Um mit Konflikten besser umgehen zu können, gilt es zunächst einmal, das Entstehen, die Erscheinungformen und die Dynamik dahinter zu erkennen. Mit einer Artikelserie (erster und zweiter Teil sind bereits erschienen) soll jenen Leserinnen und Lesern, die schon mal darunter gelitten haben, im Streit mit an sich geschätzten Menschen hängen zu bleiben, ein kleiner Einblick gegeben werden in die diesbezüglichen Erkenntnisse. Dies kann bereits helfen, sich herauszunehmen aus unangenehmen Auseinandersetzungen und wieder zum Pfad eines konstruktiven Miteinanders zurückzufinden statt sinnloser Verletzungen, die am Ende des Tages keinem helfen. Das Gefühl, nach einer heftigen Auseinandersetzung im darauf folgenden nächsten Moment der Ruhe keine Antwort auf die Frage zu haben, wozu denn die eigene Aufregung und der darauffolgende Angriff wieder gut gewesen sein sollen, wird sich vielleicht auch mit diesem Wissen nicht gänzlich vermeiden lassen. Es wird allerdings etwas leichter, die zur Versöhnung angebotene Hand bei der nächsten Begegnung nicht als eigenen Gesichtsverlust sehen zu müssen.
Menschen reagieren auf Streit sehr unterschiedlich; nicht nur von Mensch zu Mensch, auch von Situation zu Situation kann oftmals beobachtet werden, dass Provokation, Manipulation, Angriff oder auch einlenkendes Bitten verschiedene Handlungen und Worte zu begünstigen scheint. Trotz dieser sehr individuellen Komponenten lassen sich jedoch in verschiedenen Abstufungen typische Muster erkennen, mit welchen dem Konflikt begegnet wird.
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Flucht
Das wohl stärkste Konfliktlösungsmuster ist die Flucht: es wird in dem Moment, wo die Spannung unerträglich zu werden droht, der Notausgang gewählt. Das kann thematisch sein, indem einfach ein vollkommen anderes Thema gewählt wird und solchermaßen der Versuch unternommen wird, so zu tun als hätte der Streit nie stattgefunden, das kann aber auch tatsächlich mit einem räumlichen Verlassen des Geschehens verbunden sein. Meist begleitet durch dramaturgische Höhepunkte wie dem Zuknallen einer Türe wird solchermaßen dem Gegenüber – aber auch sich selbst – die die Chance genommen, den offenen Konflikt auszuleben und dabei doch noch gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Im betrieblichen Kontext – wie auch in Beziehungen – kann auch die innere Kündigung als eine Erscheinungsform von Flucht immer wieder festgestellt werden: es fehlt dann nur noch der als geeignet empfundene Anlass, auch nach außen hin diesen Schritt zu vollziehen. Der vermeintliche Vorteil dieses Konfliktverhaltens, Ruhe und Abstand gewinnen zu können, wird sehr wahrscheinlich bei der nächsten Begegnung wieder wettgemacht: der Wiedereinstieg zumindest auf dem Eskalationsniveau, zu welchem das Streitgeschehen abrupt verlassen wurde, ist sehr wahrscheinlich. Denn das einseitige Unterbrechen kann dazu führen, dass ein latenter Konflikt daraus wird, welcher unbemerkt von den Beteiligten seine Dynamik sogar noch aufbaut und bei dem kleinsten Anlass wie einem Wiedersehen an die Oberfläche drängt.
Vernichtung
Ebenfalls im menschlichen Repertoire enthalten ist die Variante, bei Aufkommen eines Konfliktes das Gegenüber einfach auszulöschen. Das mündet nicht unbedingt in die offensichtliche Tötung, zumal in sich als zivilisiert sehenden Gesellschaften dafür in der Rechtsordnung bis hin zur Todesstrafe reichende Sanktionen vorgesehen sind. Die häufig anzutreffenden verschiedenen Formen des Mobbings und des Rufmords sind allerdings ebenfalls auf die Zielsetzung ausgerichtet, das Gegenüber aus seiner sozialen Absicherung herauszulösen und in dessen Persönlichkeit so weit zu brechen, dass es als Gegner dauerhaft ausgeschalten wird. Dies klingt einerseits sehr effizient und vielleicht sogar den Darwinschen Gesetzmäßigkeiten, wonach nur die stärksten überleben, entsprechend, andererseits kostet dies auch den Menschen, welcher sich dieses Konfliktmusters bedient, enorme Kraft: auch er wird seinerseits ständig auf der Hut sein müssen, selbst einmal an ein Gegenüber zu gelangen, welches stärker ist. Nicht zu übersehen ist auch die in Kauf genommene Selbstschädigung, welche am deutlichsten sichtbar wird anhand sozialer Isolation: „Mit der oder dem ist nicht gut Kirschen essen“ beschreibt hier sehr deutlich, dass die Gesellschaft von Menschen, die gerne auf Konflikte mit Vernichtungsstrategien reagieren, eher gemieden wird.
