reicht eine Kleinigkeit, um jemanden zu beleidigen. Auf die empfundene Beleidigung wird mit einem Gegenschlag reagiert. Dieser kann äußerst unterschiedlich ausfallen: während die einen einfach verstummen oder auch körperlich verschwinden, packen andere die in zahlreichen Streits auf ihre Effizienz erprobten Waffen zu einem Gegenschlag aus. Wo Emotionen ausgelöst werden, da hat die Vernunft meist für einige Momente ausgedient. Gerade so lange, wie es erforderlich ist, das Gespräch vereisen zu lassen oder auch die Atmosphäre jener anzupassen, welche man ansonsten nur im Umfeld eines ausbrechenden Vulkans vorfindet.
Die Rechtsordnung trägt, in der guten Absicht, das Miteinander zur Friedlichkeit anzuhalten, das ihre dazu bei, dass solche Situationen zusätzlich angeheizt werden. Zu verlockend erscheint es, mit der Inanspruchnahme staatlicher Gewalt zu seinem Schutz zu drohen. Es dem Gegenüber so richtig zeigen zu lassen. In der Tat ist nämlich die persönliche Integrität ein Rechtsgut, welches besonderen Schutz genießt: das kommt in zahlreichen Paragraphen zur Geltung, welche etwa die Beleidigung zur möglichen Grundlage für kostspielige Unterlassungsbegehren, Schadenersatzforderungen für die erlittene Kränkung oder auch eine strafrechtliche Verfolgung erheben. Man soll es nicht hinnehmen müssen, von jemandem lächerlich gemacht oder als Zeichen der Missachtung als minderwertig hingestellt beziehungsweise gekränkt zu werden. Wer eine Person öffentlich oder vor mehreren Leuten beschimpft beziehungsweise verspottet, am Körper misshandelt oder mit einer solchen Misshandlung bedroht, ist nach dem österreichischen Strafgesetzbuch beispielsweise mit einer Geldstrafe von grob gesprochen bis zu einem halben Jahresbezug oder drei Monaten Freiheitsstrafe zu verurteilen. Bereits allgemeine Beleidigungen sowie auch gehässiger Spott und Hohn können damit ein nicht zu unterschätzendes Nachspiel haben, während in berechtigter Erregung gefallene Worte oder eine bloße Unhöflichkeit außer den zwischenmenschlichen Folgen in der Regel keine Konsequenzen nach sich ziehen.
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Der eingangs genannte Kurt hat erkannt, dass er einen wunden Punkt bei Anita getroffen hat. Er hat an der Körperhaltung und auch den schnippisch werdenden kurzgehaltenen Kommentaren bemerkt, dass da gerade etwas vorgefallen ist, das ihm niemals in den Sinn gekommen wäre. Er hat daher das Ruder herumgerissen. Statt einzusteigen in die sich nun abzeichnende heftige Auseinandersetzung, zeigt er Interesse für das, was gerade in Anita vorgeht. Und hört ihr zu. Wie selbstverständlich kann er sich, als er all die Erinnerungen hört, die er ausgelöst hat mit der unbedachten Bemerkung, für diese entschuldigen. Statt des Streites, der das Miteinander auch weit nach diesem Gespräch noch hätte beeinflussen können, wird es doch noch ein sehr erfreulicher Abend für beide. Kurt hat nämlich berücksichtigt, dass es bei Worten und Gesten in erster Linie nicht auf das ankommt, was man hineinzulegen beabsichtigt – es kommt auf das an, was im Gegenüber damit ausgelöst wird. Und Anita hat die Gelegenheit gegeben, einen Einblick zu nehmen in ihr Gefühlsleben und sie so ein Stück weit besser zu verstehen.
Wenn der Gesetzgeber für den Zeitraum nach dem 1. Jänner 2016 vorgesehen hat, dass auch in den social media ein wertschätzender Umgang miteinander durch verschärfte Sanktionen erzwungen werden soll, so ist das ein deutliches Zeichen. Man kann es als Aufruf verstehen, es Kurt und Anita gleich zu tun: Worte und Bilder nicht gedankenlos in den Raum zu knallen, sondern dabei auch Interesse dafür zu zeigen, das damit in den Leserinnen und Lesern ausgelöst wird. Dadurch gibt es notfalls die Möglichkeit, wenn wirklich mal etwas missverstanden und als Beleidigung empfunden wird, korrigierend einzugreifen und statt des eröffneten Schlachtfeldes die Chance zu nutzen, einen Schritt des Verständnisses aufeinander zuzumachen.