Oftmals wurde ich schon gefragt, wie denn das so ist, wenn ich als Mediator selbst in einen Konflikt gerate. Ob ich überhaupt streiten würde. Auf den ersten Blick mag diese Frage so klingen, als würde man einen Automechaniker fragen, ob er selbst schon mal eine Panne hatte oder einen Arzt, ob er selbst schon mal erkrankt sei. Zugleich ist es aber eine enorm spannende Frage, zumal Mediation ja nicht nur eine Technik aus verschiedensten Instrumenten der Kommunikationswissenschaft, der Soziologie, der Psychologie und auch des Prozessmanagements ist, sondern auch eine Haltung. Eine Sichtweise auf das Miteinander, in welcher Empathie und Konsensorientierung unverrückbare Werte sind. Es erscheint daher auf den ersten Blick ja geradezu paradox, wenn ich als Mediator einerseits Menschen dabei sehr erfolgreich begleite, aus sogar hocheskalierten Konfliktsituationen wieder herauszufinden und die verbrannte Erde wieder in fruchtbaren Boden umzuarbeiten, selbst jedoch nicht gefeit bin davor, Marionette von Gefühlen und Konfliktdynamik zu werden. „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt.“, hat Mahatma Gandhi aufgerufen. Ist es daher überhaupt zulässig und glaubwürdig, als Mediator selbst zu streiten?

Soviel vorweg: Ohja, auch ich gerate in Konflikte. Auch ich kann streiten – und erlaube mir das auch ganz bewusst. Menschen, die mich schon einmal in einer Mediation erlebt haben oder von Mediandinnen und Medianden von mir gehört haben, wie ich es während einer Sitzung selbst in angespanntesten Momenten verstehe, Ruhe und Sicherheit zu vermitteln, sind da manchmal sogar sehr erstaunt, wenn sie beobachten dürfen, dass auch ich in Rage geraten kann und die ganze Klaviatur der verschiedenen Konfliktlösungsmuster in vollen Zügen auszuleben scheine.

Woran liegt das? Wie kann es sein, dass jemand, der gewaltfreie Kommunikation vermittelt, Empathie predigt und anderen regelmäßig hilft, die Fäden, an welchen man bei fortgeschrittener Eskalation gleich einer Marionette der Konfliktdynamik hängt, zu durchtrennen und den Blick für gemeinsame Lösungen wiederzufinden, selbst seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen scheint?

Die Wissenschaft, welche sich auch mit dieser Frage bereits beschäftigt hat, hält auch auf diese Fragen natürlich eine Antwort bereit: ein wesentliches Element der Mediation ist die Allparteilichkeit, also die Einnahme eines Nähe-Distanz-Verhältnisses zu allen Mediandinnen und Medianden. Es ist für das Gelingen einer Mediation unumgänglich, allen Beteiligten die Sicherheit zu vermitteln, verstanden zu werden. Einen Rahmen zu bilden, in welchem es ungefährlich ist, alle Karten auf den Tisch zu legen, das, was einem wirklich wichtig ist, anzusprechen. Und zwar nicht nur mit den im Kaffeehaus üblichen Floskeln des „mhm, ich verstehe“. Die Menschen wollen so verstanden werden, dass sie es nicht bloß hören, sondern auch spüren – erst dann gelingt es, den ersten Druck aus dem Kampf herauszunehmen. Doch wie soll ein Mediator, welcher nun selbst eine der Streitparteien ist, zu sich selbst die selbe Nähe beziehungsweise Distanz aufbauen können, wie zur Person des Gegenübers, welches gerade als Hindernis empfunden wird für die Erfüllung eigener Bedürfnisse? Das wäre in Anbetracht des Umstandes, dass jeder Mensch so seine Punkte hat, an welchen er irrational aufgeht oder auch weich wird, nahezu an die Voraussetzung einer multiplen Persönlichkeit geknüpft. Wissenschaftlich gesehen daher gut begründbar, dass ich auch als Mediator streiten darf, dass die Balken krachen. Ein Mediator muss nicht blauäugig durchs Leben wandeln in der Annahme, dass alle Menschen Empathie automatisch und ohne allparteiliche Unterstützung erwidern, und sich dabei blaue Augen holen.

Und dennoch gibt es Unterschiede. Als Mediator bin ich es gewohnt, Konfliktsituationen nach verschiedensten Gesichtspunkten zu betrachten. Einerseits bin ich mir bewusst, dass die in Konflikten steckende Energie eine enorme Chance auch auf Wachstum bietet: etwa dadurch, dass man sich wesentlich intensiver mit sich selbst, dem Gegenüber und der streitbehafteten Angelegenheit beschäftigt, als es sonst der Fall wäre; und damit auf jeden Fall dazulernen kann – sei es durch Erfahrung und Persönlichkeitsentwicklung, sei es durch ansonsten nie geahnte Lösungen, die entdeckt werden können. Andererseits ist es mir möglich, selbst an den verhärtetsten Fronten innezuhalten und mir dessen bewusst zu werden, was denn da gerade abläuft. Dabei ist es mir dann möglich, mir etwa selbst die Wertschätzung zu schenken, der ich offenbar gerade nachlaufe, und dadurch auch im Gegenüber wieder eine Person zu sehen, welche ja weit mehr ist als das vermeintliche Hindernis bei der Erreichung eines mir wichtigen Zieles. Einfach sein zu lassen, was da als vermeintliche Widersprüche im Raum steht. Wodurch der Blick auf Optionen wieder frei wird, das eigene Wollen verwirklichen zu können ohne dafür die Wünsche des Gegenübers durchkreuzen zu müssen – vielleicht sogar wesentlich einfacher im Miteinander, als dies allein möglich gewesen wäre.

Dürfen Mediatoren streiten? Meiner Meinung nach dürfen sie es nicht nur, sie sollten es sich auch ganz bewusst erlauben. Nicht bloß wegen der Möglichkeit, die kraftvolle Konfliktenergie zu nutzen für eigenes Wachstum. Auch um selbst mal zu fühlen, was das abgehen kann in einer Eskalation, wenn das Lenkrad des Lebens plötzlich zum Halterad zu verkommen droht und nur noch professionelle Reaktion das schleudernde Fahrzeug in der Spur halten kann. Das schadet auch nicht der Glaubwürdigkeit – im Gegenteil. Wem würden Sie sich eher bei der Besteigung des Mount Everest anvertrauen: dem erfahrenen Bergführer, welcher sich auch selbst schon mal durchboxen musste durch einen Schlechtwettereinbruch oder jenem, der den Weg nur bei Schönwetter aus eigener Erfahrung kennt?

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