Die Rechtsordnung hat die Aufgabe, die Spielregeln des Miteinanders, auf welche sich eine Gemeinschaft verständigt hat, festzuschreiben. Das kann man, stark vereinfacht, durchaus mit der Spielanleitung für ein Brettspiel vergleichen: was ist die Ausgangssituation, welches ist das gemeinsame Ziel und welche Wege sind dabei zulässig, dieses zu erreichen. Natürlich sind es Individuen, welche da wie dort zusammenwirken und so kann es kommen, dass Änderungen gewünscht werden. Beim Gesellschaftsspiel geht das noch relativ simpel: so kann man etwa übereinkommen, dass eine andere als die in der Spielanleitung beschriebene festgelegte Würfelzahl erforderlich ist, bevor weitergezogen werden darf. In der Sammlung von Paragraphen, die für alle in einer Gesellschaft gelten sollen, ist das etwas komplexer. Zwar geht in einer Demokratie per definitionem die Herrschaft ebenfalls von der Gemeinschaft aus, allerdings gibt es da einige Faktoren, welche rasch ein Eigenleben entwickeln können. Ein Eigenleben, in welchem übersehene oder nicht ausreichend bedachte Zusammenhänge die Gemeinschaft vor scheinbar unlösbare Aufgaben stellt.

Was ist Familie eigentlich ...

Ein solches Feld ist die Familienpolitik in ihrem Spannungsverhältnis zu den Bedürfnissen der Menschen einerseits und auch dem Familienrecht selbst, welches von ihr gestaltet wird, andererseits. Bereits der Begriff der Familie ist einer, zu welchem die Realität den Paragraphendschungel regelmäßig überholt: Patchworkfamilien, das Schwinden des generationenübergreifenden familiären Zusammenhalts und auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kinderwunsch überfordern den Gesetzgeber scheinbar dabei, den Bedürfnissen aller Menschen gerecht zu werden. Bruchstückhaft werden da alte Bestimmungen in Kompromissen, welche niemandem so recht dienen, scheibchenweise angepasst.

Gleichberechtigte Gesellschaft auch in der Familie von Vorteil ...

Besonders deutlich ist auch der Widerspruch zwischen dem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Familienbild, auf welchem das Ehe- und Familienrecht in seinen Grundsäulen aufbaut, und den Spuren, welche die Gesellschaft im gewandelten Bild von Mann und Frau tief in das reelle Funktionieren von Familie hinein hinterlassen hat. Die Vorstellung vom die Familie ernährenden Mannes und der fürsorglichen Frau und Mutter am häuslichen Herd ist längst überholt. Was auch gut so ist, denn Mann und Frau haben gleichermaßen Anspruch darauf, ein selbstbestimmtes und selbstverwirklichendes Leben zu führen. Auch für Beziehungen ein Mehrwert, denn die auf wirtschaftlichen Zwängen und Abhängigkeiten aufbauenden Partnerschaften sind in den seltensten Fällen das geeignete Rezept für empfundenes Lebensglück. Auch für den Fall, dass der Gedanke der Zweisamkeit scheitern sollte, bietet diese emanzipierte Einstellung viele Vorzüge: während früher meist die Frau selbst nach dem Scheidungsspruch in einer belastenden wirtschaftlichen Abhängigkeit vom einstigen Mann verblieb und dieser schwer damit zu kämpfen hatte, finanziell eine neue Basis für die eigene revidierte Vorstellung von Lebensglück zu schaffen, sind Fragen des Ehegattenunterhalts heute nur noch auf geringere Beträge beschränkt, welche dem immer noch bestehenden statistischen Einkommensunterschied zwischen Mann und Frau geschuldet sind. Ein Schritt in Richtung Befähigung der Menschen, ihr Lebensglück eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen – in einer Partnerschaft wie auch nach einer solchen, die gescheitert ist.

... wobei konsequente Antworten fehlen, wenn Partnerschaften mit Kindern scheitern

Was dabei allerdings offenbar übersehen wurde bei dieser an sich erfreulichen Entwicklung, das sind die Kinder. Ist es bereits in funktionierenden Partnerschaften eine Herausforderung, die Betreuung und Erziehung der Kinder zwischen zwei berufstätigen Menschen aufzuteilen, so tappt die Gesellschaft wie auch die Rechtsordnung samt der Familienpolitik schlichtweg im Dunkeln, was im Trennungsfall mit den Kindern zu geschehen hat. Die ausführliche Definition des Kindeswohls in Gesetzen wie auch diesbezügliche Ausführungen der Judikatur und salbungsvolle Reden dazu seitens der Politik können kein Kind darüber hinwegtäuschen, dass man hier offenbar mit dem Latein am Ende ist. Hat sich früher für ein Kind auch nach einer Scheidung wenig geändert, da die Väter berufsbedingt auch in einer aufrechten Ehe meist nur am Wochenende greifbar waren und die Mutter unverändert die zu Hause stets bereite Hauptbezugsperson war, so ist das jetzt alles anders: in aufrechten Beziehungen sprechen sich Vater und Mutter auch im Alltag ab, wie die möglichst kindgerechte Betreuung aufgeteilt wird. Mama und Papa sind gleichermaßen für das Kind da, beide sorgen finanziell wie auch emotional für den Nachwuchs. Scheitert nun die Beziehung der Eltern, so scheint es fast, als wäre das auch ein Bruch der Gesellschaft mit den eigenen Errungenschaften der Entwicklung von Gleichbehandlung während der letzten Jahrzehnte: plötzlich soll das Kind wie ein Gegenstand des ehelichen Gebrauchsvermögens behandelt werden und einem der beiden „zugesprochen“ werden. Ein Elternteil soll nun für die überwiegende Betreuung zuständig sein während der andere die finanzielle Last alleine zu tragen hat. Deja vu? Kommt einem das nicht bekannt vor? Ist das nicht jenes Familienbild, von welchem man sich im Namen der Emanzipationsbewegung der Frauen schon vor langer Zeit abwenden wollte?