Unterwerfung
Zufolge Aristoteles ist Sklaverei davon gekennzeichnet, dass jemand um des Überlebens willen auf die Freiheit verzichtet. Diese These ist die Basis für das weit verbreitete Konfliktmuster der Unterwerfung: in der Kindererziehung, in Partnerschaften, in Arbeitsverhältnissen, im Supermarkt, ja sogar oftmals im Umgang von Politik mit den Menschen wird diese Strategie eingesetzt. Es wird demonstriert, der Stärkere zu sein, am längeren Ast zu setzen und dabei auch angedeutet, von der daraus abgeleiteten Gewalt – welche verharmlosend als „Macht“, also etwas freiwillig zugestandenes bezeichnet wird – notfalls auch Gebrauch zu machen, wenn eigene Bedürfnisse und Interessen in Frage gestellt werden. Was dabei nach klaren Strukturen aussieht, solange sich die Unterworfenen beugen, entzieht diesem Personenkreis aber zugleich Eigenverantwortung und somit Selbstbestimmungsrechte. Außerdem ist je nach Persönlichkeitsstruktur der Adressatinnen und Adressaten dieser Strategie ständig damit zu rechnen, dass aufgestaute unterdrückte Emotionen und Bedürfnisse so stark werden, dass es zu einem Putsch kommt: bei Kindern etwa sehr leicht zu beobachten, wenn das „so wohl erzogene gehorsame“ Kind bei der scheinbar kleinsten Kleinigkeit einen Tobsuchtsanfall bekommt.
Delegation
Ähnlich der Geschichte der menschlichen Zivilisierung haben viele Menschen gelernt, dass Konflikten mit der Übertragung der Lösungskompetenz an einen unbeteiligten Dritten beigekommen werden könnte. „Der Dritte“ kann dabei etwas Abstraktes sein wie ein Lexikon oder auch die Rechtsordnung, welche von allen Beteiligten außer Streit gestellt werden und solchermaßen als Instanz anerkannt werden kann, über „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden. Meist handelt es sich jedoch um eine Person, an welche die Eigenverantwortung für die Bewältigung des Konfliktes abgegeben wird: ein Gericht etwa. Dass dabei allerdings meist die Bedürfnisse verdrängt werden durch formalen Spielregeln entsprechende Schriftsätze und juristisch motivierte Strategien, die ein Obsiegen wahrscheinlicher werden lassen, führt dazu, dass oftmals zwei Verliererseiten aus einem delegierten Konflikt hervorgehen. Viele Kulturen, welchen meist abgesprochen wird, zivilisiert zu sein, begegnen dem mit Ritualen, welche zwar eine Delegation grundsätzlich vorsehen, dabei aber Vorkehrungen treffend, die Eigenverantwortung der Streitparteien für die Beilegung des Konfliktes bei diesen größtmöglich zu belassen: der Palaver oder das Ho´oponopono seien hier als Beispiele genannt.
Kompromiss
Beim Kompromiss wird danach getrachtet, durch Zugestehen eines Teilverlustes den Frieden wieder herzustellen. Es wird daher der Friede bezahlt, was für den Fall, dass man das Gefühl bekommt, ihn zu teuer erkauft zu haben, rasch zu neuen Konflikten führt: angetrieben durch das zu kurz gekommene Streben nach Gerechtigkeit in den verschiedensten Spielarten der betroffenen Bedürfnisse.
Konsens
Die höchste Kunst der Konfliktbeilegung ist jene, im konsensualen Miteinander Lösungen zu entwickeln, welche allen Beteiligten die vollständige Berücksichtigung jener Bedürfnisse ermöglicht, welche Antrieb für das Konfliktgeschehen waren. Solchermaßen kann darauf verzichtet werden, das Gegenüber zu besiegen. Stattdessen kann in wechselseitiger Wertschätzung die Energie des Konfliktes für gewinnbringende Ergebnisse eingesetzt werden. Dies ist kräfteschonend; es ist wohltuend, zumal das Gefühl des Miteinanders den eigenen Grundbedürfnissen eher entspricht als jede Form des Kampfes; und obendrein ist es eine Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung in Richtung Befähigung konstruktiven Zusammenlebens.
Welches dieser Muster ist Ihr Lieblingsmuster, das Sie häufig anwenden? Wo haben Sie dabei Vorteile gesehen, mit welchen Nachteilen mussten Sie leben? Werden Sie beim nächsten Streit versuchen, etwas zu ändern?
Im nächsten Artikel wird es einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten geben, Konflikten den Schrecken zu nehmen und sie vielmehr als Chance wahrzunehmen. Bis dorthin: Viel Erfolg beim Auffinden von persönlichen Möglichkeiten, Konflikten die Giftzähne zu ziehen und eine beobachtete Eskalationsspirale rechtzeitig – nötigenfalls mit professioneller Hilfe – zu stoppen!
Weitere Artikel aus der Reihe "Gedanken eines Mediators - die etwas andere Perspektive auf verschiedene Gegebenheiten" finden Sie auf www.lassunsreden.at.