Meine Meinung: Die Krux mit der Gerechtigkeit von Steuern

Steuerlast steigert Erwartungshaltung an öffentliche Leistungen …

Dass in unserer Kultur große Erwartungen an den Staat gestellt werden ist ein Faktum, auf welches wir in unserem Alltag immer wieder stoßen. Meist gar nicht mal so bewusst, denn es erscheint so vieles selbstverständlich: Straßenerhaltung, öffentliche Bildungseinrichtungen, Müllabfuhr, Spitäler, öffentliche Verkehrsmittel, Museen, Spielplätze, Polizei – dabei handelt es sich nur um einige Leistungen, zu welchen rasch übersehen wird, dass sie zu den uns gebotenen Konditionen und in der aktuellen Qualität wohl nicht verfügbar wären, stünden diesen nicht entsprechende Ausgabenpositionen in den Budgets der Gebietskörperschaften gegenüber. Zufrieden stimmt die Angebotspalette an Dienstleistungen und Förderungen dabei die wenigsten, da man subjektiv ständig das Gefühl hat, gemessen an der eigenen Inanspruchnahme des Systems ohnehin viel zu viel an Steuern und zahlreichen zusätzlichen Abgaben zu zahlen: am Bezugszettel wird man von der abgeführten Lohnsteuer informiert, beim Einkaufen oder anlässlich der Entrichtung der Miete zahlt man Umsatzsteuer, ohne Entrichtung von Rundfunkgebühr, Müllgebühr, Wassergebühr und Kanalgebühr sind die selbstverständlichsten Dinge in unseren eigenen vier Wänden nicht möglich und bleibt schließlich trotz all der Zahlungen am Ende des Monats noch Geld am Konto, so zahlt man selbst für die mickrigen Zinsen nochmals Kapitalertragssteuer.

Und obendrein bestimmen ständig neue Ideen für Einnahmen in die ewig leeren Staatskassen die Berichterstattung auf den innenpolitischen Seiten der Tageszeitungen: so wird etwa seit Jahren an verschiedenen Modellen einer Straßenmaut gefeilt, als ob Versicherungssteuer, Kraftfahrzeugsteuer und Mineralölsteuer die meist gar nicht einmal so freiwillige Fahrt mit dem eigenen Auto nicht schon genug belasten würden. Kurz: die Menschen sehen, dass sie gutes und hart verdientes Geld unter dem großen Überbegriff Steuern förmlich aus den Geldbörsen gezogen bekommen. Ein Eingriff in ihre Privatsphäre, welchen zu dulden sie als rechtschaffene Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind, für welchen sie dafür allerdings zumindest auch gute Leistungen erwarten. Daher lastet auf den öffentlichen Dienstleistungen ein enormer Erwartungsdruck.

…. und den Ruf nach Entlastung zugleich

Parallel dazu wird immer wieder nach Steuerreformen gerufen: der Sektor Staat verschlinge zuviel an Geld. An Steuergeld. So wie Unternehmensvorständen gerne moral hazard unterstellt wird, also der leichtfertige Umgang mit Unternehmensfinanzen und –risiken, da es ohnehin keine persönliche Tangente der Betroffenheit gäbe in einer Kultur, in welcher Insolvenzen mit staatlicher Intervention entweder verhindert oder auch zumeist erfolgreich als nicht zu verhinderndes fremdbestimmtes Schicksal abgetan werden, so gehört es offenbar schon zum guten Ton, den Finanzministern in unserer Demokratie anzulasten, um das Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger sei ihnen nichts zu teuer. So erscheint es den Menschen nur allzu plausibel, wenn in regelmäßiger Wiederkehr vermeintliche Fehlleistungen der Politik wie auch der Verwaltung angeprangert werden. Abendfüllende Sendeformate werden da ja mittlerweile schon ausgestrahlt, in welchen zum Teil aus komplexen Sachverhalten herausgerissene Vorkommnisse als Geldverschwendung dargestellt werden. Parallel zur dabei aufgezeigten allfälligen Notwendigkeit einer Nachbesserung des in der Verantwortung des Gesetzgebers liegenden Rechtsrahmens ist das Parlament auch immer wieder Adressat der Rufe nach einer umfassenden Steuerreform.