Es ist Zeit, Gleichberechtigung weiterzudenken

Es ist Zeit, dass da mal konsequent weitergedacht wird. Konsequent - was bedeutet, dass man sich mit höchstrichterlichen Ausführungen nicht zufrieden geben darf wie mancherorts aktuell nicht nachvollziehbarer Applaus der Anschein erweckt wird, wenn darin doch wieder nur Lippenbekenntnisse der Politik in jede wie auch immer gewünschte Richtung untermauert werden können, weil die Auswirkungen auf verwaltungsrechtliche und zivilrechtliche Ansprüche wohlweislich ausgespart werden: so hat der Verfassungsgerichtshof Österreichs dieser Tage etwa in einem salomionischen Spruch zwar betont, alle Gerichte seien angehalten, auch die Doppelresidenz als eine Alternative zu prüfen, wenn sie zum Kindeswohl geboten ist, gleichzeitig aber praktische Fragen wie jene der Auswirkungen auf die Alimentenhöhe oder das Meldegesetz ausgespart. Gleichberechtigung darf nicht dort Halt machen, wo es um die Möglichkeit der gleichberechtigten Selbstverwirklichung von Mann und Frau geht. Der Gedanke muss im Hinblick auf das Familienrecht weitergedacht werden, wo Partnerschaften enden: und zwar zum Wohl der Kinder. Für diese hält die erfolgreiche und begrüßenswerte Weiterentwicklung des Gendergedankens derzeit nämlich nur Vorteile parat, so lange die Beziehung der Eltern funktioniert. Danach kommt es für Kinder zur gesellschaftspolitischen Zeitreise, woran das viel strapazierte Wort „Kindeswohl“ allein nichts zu ändern vermag. Kindeswohl, Gleichberechtigung und Selbstverwirklichung müssen auch nach einer Scheidung vereinbare Zielsetzungen bleiben.

Eine von vielen möglichen Ideen

Ein möglicher Ansatz könnte es sein, die Zuständigkeiten von Familiengerichten grundlegend zu reformieren: auch nach dem Scheitern von Beziehungen müssen Mann und Frau verstärkt dazu angehalten werden, einander auf der Elternebene wertschätzend zu begegnen und in Eigenverantwortung zu agieren. Auch in aufrechten Beziehungen wird ja nur im Ausnahmefall nach dem Richter gerufen, wenn es um Fragen der Kinderbetreuung und -erziehung geht. Und Elternschaft kann nicht geschieden werden. Ein möglicher Ansatz könnte es daher sein, dass die im Eherecht vorgeschriebene Trennungszeit dazu genutzt werden muss, in dieser Phase eine detaillierte Vorstellung darüber auszuarbeiten, wie die gerechte Aufteilung der kindergerechten Betreuung, Erziehung und Finanzierung des Nachwuchses weiter gewährleistet werden kann auf dem bisherigen Niveau der – es kann gar nicht oft genug betont werden – von der Scheidung unberührten Elternschaft. Keine Partnerschaft ist wie die andere – das hat der Gesetzgeber ja bereits erkannt durch eine deutliche Reduktion seiner Vorstellungen von ehelichen Pflichten. Daher sollte auch jede Trennung individuell behandelt werden können mit einer weitgehenden Reduktion von Einheitsbreivorstellungen aus dem vorigen Jahrhundert. Es lebe die gleichberechtigte Selbstbestimmung auch dann, wenn es um die Aufteilung der Aufgaben zur Erfüllung der Bedürfnisse von Kindern geht. Vor wie auch nach einer Trennung. Ohne staatliche Einmischung – gerne aber mit staatlicher Unterstützung in diese Richtung als Fortschreibung des die letzten Jahrzehnte beschrittenen Weges.

Mediation als Chance in diesem gesellschaftspolitischen Dilemma

Mediation kann hier ein wertvoller Begleiter sein bei der Bewältigung dieser Herausforderungen: im Großen, also in der gesellschaftspolitischen Aufarbeitung der erforderlichen Rahmenbedingungen, wie auch im Kleinen, also den einzelnen Familien bei der Entwicklung ihrer höchstpersönlichen Lösungen. Der immer lauter werdende Konflikt, in welchem alle Beteiligten - also Männer und Frauen wie auch Kinder - sich nicht mehr wahrgenommen fühlen mit ihren berechtigten Sorgen und Bedürfnissen, kann so zu einer Chance umgewandelt werden auf eine Gesellschaft, in welcher auch eine Trennung der Eltern zu keinem seelischen Beinbruch für die Kinder wird.

Dieser Artikel folgt der Einladung von Chrstina Wenz zur Blogparade "Konflikte als Chance". Nähere Informationen zu Mediation finden Sie auch unter www.lassunsreden.at

Fotocredit: pixabay

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