Um mit Konflikten besser umgehen zu können, gilt es zunächst einmal, das Entstehen, die Erscheinungformen und die Dynamik dahinter zu erkennen. Mit einer Artikelserie soll jenen Leserinnen und Lesern, die schon mal darunter gelitten haben, im Streit mit an sich geschätzten Menschen hängen zu bleiben, ein kleiner Einblick gegeben werden in die diesbezüglichen Erkenntnisse. Dies kann bereits helfen, sich herauszunehmen aus unangenehmen Auseinandersetzungen und wieder zum Pfad eines konstruktiven Miteinanders zurückzufinden statt sinnloser Verletzungen, die am Ende des Tages keinem helfen. Das Gefühl, nach einer heftigen Auseinandersetzung im darauf folgenden nächsten Moment der Ruhe keine Antwort auf die Frage zu haben, wozu denn die eigene Aufregung und der darauffolgende Angriff wieder gut gewesen sein sollen, wird sich vielleicht auch mit diesem Wissen nicht gänzlich vermeiden lassen. Es wird allerdings etwas leichter, die zur Versöhnung angebotene Hand bei der nächsten Begegnung nicht als eigenen Gesichtsverlust sehen zu müssen.
Nicht jedes Aufeinandertreffen verschiedener Meinungen ist gleich ein Konflikt
Im Alltag treffen Menschen auf eine Vielzahl von Informationen, Meinungen und mehr oder weniger deutlich artikulierte Erwartungen. Naturgemäß befinden sich darunter regelmäßig auch solche, zu welchen wir anderer Auffassung sind. In aller Regel werden diese Differenzen einen nicht weiter beschäftigen. Dann steht also in der Zeitung, dass eine Forschungsgruppe herausgefunden hat, dass von Handymasten unter Umständen eine Gesundheitsgefahr ausgehen könne – das kann nicht wirklich beirren in der als Selbstverständlichkeit erwarteten vollen Netzversorgung. Dann denkt halt Herr Maier, dass elektrobetriebene Rasenmäher besser sind, während man selbst im eigenen Garten ein motorbetriebenes Exemplar einsetzt. Und auch die Aufrufe zur Inanspruchnahme von Gesundheitsvorsorgeleistungen erscheinen interessant und sind nicht zuletzt infolge der aktuellen Werbespots zur Prostatavorsorgeuntersuchung in vieler Munde, lösen aber auch bei gegenteiliger Einschätzung keine ernsteren Auseinandersetzungen aus. Schön, das alles zu wissen, interessant, den Argumenten zu lauschen.
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Persönliche Betroffenheit in eigenen Bedürfnissen ist der häufigste Startschuss
Dies kann sich schlagartig ändern. In dem Moment, wo sich auch nur ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin der Unterhaltung, welche eine Differenz hervorgebracht hat, im selbstverwirklichten Denken, Empfinden oder Wollen behindert fühlt, besteht die Gefahr, dass die Diskussion ein Eigenleben entwickelt. Soll in der unmittelbaren Umgebung des eigenen Hauses ein Handymast, zu dem man in der Theorie ja eine sehr gelassene Einstellung hatte, errichtet werden, so wird das Gespräch plötzlich doch viel lebendiger weil emotionaler. Hat man einmal gehört, um wieviel leiser ein Elektrorasenmäher ist, ist man schon mit viel mehr Feuer bei der Diskussion, wenn man die Chance sieht, den eigenen Nachbarn zum Umstieg bringen zu können. Um kommt mal der erste Blutbefund, in welchem aufgrund der Werte nahegelegt wird, den Urologen aufzusuchen, gewinnt auch die davor noch belächelte Ermunterung, der Erwartungshaltung der Gesundheitspolitik zu entsprechen und Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, plötzlich eine ganz andere Dynamik. Nun spricht man von einem interpersonellen Konflikt.
Und plötzlich hat man keinen Konflikt mehr – der Konflikt hat einen
Konflikten ist dabei eigen, dass sie bei einem Zuwenig an Achtsamkeit und gegenseitiger Wertschätzung die Tendenz zur Eskalation in sich tragen. Es setzt ab einem gewissen Punkt ein Tunnelblick ein mit stark eingeschränktem Vermögen, sein Denken, Fühlen und Wollen in der eigentlich der eigenen Persönlichkeit entsprechenden Form zum Ausdruck zu bringen. Auch das Zuhören wird zunehmend schwerer, zumal man ja ohnehin immer stärker in einer festgefahrenen Erwartung des oder der Anderen steckt und alles, was diesem solchermaßen angefertigten Bild widersprechen könnte, gar nicht mehr als ernstgemeint einstufen kann. Außenstehenden bietet sich in einem fortgeschrittenen Konfliktstadium rasch eine Beobachtung, die oftmals zur Aussage veranlasst: „Man kommt sich vor wie im Kindergarten“. Tatsächlich fallen die Akteurinnen und Akteure eines Konflikts bei fortschreitender Eskalation unbeschadet ihres tatsächlichen Lebensalters in pubertäre, präpubertäre oder sogar kleinkindliche Verhaltensmuster zurück. Sie sind es nicht mehr, die den Konflikt nach ihrem geistigen und emotionalen Vermögen steuern – der Konflikt hat das Ruder übernommen und die Akteurinnen und Akteure zu Marionetten degradiert.