Eine Forderung, bei welcher scheinbar nur die Quadratur des Kreises eine Realisierung ermöglicht: die Abgabenquote ist deutlich zu senken bei zumindest ungeschmälerter Aufrechterhaltung der öffentlichen Leistungen. Bei dieser Gelegenheit sprechen sich die zuständigen Verantwortlichen gerne in öffentlichen Darstellungen gegenseitig die Kompetenz ab, wirksame Maßnahmen zur Steuergerechtigkeit setzen zu können. Natürlich angereichert um Beispiele, welche die besondere Dringlichkeit des Handlungsbedarfs bis hinein in jedes Wohnzimmer spürbar werden lassen: die Spitzensportlerin, welche ihre für die durchschnittliche Arbeitskraft astronomisch erscheinenden Gagen erfolgreich in einem Steuerparadies veranlagen kann während von Sozialleistungen der öffentlichen Hand abhängige Menschen im Supermarkt denselben Umsatzsteuersatz zu entrichten haben wie Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener; von erfolgreich an den Gesellschaftsrand gestellten Gruppen, welchen in Summe Unmengen an Steuergeldern verzehrender Missbrauch der staatlichen Leistungen pauschal angelastet wird bis hin zur gleichzeitigen Darstellung von Rechenbeispielen, wieviel die als überbordend dargestellte Bürokratie in der Steuerung des Staatshaushalts und der staatlichen Leistungen an Volumen für eine anderenfalls mögliche Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bringen könnte. Unter dem solchermaßen geschürten Erwartungsdruck der Öffentlichkeit werden dann Ideen wie jene einer flat tax oder Vorschläge, der jeweils anderen Teilgesellschaft Geld wegzunehmen, aufgegriffen und bestimmen da rasch die innenpolitische Berichterstattung.

In den Parlamenten werden derlei Vorstellungen dann meist wie rohe Eier behandelt. Schenkt man den Expertinnen und Experten Gehör, so erkennt man rasch, weshalb: in einem Steuersystem gibt es von den Grundrechnungsarten oftmals abweichende Effekte, welche der Komplexität der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge auch über Staatsgrenzen hinweg geschuldet sind. Wird etwa der Mineralölsteuersatz angehoben, so ist damit keinesfalls gesagt, dass im selben Verhältnis die Einnahmen im Staatshaushalt aus diesem Titel steigen werden – ja selbst ein gegenteiliger Effekt wurde in der Vergangenheit bereits beobachtet. Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten einer wirkungsorientierten Folgenabschätzung bei grundlegenden Veränderungen im Steuersystem oder auch nur dem bloßen Drehen an einzelnen Schrauben des Einnahmenmotors ist spätestens seit der Griechenlandkrise im Hintergrund stets das Damoklesschwert der Sanktionsmechanismen bei Nichterfüllung budgetärer Zielvorgaben zu spüren: die innerstaatlich in der Rechtsordnung verankerte Schuldenbremse und die Vorgaben auf supranationaler Ebene der EU haben sich spätestens mit der Aufnahme der Arbeit von IWF, EZB und EK in Athen als mehr denn bloß theoretische Rahmenbedingungen eines Budgetpfads erwiesen. Das Schicksal Griechenlands dient als abschreckendes Beispiel, wenn statt der Selbstbestimmung eines Volkes nun technische Vorgaben treten, die manchmal anmuten wie ein Austesten volkswirtschaftlicher Thesen an einem lebenden Objekt.

Die Steuerlücke als Ursache?

Die Notwendigkeit einer Änderung der Systematik der bestehenden Vorschriften, mit welchen der Einnahmen- und Ausgabenhaushalt geregelt wird, ist dabei aus Sicht einiger Expertinnen und Experten gar nicht notwendig. Mit Blick auf die volkswirtschaftlich ermittelten Zahlen zur Steuerlücke, also zum Delta zwischen den theoretisch geschuldeten und den tatsächlich gezahlten Steuerschulden, verweisen diese nämlich darauf, dass hier enormes Potenzial für einen signifikanten Spielraum im Budget wäre. Einen Spielraum, welcher Phantasien der Investitionskraft der öffentlichen Hand ebenso der Umsetzbarkeit näher brächte wie einnahmenseitige Entlastungen ohne Gegenfinanzierungserfordernisse. Die Ursachen für das Bestehen dieser Steuerlücke sind in erster Linie in der Akzeptanz der Abgabenbelastung der Bevölkerung zu sehen.

