Musterfirma ist ein mittelständiges Unternehmen. Es hält sich ganz gut im Wettbewerb. Immer wieder heißt es zwar aus der Finanzabteilung, dass die Kennzahlen zur Sparsamkeit mahnen, aber den rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht es eigentlich ganz gut. Es gibt viele Sozialleistungen, die darüber hinwegtrösten, dass die zum Teil bereits verstaubten Prozesse und Arbeitsanleitungen manchmal nur noch Kopfschütteln hervorrufen können. Dem vor dem Zimmer des Unternehmensvorstandes angebrachten Kasten für das betriebliche Vorschlagswesen, in welchen einiges eingeworfen wurde, vertraut man keine Ideen mehr an. Bringt eh nichts. Aber auch wenn alle jammern, dass es schon keine Freude mehr macht, Bestandteil dieses Unternehmens zu sein, sind insgeheim doch alle froh, hier einen Platz zu haben: das Schielen auf die Konkurrenz zeigt nämlich immer wieder auf, dass es vielleicht doch nicht so schlecht läuft. Und demnächst, so hat die Unternehmensleitung beschlossen, soll einem sogar mehr zum Leben bleiben.

Eines Tages taucht ein neuer Mitarbeiter auf. Plötzlich ist er da. Keiner kennt ihn. Man wurde auch, obwohl das in der Firma für alle Entscheidungen Usus ist, nicht gefragt, ob man Zuwachs möchte. Man hat gehört, dass vor einiger Zeit ein anderes Unternehmen in schwere Schieflage geraten war und dass die dortige Belegschaft schwer zu kämpfen hat. Von dort kommt er angeblich. Hat angeklopft bei der Unternehmensleitung, ersucht darum, eine Chance zu bekommen. Soviel man weiß haben die dann beschlossen, eine Ausnahme zu machen: im Alleingang; ja, der Neue soll anfangen dürfen. Ob jetzt auf Dauer oder nur für eine bestimmte Zeit, das weiß eigentlich keiner von den 100 verdutzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Auch wenn die wenigsten den Neuen bereits gesehen haben, so ist er doch Gesprächsthema Nummer eins. Schnell ist da alles andere vergessen: dass man in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung dringend was ändern wollte; dass man vielleicht doch mal damit beginnen will, die verstaubten Prozesse zu durchforsten, um ein wenig Platz für Innovation und Wachstum zu schaffen; dass man darüber nachdenken wollte, ob es eigentlich so fair ist, wenn alle dieselbe Weihnachtsbelohnung bekommen, wenn es doch einige unter ihnen gibt, die diese dringender benötigen als andere; dass man wieder mal mehr Raum schaffen wollte für die Weiterentwicklung des Zusammenhaltsgefühls.

Alles drehte sich um den Neuen. Von dem eigentlich keiner genau wusste, was er nun bei ihnen machen werde. Der perfekte Nährboden für Gerüchte: schnell hörte man, der Neue sei enorm gefährlich – sei nicht er es gewesen, der da eine ordentliche Mitschuld trug daran, dass das Konkurrenzunternehmen in solche Schwierigkeiten geriet? Sofort wurde gemunkelt, dass es gut möglich wäre, dass der neue Mitarbeiter es nun darauf anlegen könnte, als nächstes das eigene Unternehmen zu sabotieren. Andere fürchteten um das eigene Wohlergehen: wenn die Leute in der Finanzabteilung doch Recht haben sollten, dass man sparen müsse, könnte man sich dann überhaupt auf Dauer einen personellen Zuwachs leisten? Ganz sicher müssten jetzt wegen des Neuen alle Sozialleistungen zurückgefahren werden. Und außerdem: in welcher Abteilung soll denn der überhaupt unterkommen? Er wird sich dort sicher überhaupt nicht auskennen und nur Unruhe reinbringen, weil er alles anders sieht und alles anders machen will. Zwar hat man ja noch bis vor kurzem selbst nach genau einem solchen Hinterfragen der verkrusteten Strukturen gerufen, aber so sicher nicht. Auch gibt es in dem Unternehmen einige Bereich, in welchen man ohnehin ständig Outsourcing betreibt, wo also der Neue vielleicht sogar einen Mehrwert bringen könnte. Aber…

Es gab aber auch einige, die hier eine Chance erkannten. Die einfach gespannt waren auf den Neuen. Die sich sogar für ihn freuten, dass er eine Gelegenheit erhalten sollte bei ihnen, wieder ein wenig Glück in sein Leben zu bekommen. Sie hatten nämlich viel Schlimmes gehört über die Firma, aus welcher er zu ihnen gewechselt ist. Sie machten sich sofort daran, ihm Unterstützung anzubieten: damit er sich rasch zurechtfindet, soll ihm ein Mentor zur Seite gestellt werden; damit er rasch in die Betriebsabläufe Einblick erhält und er rasch die Firmensprache versteht und spricht, soll ihm ein eigener Kurs angeboten werden. Auch wird ihm die Hand gereicht bei den Alltagsproblemen, welchen er sich ausgesetzt sieht infolge des Betriebswechsels: ihm soll, weil die Unternehmensführung darauf nicht vorbereitet scheint, geholfen werden bei der Eingewöhnung in die für ihn ungewohnten Lebensumstände und bei der Suche nach einer ordentlichen Bleibe.

Rasch verschlechtert sich das Betriebsklima. Jene, die Angst haben und gar nicht verstehen können, wie man die von ihnen erkannten Gefahren übersehen kann, geraten immer mehr in die Haare mit den anderen, welche das positiver sehen können. Die Unternehmensführung sieht sich zunehmend dem Problem ausgesetzt, dass die Produktion in Gefahr gerät, da in der Belegschaft Streit im Vordergrund steht. Abteilungen, die bisher problemlos zusammengearbeitet haben, beginnen sich abzuschotten.

Was ist hier falsch gelaufen? Was würden Sie, wenn Sie als Unternehmensberater in diese Firma gerufen würden, anraten?

Übrigens: kommt Ihnen das von einem anderen Thema bekannt vor?

Hans-Jürgen Gaugl bloggt auch auf www.weekend.at - jeden Montag neu

www.weekend.at

Alle Infos zu Mediator Mag. Hans-Jürgen Gaugl, MSc finden Sie auf seiner Website:

http://www.lassunsreden.at/

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

FraMoS

FraMoS bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

Hansjuergen Gaugl

Hansjuergen Gaugl bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

2 Kommentare

Mehr von Hansjuergen Gaugl