Kalte Konflikte sind schwerer abzuschätzen – heiße schwerer zu ertragen
Konflikte können unterkühlt oder überhitzt oder – damit es nicht ganz so leicht wird – auch mit wechselnden Anteilen aus diesen beiden Kategorien geführt werden. Während der überhitzte Konfliktstil sich dadurch bemerkbar macht, dass Wut und Ärger offen gezeigt werden, allgemein den negativen Gefühlen deutlich und in oftmals überspitzter Form Ausdruck verliehen wird, kann der unterkühlte, eher als kopflastig bezeichnete Konfliktstil den Akteur rasch in Depressionszustände führen: Statt der Explosionen des heißen Konfliktstils, die es gleichsam einem reinigenden Gewitter möglich machen, emotionalen Stau abzulassen, führt kalter Konfliktstil, bei welchem der Akteur beziehungsweise die Akteurin darauf bedacht ist, keine Gefühlsausbrüche zuzulassen und sich hinter dem System zu verstecken („Nicht ich habe ein Problem mit dir – es ist ein objektives Kriterium, das es einfach gebietet, dein Verhalten zu verurteilen!“), rasch zu Implosionen. Diese lassen über dadurch ausgelöste Ohnmachtsgefühle die Grundstimmung zunehmend zu einem lebensfeindlichen Terrain ohne Verschnaufpause werden.
Während es den einen fröstelt im Streit ….
Beiden Konfliktstilen wohnen dabei positive Aspekte inne, beiden aber auch lösungserschwerende Elemente, welche vor allem dann schlagend werden, wenn sie über einen längeren Zeitraum hin exklusiv und überspitzt praktiziert wirken. Während der unterkühlte Konfliktstil den Vorteil mit sich bringt, dass sehr vernunftbezogen agiert wird – kaum ein Konfliktgespräch wird hier eingegangen, das nicht minutiös vorbereitet wird –, hat er gleichzeitig einen enormen Nachteil: Es bleibt kaum Raum, Emotionen auszudrücken. Diese werden daher unterdrückt, womit sie aber keinesfalls an Existenzgewalt verlieren, sondern sich in enormer Impulsivität in ein Vorantreiben des Konfliktes sowie auch gegen den Akteur beziehungsweise die Akteurin selbst entfalten. Dies geschieht scheinbar von außen unbemerkt: Lediglich sehr empathische Menschen erkennen hier von außen, „dass einem in Gegenwart dieses Menschen fröstelt“. Das Unwohlbefinden des Akteurs beziehungsweise der Akteurin beginnt bei höherem Eskalationsgrad oder bei längerem Andauern des Konfliktes auch somatische Wirkungen zu entfachen. Neben zunehmenden psychischen Beeinträchtigungen beginnen auch zum Teil schwerwiegende Erkrankungssymptome aufzutreten, an denen selbstverständlich dem Konfliktpartner beziehungsweise der Konfliktpartnerin die Schuld gegeben wird. „Ich kann gar nicht mehr ruhig schlafen“ ist da noch die harmloseste Form eines Nebenresultats aus einem unterkühlt geführten Konflikt, welches natürlich auch gerne als Koalitionswerben gegen den Konfliktpartner beziehungsweise die Konfliktpartnerin eingesetzt wird: Immerhin ist ja er beziehungsweise sie die Ursache, also gilt es doch für das Umfeld, Mitleid zu haben und die Ursache mit zu bekämpfen – oder auch Farbe zu bekennen, was natürlich zu einem Bruch führen muss.
… kann dieser auf der anderen Seite von Donner und Blitz begleitet sein
Beim überhitzt geführten Konflikt gelingt es hingegen, diese enorme Gewalt der auftretenden Emotionen abzulassen. Damit kann man sich zwar besser selbst vor Schaden bewahren, agiert daher reinigender im Hinblick auf seine Psychohygiene, zumal so eine förmliche Explosion gleichsam die Funktion eines reinigenden Gewitters haben kann, gleichzeitig kann aber in der Außenbeziehung sehr viel zu Bruch gehen. Es fehlt in solchen Phasen der überhitzten Konfliktführung in einem großen Maß die Fähigkeit, auf Sachebene, also vernunftgesteuert zu agieren. Ein Umstand, der bei anhaltend überhitzt geführten Konflikten ebenfalls nicht geeignet erscheint, eine Lösung zu erleichtern.
Konflikte sind etwas sehr individuelles
Der Zugang von Menschen zu Konflikten ist im Allgemeinen ein sehr individueller und unterschiedlicher. Konfliktscheue Menschen etwa werden scheinbar aus jeder Konfliktsituation flüchten, während konfliktfreudige Menschen im Extremfall ständig auf der Suche nach Möglichkeiten sind, Konflikte anzuzetteln und danach auszutragen. Auch ist zu beobachten, dass neben den bereits genannten Konfliktstilen der Unterkühlung oder der Überhitzung konstruktive oder destruktive Elemente in der Konfliktkultur ausgeprägter zutage treten. Es ist daher wichtig, stets im Hinterkopf zu behalten, dass kein Konflikt dem anderen gleicht, wie auch kein Mensch dem anderen in allen Punkten gleichen kann und wird. Je nach Persönlichkeit der Beteiligten werden einige Konfliktelemente intensiver wahrgenommen und erlebt, andere weniger.
Im nächsten Artikel wird es einen Überblick über die verschiedenen Eskalationsstufen mit typischen Beispielen geben. Bis dorthin: Viel Erfolg beim Auffinden von persönlichen Möglichkeiten, Konflikten die Giftzähne zu ziehen!