Konflikte - was ist das eigentlich und wie funktionierts (Teil 6: Nachbarschaftshilfe)

Um mit Konflikten besser umgehen zu können, gilt es zunächst einmal, das Entstehen, die Erscheinungformen und die Dynamik dahinter zu erkennen. Mit einer Artikelserie (erster, zweiterdritter, vierter und fünfter Teil sind bereits erschienen) soll jenen Leserinnen und Lesern, die schon mal darunter gelitten haben, im Streit mit an sich geschätzten Menschen hängen zu bleiben, ein kleiner Einblick gegeben werden in die diesbezüglichen Erkenntnisse. Dies kann bereits helfen, sich herauszunehmen aus unangenehmen Auseinandersetzungen und wieder zum Pfad eines konstruktiven Miteinanders zurückzufinden statt sinnloser Verletzungen, die am Ende des Tages keinem helfen. Das Gefühl, nach einer heftigen Auseinandersetzung im darauf folgenden nächsten Moment der Ruhe keine Antwort auf die Frage zu haben, wozu denn die eigene Aufregung und der darauffolgende Angriff wieder gut gewesen sein sollen, wird sich vielleicht auch mit diesem Wissen nicht gänzlich vermeiden lassen. Es wird allerdings etwas leichter, die zur Versöhnung angebotene Hand bei der nächsten Begegnung nicht als eigenen Gesichtsverlust sehen zu müssen. Was man begreifen kann, lässt sich leichter in den Griff bekommen.

Nachdem ein grober Überblick gegeben wurde über das Wesen von Konflikten und das Funktionieren der dahinter steckenden Dynamik soll nun ein Blick darauf gerichtet werden, welche Möglichkeiten es gibt, Konflikten die Giftzähne zu ziehen und statt dessen die in ihnen wohnende Energie für sich und ein konstruktives Miteinander zu nutzen. Nach der Erörterung eigener Möglichkeiten soll nun der Blick darauf geworfen werden, welche Hilfe von außen sich anbietet, was dabei erwartet werden kann und worauf es jeweils ankommt.

Wenn Freunde helfen sollen, Streit zu schlichten

Der gemeinsame Freundeskreis und auch die Familie sind oftmals Zeugen von Konflikten. Es erscheint daher naheliegend, dass hier auch Hilfestellung gefunden werden kann in der Konflikttransformation, also der Umwandlung der destruktiven Konfliktenergie in den konstruktiven Antrieb für gemeinsame Lösungen. Ein Vorteil, der hier erkannt werden kann, ist sicher das bestehende Vertrauensverhältnis und damit die Gewissheit, mit den eigenen Bedürfnissen gesehen zu werden und damit ausreichend Platz zu erhalten, das eigene Fühlen, Denken und Wollen zum Ausdruck zu bringen und zu einer Lösung zu finden, in welcher die eigenen Interessen Niederschlag finden. „Franz kennt mich, er weiß wie ich ticke und er kennt auch Anna – auf ihn hört sie“, wird da wohl die Motivation ausmachen, sich dem Freund mit dem unlösbar erscheinenden Konflikt anzuvertrauen.

Was es zu vermeiden gilt …..

Für den Freund beziehungsweise die Freunde eine sehr ehrenhafte, wenngleich auch herausfordernde Aufgabe. Letzteres kommt in einem Zitat von Johann Paul Friedrich Richter, einem unter dem Namen Jean Paul bekannten deutschen Dichter des 18. Jahrhunderts, sehr deutlich zum Ausdruck wenn dieser dazu festgestellt hat: „Nichts ist gefährlicher, als zwei Menschen auszusöhnen – sie zu entzweien, ist viel sicherer und leichter.“ Auch in der Praxis hört man oftmals Geschichten, wo Menschen unter Seufzen berichten, dass sie sich in Streit unter Freunden nicht mehr einmischen werden, zumal sie sich da schon einmal plötzlich in der Situation wiedergefunden haben, dass die beiden Streithansln sich zwar wieder verstanden haben, aber auf wundersame Weise plötzlich sie es waren, gegen den oder die sich die aufgestauten negativen Gefühle gerichtet haben. In der Tat gilt es behutsam zu sein, als freundschaftliche Vermittlungsinstanz etwa eigene Rollenbindungen nicht zu übersehen: Bin ich geeignet, hier zu vermitteln oder spiele ich vielleicht sogar selbst eine Rolle im Konflikt? Gibt es zu dem zu vermittelnden Streit eine thematische Verbindung von mir zu einer der beiden Seiten? Die eigene Bedeutung im Konfliktumfeld zu kennen ist unverzichtbar. Wird hier etwas übersehen, so kann es – wie es Rosi im nachstehenden Beispiel passiert – rasch ein Hineinkippen in den Konflikt drohen mit der Gefahr einer Ausweitung und Eskalation.

