Eigenverantwortung ist einer der wichtigsten Bausteine, derer es bedarf auf dem Weg zur Selbstverwirklichung. Ohne sie ist es kaum möglich, seine eigenen Werte und Interessen durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es eine der wesentlichsten Aufgaben der Gesellschaft, dafür Sorge zu tragen, dass das Individuum auch die erforderliche Befähigung erlangt, selbstständig die Herausforderungen der Alternativen des täglichen Lebens zu meistern.
Unter diesem Aspekt kommt der Bildungspolitik eine sehr hohe Bedeutung zu. Es gilt dabei, Qualifikationen und Kompetenzen wie analytisches, abstraktes und systemorientiertes Denken, die Fähigkeit zum kreativen Problemlösen und selbstständigen Entscheiden in neuen, wenig standardisierten Situationen sowie die Fähigkeit zur Kooperation in Teams in arbeitsteiligen Organisationen bereits in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung zu fördern. Bereits den Kindergärten als erste Zonen der regelmäßigen staatlich organisierten Begegnung außerhalb der Familie kommt hier aus Sicht der Chancengleichheit über soziale Grenzen hinweg besondere Bedeutung zu. Sie sind nicht bloß Hort einer Betreuung der heranwachsenden Generation, sie bieten Gelegenheiten von unschätzbarem Wert, einen Grundbaustein in der Bildung zu legen.
Anders als es den sprachlichen Assoziationen von Bildung mit Schule und damit der Reproduktion von Wissensinhalten und Qualifikation für berufliche Fertigkeiten mit im Weiterbildungsweg ermöglichten Leistungssteigerungen entsprechen würde, setzt Bildung im Verständnis von Demokratie also voraus, dass es hier um die Förderung und Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen geht, die zur Identifizierung und Artikulation von eigenen Interessen im Austausch mit anderen Individuen befähigen. Das Individuum wird dazu angehalten, jene Regeln und Werte zu erfassen und mit zu gestalten, nach denen soziale Wirklichkeit abläuft. Demokratische Allgemeinbildung setzt hier einen lebenslangen Lernprozess voraus, zumal ständige Weiterentwicklung ein Markenzeichen dieser Staatsform ist, die daraus resultierend ständig neue Herausforderungen bietet, zu denen es neue Formen des Begreifens neuer Zusammenhänge und eines angepassten Umganges zu entwickeln gilt.
Entwicklung ist in diesem Zusammenhang ein mehrfach zutreffender Begriff: Entwicklung im Sinne des Sprachgebrauches als Wachstum, aber auch in seiner hermeneutischen Bedeutung des Sich-aus-etwas-Herauswickelns – ent-wickeln also: Durch die Unterstützung bei der persönlichen Entfaltung des Menschen als eigenverantwortliches Individuum wird es diesem ermöglicht, gleich einer Zwiebel Schale für Schale die sein Wachstum behindernden Grenzen abzulegen und die Sicht auf neue Möglichkeiten für sich selbst, aber auch die Gesellschaft als Gesamtes zu erlangen.
Es verwundert vor diesem Hintergrund der engen Verbindung von Demokratie und Bildung daher nicht weiter, dass in den letzten beiden Jahrhunderten einhergehend mit der Verbreitung von demokratischen Elementen auf der Welt die Bildungsdiskussion immer wieder sehr beherzt geführt wurde. Während Bildung mancher Orts als Gefahr gesehen wurde, weil damit ein Volk unberechenbar für die Führung würde, und daraus eine Tendenz zur bloßen Vermittlung reproduzierbaren Wissens nach vorangegangener Zensur der Inhalte beziehungsweise einer Beschränkung von Bildung auf die für die Ausübung eines Handwerks erforderliche Vermittlung von Fertigkeiten erwachsen ist, hat sich nach und nach der humanistische Ansatz durchgesetzt: Chancengleichheit entsteht nicht durch die Einheitlichkeit im Zugang zu einem bestimmten Schultypus. Soziale Gerechtigkeit wird vielmehr gefördert durch eine nach Fähigkeiten diversifizierte Vermittlung von Wissen, wobei jedoch durch alle Schultypen hindurch die um theoretischen und geschichtlichen Input angereicherte Erprobung und Anwendung demokratischer Grundprinzipien etwa durch eine lebendige schulpartnerschaftliche Begegnung von Kindern, Eltern und Ausbildenden gepflegt wird mit möglichst großem Raum für schulautonome Entscheidungsmöglichkeiten.
Nachdem Bildung in diesem Sinne als lebenslanger Lernprozess definiert ist, kommt auch den Einrichtungen der Erwachsenenbildung wesentliche Bedeutung zu. In diesem Bereich ist eine starke Entwicklung hin zu privaten Weiterbildungseinrichtungen in Diversifizierung zu den staatlichen Universitäten zu beobachten, wobei die humanistischen Bildungsinhalte deutlich zunehmen und als Zusatzqualifikationen immer mehr Zulauf erhalten. Auch im Bereich der unternehmensbezogenen Weiterbildung erhält die Vermittlung von Kompetenzen in der Konfliktbewältigung zunehmenden Stellenwert, wie nicht nur aus den Kursangeboten ersehen werden kann, sondern auch an der Anzahl der Einreichungen von Preisen wie dem jährlich vergebenen IRIS-Preis für die Implementierung auf Selbstbestimmung basierender Konfliktbeilegungsmodelle in Unternehmen.
Es bleibt für unsere Gesellschaft zu wünschen, dass die seit vielen Jahren wieder einmal geführte Bildungsdiskussion die hier gewählte Begrifflichkeit von Bildung aufgreift. Dass Bildung unverzichtbar ist und friedenserhaltende Wirkung hat zeigt nicht zuletzt auch der Umstand, dass viele Fehler bei ein wenig analytischem Zugang zu Geschichtswissen vermeidbar wären.
Wer weiterführende Gedanken des Autors zur Demokratie nachlesen möchte, findet diese hier: "Politische Machtspiele - Schlachtfeld oder Chance", Springer, 2015.