Ist diese, meist aus Gründen mangelnden Vertrauens in die demokratische Aufgabenerfüllung der öffentlichen Funktionsträgerinnen und –träger bei der Erbringung der dem Gemeinwesen dienenden Aufgaben, niedrig, so ist eine Tendenz zur Selbsthilfe zu beobachten: gleichsam in Notwehr gegen Bevormundung, Fremdbestimmung und bürokratische Schikanen wird das System der Steuererhebung bis über die Belastungsgrenze hinweg boykottiert; die Schattenwirtschaft nimmt dabei in Kauf, auf den von der Rechtsordnung gebotenen Schutz wie etwa die Exekution fälliger privatrechtlicher Schulden oder die sozialversicherungsrechtliche Absicherung im Fall eines Dienstunfalls in die eine wie die Gewährleistungsansprüche in die andere Richtung zu verzichten und auch die Anbahnung der Geschäfte muss ohne Öffentlichkeit auskommen. Dafür entsteht aber das Gefühl der Genugtuung, sich dem abgelehnten System entzogen zu haben und die empfundenen Ungerechtigkeiten des Steuersystems nicht länger mitzufinanzieren. Beobachtungen zur Steuerlücke im Vergleich der Mitgliedstaaten bringen dabei erstaunlicher Weise zu Tage, dass die Höhe der Steuersätze nur von untergeordneter Bedeutung sind: während die eher zu den Höchststeuerländern zählenden Staaten Skandinaviens eine geringe Steuerlücke aufweisen, betrug etwa die Mehrwertsteuerlücke Griechenlands 2012 stolze 33 Prozent. Aus solcherlei Vergleichen unter Berücksichtigung der übrigen Wirtschaftsdaten und der historischen Entwicklungen zeigt sich, dass der empfundenen Verfasstheit der Demokratie eines Landes gemessen an der Steuergerechtigkeit über den bloßen Haushalt hinausgehende Bedeutung zukommt.

Steuergerechtigkeit als Kennzahl des Vertrauens

Bei den Gerechtigkeitskonflikten wird in der Literatur oftmals zwischen vier verschiedenen Haupterscheinungsformen unterschieden: der Verteilungsgerechtigkeit, der Austauschgerechtigkeit, der Vergeltungsgerechtigkeit und der Verfahrensgerechtigkeit. Allen vier Formen ist, auch wenn sie unterschiedlich in Erscheinung treten, gemein, dass jeweils ein Streben nach Gleichheit dahintersteht. Gleichheit wird dabei verstanden als gleich im Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaft bei Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse: So macht eine Gleichheit etwa im demokratischen Verständnis der Wertschätzung der Individualität keinen Sinn, wenn etwa allen Bürgerinnen und Bürgern dieselbe Ausbildung zuteil wird oder derselbe Steuerbetrag vom Lohn einbehalten wird. Bereits Aristoteles erkannte als Merkmal der Nikomachischen Ethik, dass nur Gleiche gleich zu behandeln sind.

Egal, ob es also gilt, Prinzipien zu entwickeln, nach denen eine Verteilung von Lasten und Rechten in einem Staatsgefüge erfolgt, ob es gilt, einen Rahmen zu schaffen für die Sicherstellung einer Balance zwischen Leistung und Profit in Form einer Reziprozität von Nehmen und Geben, einer Angemessenheit von Schuld und Sanktion oder der Ausgewogenheit von Macht: Aufgabe der Gesellschaft ist es immer, möchte sie den Zielzustand von Demokratie als Staatsform einer konsensualen Wachstumsgesellschaft in einem friedlichen Kontext erreichen, für eine konstruktive Aushandlung nicht nur der Interessen, sondern auch der Wertevorstellungen der Individuen zu sorgen. Zentrales Element wird dabei neben der Schaffung des Rahmens für diesen auf Partizipation angewiesenen Aushandlungsprozess auch die Verständigung aller Beteiligten darauf sein, den Dialog stets fortzusetzen, zumal der angestrebte Zustand vollkommener Gerechtigkeit niemals endgültig erreicht werden kann: Es wird immer wieder auch zu Ungerechtigkeitsgefühlen kommen, da nie alles berücksichtigt werden kann.