Rosi möchte den Streit zwischen dem Mann ihrer Schwester und ihrer Mutter schlichten. Sie findet es einfach blöd, dass da wegen Lappalien wie der Frage, ob denn die AHS oder die Hauptschule die besseren Voraussetzungen für die Ausbildung ihrer Nichte darstellen, zynische Kommentare ausgetauscht werden von den beiden. Ehe sie sich versieht steht allerdings plötzlich Rosi im Mittelpunkt des Zankes zwischen den beiden: plötzlich soll sie sich gegenüber ihrer Mutter rechtfertigen, weshalb sie es nicht zu schätzen wisse, selbst die AHS besucht haben zu dürfen trotz aller Entbehrungen, die ihre Mutter dafür hat hinnehmen müssen um ihr einen besseren Start ins Leben zu ermöglichen, als sie selbst es hatte.

Die Grenze für die Chance einer erfolgreichen Intervention durch Nachbarschaftshilfe liegt obendrein dort, wo ein Konflikt an der Grenze zur Eskalation in die Stufe vier (Koalitionen) steht. Ab diesem Punkt besteht nämlich die Gefahr, dass die Konfliktparteien im hinzugezogenen „Nachbarn“ nur einen potenziellen Verbündeten für den jeweils vertretenen Standpunkt sehen. Schnell kann dann eine Verstrickung in das Konfliktgeschehen erfolgen. „Du siehst das doch auch so“ ist da eine sehr deutliche Falle (man nennt das auch Triangulationsversuch), in welche man keinesfalls hineintappen darf mit einem „Natürlich.“; derlei Bestätigungen werden von der anderen Seite des Konfliktes nämlich argwöhnisch zur Kenntnis genommen und sofort als Koalitionen gegen sich selbst gedeutet – und schon steckt man auch selbst im Strudel der Eskalation.

… und was man mitbringen sollte

Es bedarf der Bereitschaft, sich geduldig beide Sichtweisen anzuhören, und einer gewissen konstruktiven Neugier, um durch gezielte Fragen an die jeweiligen Beweggründe heranzukommen. Anders als bei einem Kaffeehausklatsch ist nämlich niemandem gedient, wenn vorschnell Ratschläge erteilt werden, die sich nur allzu oft als Bumerang erweisen und schon rasch zu einer weiteren Eskalation statt einer intendierten Transformation des Konfliktes führen. Die Qualifikationen eines Moderators beziehungsweise einer Moderatorin sollten für einen erfolgreichen Einsatz als Nachbarschaftshilfe also unbedingt gegeben sein. Es bedarf zunächst keiner Lösungsvorschläge, sondern der konsequenten Heranführung der Konfliktparteien an die Bedürfnisebene mit anschließender eigenverantwortlicher Ideensammlung und Lösungsvereinbarung. Auch ist von Bedeutung für den Erfolg dieser Hilfestellung, dass die hinzugezogene Person zu beiden Konfliktparteien in einem ausgewogenen Verhältnis steht und erst aktiv wird, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird.

Wie kann man das angehen?

Für die in einem Konflikt steckenden Menschen ist es meist zunehmend schwieriger, die Übersicht zu bewahren über die eigentlichen Themen des Konfliktes. Die Sichtweisen versteifen sich ja, die Emotionen vernebeln zunehmend die Fähigkeit, Flexibilität zu zeigen und die Bereitschaft, ein Thema auch von einer anderen Seite zu betrachten. Ein wichtiger Schritt wird es daher sein, selbst Ordnung hineinzubringen – was bei ein wenig Neugier und absoluter Befreiung von eigenen Wertungen und Schlussfolgerungen möglich ist. Wird man nun als Freund hinzugezogen und hat man für sich geklärt, dass man sich die Vermittlung zutraut, so stellt sich die Frage, wie man das am sinnvollsten anpacken kann. Hierbei kann der nachstehende beispielhaft skizzierte Weg helfen:

