Wenn man heute durch Österreich fährt, so fallen sie einem gar nicht mehr weiter auf: die zahlreichen Kirchtürme, welche selbst ausgestorben wirkende Ortskerne noch zieren. Kirchen sind zu einem selbstverständlichen Bestand des Ortsbildes und auch des Alltages geworden, der meist gar nicht mehr hinterfragt wird. Selbst wenn heute wohl kaum ein Baumeister mehr diese Detailliebe aufbringen würde für eine Neuerrichtung und sich wohl auch kaum ein Bauherr mehr findet, der bereit wäre, die dafür erforderlichen Unsummen an Geld in die Hand zu nehmen. Bereits die regelmäßig erforderliche Instandhaltung stellt da bereits eine Herausforderung dar.
Einer der Hintergründe dieser Omnipräsenz liegt in der Wurzel des heute noch mit einigen Verschiebungen in Europa bestehenden Staatsgefüges und nationalen Selbstverständnisses. Diese heute mehr als touristische Attraktion denn zur Religionsausübung genutzten Gebäude sind nämlich Zeugen einer Entwicklung der Grundlage des Systems der europäischen Staaten. Der Westfälische Friede 1648 hat neben der Befriedung des dreißigjährigen Krieges nicht bloß den Niederländischen Unabhängigkeitskrieg beendet oder zu einer Anerkennung der Unabhängigkeit der Schweizer Eidgenossenschaft in der Gerichtsbarkeit geführt – er kann auch als Startschuss der Entwicklung des bis heute spürbaren nationalen Selbstbewusstseins angesehen werden.
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Als Wurzel diente dabei vor allem der Glaube: „cuius regio, eius religio" wurde zum Leitspruch erhoben in dieser Zeit, in welcher sich die Menschen noch weniger an der eigenen Individualität als vielmehr an Glaube und Krone orientierten in der Lebensführung: das Volk hatte sich in seinem Glauben an jenem des Oberhaupts zu orientieren: „Wessen Gebiet, dessen Religion". Das brachte enorme Bautätigkeit mit sich, denn immerhin wollten die Herrscher es ermöglichen, tatsächlich regelmäßig Messen besuchen zu können in einer Zeit weit vor der manchmal schon gedankenlosen Mobilität mit einem Kraftfahrzeug. In vielen historischen Dokumenten kann da die Zielsetzung nachgelesen werden, dass es allen möglich sein sollte, die nächste Kirche in maximal einer Stunde Fußmarsch zu erreichen. Neben diesen Auswirkungen waren aber auch Transmigrationen zu beobachten: wer nicht den Glauben seines Herrschers teilen wollte, der hatte ein schweres Leben und musste vor Bestrafung fliehen. Wenn er nicht sogar deportiert wurde in jene Gebiete, deren Bevölkerung durch die Türkenkriege und die Pest dezimiert worden sind. Zu hunderten Familien in Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten ist beispielsweise dokumentiert, dass sie damals nach Siebenbürgen verbracht wurden.
Das Josephinische Toleranzpatent 1781 hat hier eine Wende gebracht. Da war, wenngleich noch sehr deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass andere Glaubensformen als jene der römisch katholischen Ausprägung des Christentums nicht erwünscht, aber wenigstens offiziell geduldet werden, das erste Mal sogar die Rede von einem Recht auf eine Gebetsstätte in Gebieten, in welchen ausreichend Familien einem anderen Glauben zusprachen. „Solang sich die irrgläubigen Landesinwohner ruhig und friedlich betragen, ist ihre Bekehrung lediglich der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, und der bescheidenen Mitwirkung der Geistlichkeit zu überlassen.... Wenn sich 100 Familien, oder nur 500 Personen zu einer der tolerirten Religionen bekennt haben, ist ihnen gestattet, ein schon bestehendes, oder ein neues Bethaus zu ihrem Gottesdienste einzurichten, und einen Seelsorger von ihrer Religion auszusuchen." Die so genannten Toleranzhäuser entstanden, die zunächst äußerlich nicht erkennbar sein durften als religiöse Stätten, nach 1848 aber einen Umbau zu kirchengleichen Gebäuden erfuhren.
In den letzten Jahrzehnten ist zu bemerken, dass der Kirchenbesuch in Österreich dramatisch zurückgeht und zahlreiche Kirchen bereits über kein eigenes Pfarramt mehr verfügen. Umgekehrt ist die Errichtung vom Moscheen immer öfter ein Thema. Es werden bereits Gedanken laut über eine Umwidmung der Kirchengebäude – Gedanken, welche in vielen anderen europäischen Staaten bereits Realität wurden: In Köln etwa hat der Architekt Mathias Romm eine Hinterhofkirche zum Familiendomizil mit 410 Quadratmetern Wohnfläche umgebaut. Es ist dazu bereits von einem wegweisenden Projekt die Rede, dem viele ähnliche Umbauten folgen sollen.
In diese Entwicklung strömen nun Millionen Menschen hinein, welche in Europa ihre Zukunft suchen. Menschen, welche zu einem Großteil muslimischen Glaubens sind. Und plötzlich ist Religion wieder ein Thema, an dem kaum ein Wirtshausgespräch vorbeiführt. Fast schon wie in Zeiten, als Papst Johannes Paul II Österreich besucht hat und alle im Papstfieber waren und eines der von einer großen Tageszeitung verteilten Papaskope ergattern wollten.
Während die einen sich des unsere Wertekultur zu einem Gutteil mitgeprägt habenden Leitspruches „Cuius regio, eius religio" besinnen und bedingungslose Unterwerfung beziehungsweise Missionierung von den ankommenden Menschen fordern, wird von anderen gleich der einstigen Reformationsbewegung sogar schon als verpönt angesehen, wenn im Zusammenhang mit Gedanken der Hoffnung auf das Obsiegen der Menschlichkeit gerade in herausfordernden Situationen von Gebeten die Rede ist.
Religion war über die Jahrhunderte der Entwicklung der verschiedenen Kulturen stets eine der gestaltenden Kräfte. Wobei es eine der Haupterrungenschaften der soziologischen Moderne war, auch losgelöst von Religion als verbindende Kraft in demokratischem Rahmen Selbstverwirklichung zu ermöglichen – ohne dabei auf ihre Berechtigung verzichten zu müssen, sondern sie vielmehr in gegenseitiger Achtung als private Entscheidung wertzuschätzen. Auch wenn die Kirchtürme in der Gegenwart von den meisten Menschen maximal als Zeitzeugen dieser Veränderungen gesehen werden oder als Symbole einer Wertegemeinschaft, zu welcher meist nicht einmal mehr benannt werden kann, was genau denn diese Werte überhaupt sind: sie können gerade in der Gegenwart als Mahnung dienen – als Gedankenanstoß, in welche Richtung die Gesellschaft weitergehen will: Toleranz oder Absolutismus; Miteinander oder Gegeneinander; Vielfalt oder Schablone.
Wenn Sie das nächste Mal vor einem Kirchturm stehen: schauen Sie ihn bitte einmal bewusster als sonst an und nehmen Sie sich kurz Zeit für die Frage: Wofür stehen Sie?