Unaufhaltsam rückt er näher, der Tag, an welchem entschieden wird, wer Österreichs neuer Bundespräsident wird. Doch um was genau handelt es sich dabei eigentlich, bei dieser Funktion, die es neu zu besetzen gilt? Verfolgt man die aufgeregten Debatten, so könnte man ja fast schon denken, es handle sich da um eine allmächtige Person, der das Vertrauen geschenkt werden soll. Als handle es sich tatsächlich um eine Entscheidung, bei welcher den Grundsätzen der Demokratie entsprechend zwar die Macht vom Volke ausgehe – allerdings, um frei nach Nestroy erst wieder bei der nächsten Bundespräsidentenwahl in 6 Jahren zu ihm zurückzukehren. Und zwar alle Fragen der Geschicke des Landes betreffend.
Die tatsächlichen Aufgaben eines Bundespräsidenten stehen fein säuberlich in der Bundesverfassung. Da wird neben dem Mindestalter des Bundespräsidenten von 35 Jahren definiert, dass diese Person zuständig ist für die Bestallung, Angelobung und Entlassung der Bundesregierung, die Legitimierung unehelicher Kinder, die Schaffung und Verleihung von Ehrenzeichung, die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens von Gesetzen, die Auflösung des Nationalrates und von Landtagen, die Ausübung von Notverordnungsrechten, die Vertretung nach außen einschließlich der Unterfertigung von Staatsverträgen, die Ernennung von Bundesbeamten soweit nicht an die Bundesminister delegiert, der Oberbefehl über das Bundesheer und die Exekution von Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes.
Die beiden aktuell zur Wahl stehenden Kandidaten haben dabei verkündet, ihre Kompetenzen durchaus aktiv und innovationsbereit ausfüllen zu wollen. Spielraum dafür gibt es jede Menge, zumal der Verfassungsgesetzgeber zum Teil bei der Beschreibung der Aufgaben sehr allgemein und somit wenig präzise geworden ist. Etwas, das in der Vergangenheit ab und an schon mal für Aufsehen gesorgt hat: in der jüngeren Vergangenheit ist der Disput des Bundespräsidenten Klestil erinnerlich, welcher statt des Bundeskanzlers die Beitrittsakte zur Europäischen Union unterfertigen wollte, in der ersten Republik war es Bundespräsident Miklas, welcher 1930 am Beginn der zur damaligen Wirtschaftskrise hinzugekommenen politischen Krise in Österreich als bislang einziger in die Geschichtsbücher eingegangen ist mit der tatsächlichen Nutzung seiner Kompetenz der präsidialen Auflösung des Nationalrats, um so Neuwahlen zu erzwingen – was damals allerdings keine intendierte Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse für die Zusammensetzung einer Bundesregierung brachte. Die Verfassung gibt also, wie die Geschichte zeigt, durchaus einiges her für eine aktivere Wahrnehmung der Kompetenzen – wobei für ein Abschätzen der praktischen Auswirkungen allerdings nur wenige Präzedenzfälle zur Verfügung stehen wie etwa die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es ist daher gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten für ein Abweichen von der eher auf Vermittlung und Repräsentation ausgerichteten Praxis des Amtsverständnisses ein überaus ausgeprägtes Ausmaß an Verantwortungsbewusstsein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie an bedachtem Weitblick wohl unverzichtbar.
Ein Bundespräsident steht übrigens nicht über der Rechtsordnung: ist er einerseits für eine Vielzahl seiner Kompetenzen in seinem Handeln abhängig von Vorschlägen etwa der Bundesregierung, so ist auch er andererseits an die Bundesverfassung gebunden und hat sich gegebenenfalls juristisch wie auch politisch zu verantworten: er kann beim Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung der Bundesverfassung angeklagt werden und über Beschluss der Bundesversammlung kann er durch eine entsprechender Volksabstimmung auch abgewählt werden.
Es geht also nicht um die Wahl einer Bundesregierung, welcher die operative Leitung der Geschicke Österreichs obliegt. Es geht nicht um die Wahl der Zusammensetzung des Nationalrates, welcher die für ein friedliches und gerechtes Zusammenleben nicht unbedeutenden Gesetze erlässt. Der Bundespräsident – dass es auch diesmal keine Frau wird, wurde ja bereits entschieden – wird daher die Zwei- oder mittlerweile sogar Mehrklassenmedizin nicht abschaffen können und auch nicht die Asylgesetzgebung des Landes liberalisieren. Unbedeutend ist er allerdings auch nicht: das in der Bundesverfassung schlummernde Machtpotential des Amtes kann die Tagespolitik durchaus in eine Richtung zu lenken versuchen. Weit über die legendären Neujahrsansprachen im staatlichen Fernsehen hinaus. Ob dies gelingt, darüber wir allerdings die Gemeinschaft der Wählerinnen und Wähler stets wachen und entscheiden können, wie auch der Blick in die Geschichtsbücher zeigt.
Am 22. Mai gilt es daher, seine Stimme zu erheben und von seinem Recht der Mitgestaltung Österreichs Gebrauch zu machen. Es geht um die Position, welcher die Bundesverfassung eine Bestandsgarantie für das Funktionieren von Demokratie durch das Ausbalancieren der Gewaltenteilung zugeschrieben hat. Nicht um mehr – allerdings auch nicht um weniger. Die Entscheidung sollte dabei auf jenen Kandidaten entfallen, welchem am ehesten zugetraut wird, als vermittelnde und bedachte Stimme des Volkes zu agieren. Mit Entschiedenheit, wo es an dieser zu fehlen scheint, und Bedachtsamkeit, wo die Emotionen den Blick aufs große Ganze zu vernebeln droht.
Wer ist das für Sie?