  • Worum geht es eigentlich? Mit solchen ergründenden Fragen kann man übersichtliche Themenpakete schnüren und vielleicht auch mit Moderationskarten veranschaulichen – und solchermaßen durch Ordnung und Übersicht Sicherheit schenken.
  • Welche Sicht haben die beiden? Dabei schafft man es, wenn auf Gesprächskultur geachtet wird, in welcher gegenseitiges Zuhören unverzichtbar ist, dass die dabei eintretende Beruhigung dabei hilft, plötzlich auch die andere Seite zu verstehen wenn man Zeuge all der Fragen wird, die man selbst nicht auszusprechen wagte um nicht als dumm dazustehen, und auch noch die Antworten darauf mitbekommt. Die Fragen des Vermittlers beziehungsweise der Vermittlerin können gar nicht dumm sein, alles ist erlaubt, solange es in wertschätzender Empathie vorgetragen wird.
  • Immer wieder nachfragen, immer wieder zusammenfassen, was gehört wurde und bestätigen lassen, es richtig verstanden zu haben bringt ebenfalls Sicherheit hinein, Ernst genommen zu werden und entschleunigt den Konflikt.
  • Sind beide Seiten solchermaßen zu Wort gekommen gilt es, zu ergründen, was di jeweiligen Beweggründe sind. Da kann es hilfreich sein, die gegenseitige Empathiefähigkeit der Streitparteien wieder zu heben indem man zum Beispiel Hilfe dabei anbietet, gegenseitig einzuschätzen, worum es der jeweils anderen Seite geht – welche Bedürfnisse da jeweils verteidigt werden.
  • Erst wenn das alles geklärt ist sollten die Streitparteien dazu begleitet werden, Lösungen zu suchen, mit denen beide gut leben können. Merkt man, dass da wieder ein Thema aufbricht und im Weg steht, dann einfach wieder von vorne anfangen.
  • Zu guter Letzt gilt es, zu einer gefunden Lösung zu gratulieren und auch gleich festzulegen, wie diese umgesetzt wird: wann, wer macht dabei was, woran erkennt man, dass es gut gelaufen ist, wie werden Nachbesserungen vorgenommen, wenn dies erforderlich scheint.

Was tun, wenn gar nichts mehr geht?

Sollte an einem Punkt erkannt werden, dass man einfach nicht mehr weiterzukommen scheint oder sich die Situation sogar verschlechtert, man als hinzugezogene Vermittlungsinstanz sich nicht mehr wohl fühlt in der Rolle, so ist das nicht weiter schlimm, wenn dies sofort transparent gemacht wird und nicht einfach weitergewurschtelt. Für Konfliktparteien ist nämlich auch das eine wichtige Erkenntnis, die sie da von außen gewinnen können: es geht so nicht mehr weiter und es ist erforderlich, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn weiterer Schaden vermieden werden soll.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass Nachbarschaftshilfe sehr hilfreich sein kann, allerdings nur bei vollständiger Erfüllung der Voraussetzungen

  • Einverständnis beider Konfliktparteien
  • Qualifikation des hinzugezogenen „Nachbarn“ beziehungsweise der hinzugezogenen „Nachbarin“ in den wesentlichen Moderationstechniken
  • Einnahme und Wahrung einer allparteilichen Stellung des hinzugezogenen „Nachbarn“ beziehungsweise der hinzugezogenen „Nachbarin“, also insbesondere keine rollenmäßige Verstrickung und
  • der Konflikt darf in seinem Eskalationsgrad die Stufe vier (Koalitionen) noch nicht erreicht haben.

Ist nur eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben, so ist eine Hinzunahme des „Nachbarn“ beziehungsweise der „Nachbarin“ eher eskalationsfördernd denn hilfreich.

Im nächsten Artikel wird der Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten, Konflikten den Schrecken zu nehmen und sie vielmehr als Chance wahrzunehmen, fortgesetzt. Bis dorthin: Viel Erfolg beim Auffinden von persönlichen Möglichkeiten, Konflikten die Giftzähne zu ziehen und eine beobachtete Eskalationsspirale rechtzeitig – nötigenfalls mit professioneller Hilfe – zu stoppen!

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