Die kleinen Tricks im Miteinander: 6. Perspektivenwechsel

Mit dem Alltagstrott geht oftmals einher, dass man in jeden Moment mit einer gewissen Vorahnung hineingeht. Noch bevor man eine Antwort erhält denkt man schon zu wissen, wie diese ausfallen wird. Bereits am Beginn einer Herausforderung hat man quasi automatisiert den nächsten Ablauf des Geschehens festgelegt und spult das Programm ab. In der industriellen Anfertigung von Waren im Berufsleben hat das sogar einen gewissen Charme und verspricht hohe Effizienz. Auch in Ausnahmesituationen wie etwa jener, dass man zu einem schweren Autounfall als Ersthelferin oder Ersthelfer hinzukommt, kann das sehr hilfreich sein, wenn man ohne Nachzudenken über die konkrete Situation in der Lage ist, Handgriffe und Worte wie von Geisterhand gesteuert einzusetzen. Bereits beim Schachspiel kann das blinde Abspielen gewohnter Züge allerdings bittere Niederlagen bescheren, wenn man eine Variation im Spiel des Gegenübers übersieht. Umso bitterer kann der Fall sein, wenn in Beziehungen und Freundschaften verlernt wird, sich auf jeden Moment für sich einzulassen.

Eine hilfreiche Übung, um aus festgefahrenen Bahnen auszubrechen, ist es, sich zu lösen von den stets selben Perspektiven, aus welchen man an das Leben und seine Herausforderungen herantritt. Nimmt man auch einmal eine andere Sicht auf die Dinge ein, löst man sich solchermaßen von den scheinbar gemäß den gemachten Erfahrungen auf der Hand liegenden Vorannahmen, so bringt das enorm viel Lebendigkeit zurück in ein Miteinander und es werden nebenher sogar Varianten zu den gesehen Lösungen sichtbar, die man ansonsten übersehen hätte. Das klingt banal, in der praktischen Umsetzung ist es oftmals allerdings gar nicht so einfach. Ein schönes Beispiel ist folgende Geschichte:

„Ein Professor steht vor seinen Schülerinnen und Schülern und nimmt am Beginn des Unterrichts wortlos ein sehr großes leeres Einmachglas. Er beginnt, dieses mit Tischtennisbällen zu füllen und fragt, als kein weiterer Ball mehr hineinpasst, die Klasse, ob denn nun das Glas voll sei. Diese bejahen es ohne zu zögern. Daraufhin nimmt der Professor einen vorbereiteten Sack mit grobem Sand und leert dessen Inhalt zu den Tischtennisbällen in das Glas, welches noch erstaunlich viel Material aufzunehmen vermag ohne überzugehen. Dann fragt er die Schülerinnen und Schüler nochmals, ob denn das Glas nun voll sei. Dieses Mal zögern die verblüfften Zuschauerinnen und Zuschauer etwas bevor sie zum Schluss kommen: das Glas ist nun aber wirklich voll. Nun nimmt der Professor eine Dose Bier unter dem Tisch hervor und schüttet den ganzen Inhalt in das Glas, welches glucksend auch dieses noch aufnimmt ohne überzulaufen.“

Dieses unterhaltsame Beispiel zeigt, wie rasch Menschen sich dazu verleiten lassen, in nur einer Dimension an Fragestellungen heranzugehen: ohne, dass dies ausgesprochen worden wäre, wird jeweils vermutet, dass es nur der soeben gewählte Stoff sein könne, zu welchem zu prüfen ist, ob sich noch mehr davon in dem Glas ausginge. Selbst als bereits demonstriert wurde, dass es ja auch andere Alternativen gibt, welche einzukalkulieren sind, verfielen die Schülerinnen und Schüler dennoch in dieses Muster zurück und verzichteten darauf, auch andere Perspektiven einzunehmen.

