Kurt hat sich seinen Traum verwirklicht: er hat sich ein Haus nach seinen Vorstellungen gebaut. Es war verdammt viel Arbeit, all das so zu planen und auch umzusetzen, wie es für ihn passt. Für ihn, aber auch für seine Familie, welche fleißig mit angepackt hat. Einige Entbehrungen und viele Kraftanstrengungen waren erforderlich, damit nun alles so dasteht. Sicher gibt es noch das eine und auch das andere, das nicht ganz so perfekt gelungen ist. Wo sich die Familie, die das Haus ihr Heim nennt, vorgenommen hat, nochmals nachzubessern. Und auch die Raten für den Kredit, der erforderlich war, um all das zu verwirklichen, braucht ständige Achtsamkeit auf das Haushaltsbudget, in welchem leider manche Träume wegen der Zinslast – auch wenn sie momentan sehr gering ist – zurückgestellt werden müssen. Ständig gilt es zu überlegen, ob da irgendwo doch noch Sparpotenzial gegeben wäre. Alles in allem kann Kurt allerdings sehr stolz auf das Zuhause sein, dass er sich mit seiner Familie geschaffen hat.
Eines Tages klopft es an der Tür. Da steht eine Familie, von welcher Kurt schon vor einiger Zeit gehört hat, dass ihnen das Haus angezündet worden ist. Bis auf die Grundmauern niedergebrannt. In der Zeitung hat Kurt gelesen, dass diese Familie große Angst davor hat, ein wieder errichtetes Haus würde wieder angezündet werden und man hätte dann vielleicht nicht mehr das Glück, selbst mit dem Leben davon zu kommen. Gefährliche Gegend scheint das zu sein. Bist du narrisch – da kann man froh sein, dass man solche Ängste nicht haben muss. Diese Familie, so hat Kurt gelesen, ist nun auf der Suche nach einem anderen Zuhause, einem sicheren Ort, wo sie neu anfangen wollen. Und jetzt stehen sie also vor seiner Türe. Und ersuchen darum, hier verschnaufen zu dürfen.
Okay, Platz genüg gibt es. Da gibt es das Gästezimmer, das gebaut wurde für Besuch. Eigentlich war es ja für Freunde errichtet worden, die mal kurz Unterschlupf suchen. Weil sie gerade mal nicht nach Hause wollen oder können. Da steht nun aber diese Familie. Die kein Zuhause mehr hat, in das sie kann und will. Wie war das mit der Herbergsuche von Jesus und Maria, bei welcher man, in der blanken Theorie, immer die Hartherzigkeit jener Menschen, die die Tür wieder zugeschmissen haben, verurteilt hat? Da hat man doch feierlich gelobt, Menschen in Notsituationen beizustehen. Okay, eigentlich mit dem Zusatz, dass zuerst einmal alle Nachbarn, an welchen so jemand vorbeigeht, zuerst die Pflicht haben, zu helfen. Aber irgendwie hilft das ja alles nichts – jetzt stehen sie vor der eigenen Türe und erbitten Hilfe und Unterschlupf. Kalt ist es ja auch. Und sie schauen zwar eigentlich nicht wirklich hungrig aus, aber irgendwie müssen sie doch auch Hunger haben. Obwohl Kurt nicht so recht darauf vorbereitet ist, wie mit einer solchen Situation nun in der Praxis umzugehen ist, heißt er die Familie willkommen und begleitet sie in das Gästezimmer, in welchem sie verschnaufen dürfen.
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Kurt ist zufrieden. Er hat etwas Gutes getan. Er ist ein guter Mensch. Zufrieden mit sich selbst macht er sich daran, dem eigenen Alltagstrott zu folgen. Sehr rasch merkt er allerdings, dass das irgendwie nicht möglich ist: seine Familie beklagt sich immer lauter darüber, dass er mit seiner Entscheidung, „die da“ ins Gästezimmer gelassen zu haben, ihr Zuhause gefährdet, wenn nicht sogar zerstört hat: ungefragt stehen sie plötzlich im Badezimmer zu Zeiten, von denen doch eigentlich immer allen klar war, dass man da selbst das Anrecht auf die Nutzung hat; im Kühlschrank fehlen ständig Sachen und statt dessen finden sich da merkwürdige Speisen, von denen man bislang nicht einmal wusste, dass es sie gibt und dass sie zum menschlichen Verzehr gedacht sind; auch die Musik, welche nun zu hören ist, ist ungewohnt, und wenn man versucht, diese Gastfamilie darauf anzusprechen, dann erntet man bestenfalls große Augen mit dem Hinweis darauf, Kurt hätte sie doch willkommen geheißen. Auch die Gastfamilie ist unzufrieden: eigentlich hat man sich erwartet, dass man sich die Zeit, die man hier ist, zu Hause fühlen darf. Doch alles, was so gemacht wird, wie man es gewohnt ist, scheint Widerstand hervorzurufen, der das Klima immer unerträglicher werden lässt. Sind diese Menschen, die einen aufgenommen haben, einem vielleicht gar nicht so wohl gesonnen? Wollen die vielleicht gar das vollenden, was die, die einem das Haus angezündet haben, nicht geschafft haben: einem das glückliche Leben nehmen?