Je professioneller der Umgang der Politik mit diesen Fragen ist, desto stärker wird die Legitimität der Führung ausgeprägt wahrgenommen werden von Gesellschaft und Individuen bei gleichzeitig starkem Autonomiegefühl: Die getroffenen Vereinbarungen, die in der Rechtsordnung zum Ausdruck gebracht werden, werden als gerecht und damit selbsterklärend empfunden von den Akteurinnen und Akteuren, was in einer hohen Normenakzeptanz zum Ausdruck kommt. Dies wird sich niederschlagen in einer niedrigen Steuerlücke. Steuergesetze, zu denen unter breiter Einbindung aller betroffenen Gesellschaftsgruppen der Reihe nach Status quo, Zielsetzung und Rahmenbedingungen erarbeitet und außer Streit gestellt werden können mit daran anschließender Würdigung der betroffenen Bedürfnisse und darauf aufbauender Einigung auf eine der in diesem Sinne als geeignet identifizierten Alternativen, bieten zugleich die Chance der Festigung der Machtposition einer Regierung, welche auch in den übrigen Kennzahlen der nationalen Entwicklung Niederschlag finden werden. Durch die Transparenz all dieser Schritte auf dem Weg zu den einzelnen identifizierten Alternativen und in weiterer Folge zur getroffenen Lösung ist es nämlich dem beziehungsweise der Einzelnen möglich, die Berücksichtigung der eigenen individuellen Bedürfnisse zu überwachen und sich gegebenenfalls auch aktiv in den Prozess einzubringen.

Transparenz wirkt als Inklusion: Das Verzichten auf die bloße Darstellung von Standpunkten zugunsten einer Offenlegung dahinterstehender Interessen und Zielsetzungen macht es leichter, zu einer Lösung zu ermächtigen, die auch als Einschnitt in eigene Interessen gesehen werden kann. Umgekehrt ist eine empfundene Außerachtlassung von Bedürfnissen auch nur einer Teilgesellschaft bei Fragen der Gerechtigkeit etwa durch eine verfehlte Informationspolitik Anlass, die Legitimierung zum Eingriff in Räume persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten generell infrage zu stellen und mündet in einen empfundenen Konflikt des Individuums mit der Politik. Oder eben in Eröffnung einer Schattenwirtschaft.

Mögliche Schlussfolgerungen

In jenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, in welchen die aus der Finanzkrise erwachsene Krise in der Realwirtschaft noch heute ihre Spuren zieht in Form angespannter öffentlicher Haushalte bei zugleich gebotenen zusätzlichen Investitionen in Forschung, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Infrastruktur und Innovation zwecks nachhaltiger Wiederstärkung des Bruttoinlandsprodukts, erscheint es angezeigt, nicht bloß über Maßnahmen der Steuerpolitik des Landes nachzudenken. Eine vorhandene Steuerlücke ist selten mehr als ein Indiz für Defizite in der demokratischen Verfasstheit eines Staates und die Zufriedenheit und Akzeptanz seiner Einwohner gegenüber dem gelebten System. So sehr daher Anpassungen der Steuergesetze in Richtung Transparenz, Einfachheit und Vollziehbarkeit angezeigt und nicht zu vernachlässigen sind in ihrer Wirkung, ebenso sehr darf dabei nicht übersehen werden, dass das Vertrauen in die Gerechtigkeit eines Steuersystems innerhalb eines demokratischen Gesamtgefüges von essenzieller Bedeutung ist für den Erfolg einer Volkswirtschaft.

Der Finanzverwaltung als solche kommt dabei einerseits die undankbare Rolle zu, lediglich als Exekutivorgan im Sinne der Vorgaben des Parlaments handeln zu dürfen, andererseits hat sie ihr Ohr an der betroffenen Bevölkerung und kann somit in die umgekehrte Richtung erkannte Transparenz- und Mitwirkungsdefizite an die demokratischen Entscheidungsträger zwecks Einleitung eines Optimierungsprozesses herantragen. Das Recht geht vom Volk aus heißt es in einer Demokratie, in Deutschland in Artikel 20 Absatz 2 GG normiert, in Österreich in Artikel 1 B-VG. Diese programmatisch klingende Staatsfundamentalnorm beinhaltet auch für den öffentlichen Haushalt eine ganz wichtige Zutat für ein Erfolgsrezept: sie heißt Steuergerechtigkeit und kann nur in einem gesellschaftlichen Konsens auf Ziele und Eckpfeiler der Steuergesetze geerntet werden. Folgt man Hans-Jürgen Gaugl in seinem Buch „Politische Machtspiele – Schlachtfeld oder Chance“, so kann das von Europa wiederentdeckte Verfahren der Mediation, welches zuletzt etwa im Zusammenhang mit der Lösungsfindung zum Projekt „Stuttgart 21“ für Aufmerksamkeit sorgte, auch hier wertvolle Dienste leisten.

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