Und genauso verläuft es oft im Alltag. In Beziehungen wird darauf vergessen, auch mal beidseitig lustvolle Alternativen in Betracht zu ziehen zum gewohnten Ablauf. In der eigenen Lebensplanung werden die Millionen an Möglichkeiten, welche jeder einzelne Moment bietet, übersehen. Und in Streit spitzt sich schnell alles auf die einzig sichtbar erscheinende Frage zusammen: wer hat Recht, wer Unrecht; wer gewinnt und wer verliert; was ist falsch und was ist richtig. Dabei könnte ein simpler Perspektivenwechsel helfen, Lösungen zu finden, die nur darauf warten, gewählt zu werden und Lebendigkeit zurückzubringen: Lebendigkeit, die keines Verlierens bedarf, die kein „falsch“ kennt.

Einige kleine Übungen, welche das Einnehmen von neuen Sichtweisen erleichtern, sind

  • Nehmen Sie einen 10 Euro-Schein und halten ihn zwischen sich und Ihr Gegenüber, sodass jeweils eine Seite der Banknote gut zu erkennen ist. Dann beschreiben Sie sich gegenseitig möglichst detailgetreu, was Sie hier erkennen – allerdings ohne die Zahl zu benennen. Rasch werden Sie erkennen, dass Sie beide denselben Gegenstand beschreiben, allerdings jeweils aus einer anderen von zwei möglichen Seiten. Und beides ist richtig – darauf zu beharren, dass hier eine Brücke zu sehen ist samt Landkarte Europas ebenso wie das Insistieren darauf, es handle sich bei dem abgebildeten Bauwerk um einen Torbogen. Leicht nachvollziehbar, wenn der Schein nun gedreht wird. Bei welchen Auseinandersetzungen kann ein Drehen der Perspektive noch helfen, unüberwindbar scheinende Gegensätze aufzulösen?
  • Manchmal hilft es, einfach die Frage zu stellen, was denn die Strumpftante, ein guter Freund oder ein Fachmann beziehungsweise eine Fachfrau zu der Situation, welche man gerade bewerten will, sagen würde. Dieses ausgesprochene gedankliche Hereinnehmen einer Außensicht kann bereits Wunder bewirken in der Kreativität, Dinge auch mal anders als gewohnt zu sehen.
  • Auch das körperliche Einnehmen einer anderen Sicht bringt oft etwas: auf einen Berg hinauffahren um dann von oben zu erkennen, wie klein und mit noch nie so bewusst gesehenen Zusammenhängen doch all diese Herausforderungen erscheinen, welche so groß wirken im Alltag. Aber auch das bloße „von der Leitung heruntersteigen“ durch ein paar Schritte zur Seite oder ein Tausch der Sesseln bringt oft schon eine andere Dynamik in die Betrachtung von Herausforderungen.
  • Die Technik der sechs Denkhüte von Edward de Bono ist ebenfalls sehr effektiv und kann gut geübt werden: dabei wird jede Entscheidung aus sechs verschiedenen Perspektiven heraus betrachtet und man stellt sich dazu vereinfacht ausgedrückt jeweils vor, einen andersfärbigen Hut aufzusetzen: weiß für rationelle Informationen, Daten und Fakten, rot für die Gefühle, das Bauchgefühl, gelb für den Optimismus und die Gründe, die für einzelne Varianten beachtet werden sollten, schwarz für die Gründe, die gegen einzelne Möglichkeiten sprechen als „advocatus diaboli“, grün für die Träume und blau schließlich für Ordnung und die zu bedenkende Struktur.
  • Sehr ähnlich dazu ist die auch die Methode der drei Denkstühle, zu welcher Walt Disney nachgesagt wird, sie immer wieder eingesetzt zu haben: man setzt sich dabei mit den aktuell anstehenden Fragen aus drei verschiedenen Perspektiven auseinander; nämlich aus jener des Träumers beziehungsweise der Träumerin, aus der des nüchtern abwägenden dem Realitätssinn verschriebenen Menschen und aus dem Sessel des Kritikers beziehungsweise der Kritikerin als mahnende Stimme zu möglichen Schwierigkeiten und Trugschlüssen. Diese drei Sesseln werden so lange konsultiert, bis heir ein ausgewogenes Bild entsteht über die beste Möglichkeit.

Viel Erfolg beim Ausprobieren. Seien Sie dabei bitte geduldig – vor allem auch mit sich selbst!

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