Kurt beginnt, an die Türen zu diversen Räumen des Hauses, wie etwa die Badezimmertür, Verbotsschilder zu hängen: „Gäste haben hier nur unter Aufsicht Eintritt!“. Auch der Kühlschrank wird nun versperrt und es wird in Gegenwart der Gäste immer unverblümter darüber gesprochen, dass sie demnächst wohl hinausgeworfen werden, man allerdings noch nicht so recht weiß, mit welcher Begründung und auf welche Weise.
Das Problem, in welchem Kurt mit seiner Familie aber auch die Gastfamilie steckt, ist in der Wurzel eigentlich banal, selbst wenn die Auswirkungen immer verheerender zu werden drohen: all die ungeschriebenen Gesetze zu Abläufen im Alltag, wie sie jeweils als selbstverständlich gesehen werden, funktionieren nicht mehr. Das beginnt bei Kleinigkeiten wie den Regeln der Nutzung der Sanitärräumlichkeiten, führt über die Frage der Beteiligung an der Beschaffung von Lebensmitteln und endet bei einem gemeinsamen Verständnis darüber, wie es denn eigentlich weitergehen soll. Dinge, die rasch ausgesprochen werden könnten – ein wenig Transparenz und Ehrlichkeit im Umgang miteinander vorausgesetzt. Die angesprochen werden und einer Lösung zugeführt werden müssen, um damit wieder Sicherheit zu gewinnen – Sicherheit, die als Grundbedürfnis beider Seiten dringend erforderlich ist, um Eskalationen zu verhindern. Es ehrt Kurt, dass er Werte der Nächstenliebe und der Hilfsbereitschaft nicht nur als theoretische Bekenntnisse ausleben will, sondern hier die Chance gesehen hat, dies auch praktisch unter Beweis zu stellen. Doch: hat er dabei vielleicht einiges übersehen? Hat er vergessen darauf, auch seine Familie in diese Entscheidung mit einzubeziehen? Hat er übersehen, dass es auch darum geht, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche das gut gemeinte auch zu Gutem führt? Hat er die Gastfamilie vielleicht sogar, ohne es zu wollen, in eine schlimme Abhängigkeit hineingezwungen, aus der sie gar nicht mehr herausfindet? Oder wurde übersehen, dass die Gastfamilie, wie von einigen Familienmitgliedern gemutmaßt, tatsächlich vorhat, das Haus Stück für Stück für sich zu beanspruchen, sodass sich Kurt mit seiner Familie eines Tages im selbst erbauten Haus nur noch als im Gästezimmer gerade geduldet wiederfindet?
Es braucht ein ehrliches Gespräch: wie stellt sich die Gastfamilie vor, ihr zukünftiges Lebensglück wieder eigenverantwortlich in die Hand nehmen zu können und welche Unterstützung ist Kurt mit seiner Familie bereit, dafür zu leisten? Wo kann die Gastfamilie vielleicht sogar hilfreich dabei sein, die entdeckten Nachbesserungen am eigenen Heim anzugehen? Wo braucht es klare Abgrenzung, wo können Gemeinsamkeiten erkannt werden?
Wird Kurt es schaffen? Wird seine Entscheidung, Nächstenliebe zu beweisen, seine Familie zerstören und ihn sein glückliches Zuhause kosten oder bekommt er noch die Kurve, die ihm eigentlich zu wünschenden Lorbeeren für seine gut gemeinte Tat einzufahren? Noch hat er es selbst in der Hand. Es wird immer schwieriger, je länger er das klärende Gespräch mit seiner Familie und mit den Zuflucht gefunden habenden Gästen vor sich herschiebt. Doch noch kann es gut gelingen, dass alle Beteiligten ihr Glück finden. Miteinander. Was würden Sie Kurt raten?