Meine Meinung: Wahlkampf und Dirty Campaigning

Dirty Campaigning ist die aus den USA übernommene Bezeichnung für eine ebenfalls von dort importierte Methode der politischen Auseinandersetzung besonders zu Wahlkampfzeiten. Das Kräftemessen der wahlwerbenden Gruppierungen findet dabei nicht in einem konstruktiven Feld der Bewerbung besserer Angebote für die weitere Ausgestaltung unserer Gesellschaft angesichts immer neuer Herausforderungen statt. Vielmehr wird die Energie darauf verwendet, das politische Gegenüber durch persönliche An- und auch Untergriffe herabzuwürdigen, um auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und den Erinnerungswert für die eigene Gruppierung zu erhöhen. Statt mit den Bürgerinnen und Bürgern konstruktive Lösungen zu erarbeiten und deren Umsetzung am Wahltag anzubieten, geht es in der öffentlichen Darstellung zunehmend darum, den Mitbewerb der Lächerlichkeit preiszugeben. Spätestens seit der Erkenntnis, dass ein effektiver Wahlkampf bereits am Tag nach einer Wahl von neuem beginnen muss, zeichnet sich dabei eine nachhaltige Beeinflussung der atmosphärischen Gegebenheiten ab: von welcher sich die Wählerinnen und Wähler entweder mit Grauen in zunehmender Politikverdrossenheit abwenden, oder sich auch anstecken lassen bis hinein in die alltäglichen Begegnungen untereinander. Die Kommentare unter den Postings mit politischen Inhalten geben ein deutliches Bild davon und auch das Klima an den Stammtischen in den Wirtshäusern verraut zunehmend, wenn das Gespräch auf ein politisches Thema kommt.

Dass es den Menschen, welche die Fäden in den einzelnen politischen Parteien ziehen, dabei um sehr viel Symbolik geht, um sehr viel Theaterdonner, ist all jenen bekannt, welche die Gelegenheit haben, die Akteurinnen und Akteure auch abseits der öffentlichen Bühne beobachten zu dürfen: was sich da vor laufender Kamera noch so anhört, als könnte man einander nicht einmal so weit vertrauen, dass man sich gegenseitig eine Wurstsemmel abkauft, sieht beim anschließenden Verlassen des Studios ab dem Moment, in dem wieder die Privatsphäre dominiert, meist wieder vollkommen anders, ja nahezu amikal aus. Auch die Cafeteria im Parlamentsgebäude oder die Räume, in welchen nichtöffentliche Verhandlungen und Ausschussarbeit stattfinden, wissen hier ein diesbezügliches Zeugnis abzugeben, welches oftmals so gar nicht übereinstimmt mit den im Plenarsaal und über Presseaussendungen geschwungenen Kampagnen zur Desavouierung der Vertreterinnen und Vertreter anderer politischer Haltungen.

Was bewirkt dirty campaigning also eigentlich, wenn es eigentlich doch meist nicht einmal ernst gemeint ist in den Inhalten? Dass damit Aufmerksamkeit geweckt werden kann ist wohl außer Streit zu stellen; wobei dies ein Punkt ist, welchem in den USA eine ganz andere Bedeutung zukommt angesichts der nicht mit europäischen Verhältnissen vergleichbar stark zersplitterten Medienlandschaft, welche sich – anders als in Europa – nicht mit ein paar Presseaussendungen über das ganze Bundesgebiet davon überzeugen lässt, ein politisches Thema aufzugreifen und die eigenen Standpunkte abzubilden. Aber dennoch gilt auch hier: Skandale verkaufen sich besser als konstruktive Vorschläge.

Eines der Hauptmotive ist sicher die Erwartung, das eigene Wahlergebnis und die eigene Akzeptanz in der Bevölkerung solchermaßen steigern zu können. Inwieweit diese Rechnung aufgehen kann, hat ein Forscherteam bestehend aus Stephen Hamann, Clint Kilts und Drew Westen in einer bis heute viel beachteten neurobiologischen Studie (zu den methodischen Details wird auf die diesbezügliche Publikation im „Journal of Cognitive Neuroscience“, Ausgabe 18/2006, S 1947-1958 verwiesen) untersucht: bei jeweils 15 erklärten Anhängerinnen und Anhängern eines politischen Lagers wurden die Gehirnaktivitäten gescannt während ihnen widersprüchliche Aussagen sowohl von Repräsentantinnen und Repräsentanten der eigenen politischen Gesinnung, als auch solche des gegnerischen Lagers und politikferner Personen vorgespielt wurden. Im Resultat wurde dabei zusammengefasst beobachtet, dass zu den der eigenen Gesinnung entsprechenden Personen nicht nur eine hohe Toleranz besteht hinsichtlich offensichtlicher Widersprüche, welche als solche nicht erkannt werden. Es wurde dabei nämlich auch – und das ist das spannende an dieser Studie – beobachtet, dass es den Probandinnen und Probanden hier nicht einmal möglich war, die Widersprüche zu erkennen: das eigene Hirn erkennt die emotionale Bedrängnis durch das rational erkannte Problem in der eigenen Wertewelt sofort und bietet in Sekundenbruchteilen eine Auflösung an; damit nicht genug wird jene Region des Hirns aktiviert, welche für die hormonelle Steuerung großen Lustempfindens zuständig ist, um sich quasi zu belohnen für die erfolgreiche Cachierung des objektiv unzweifelhaften Widerspruchs.

Das Umlegen dieser Erkenntnisse auf die Auswirkungen von Dirty Campaigning bedeutet daher: je stärker versucht wird, das Gegenüber durch Aufzeigen von Widersprüchen in dessen Argumentation zu verunglimpfen, desto stärker werden die Anhängerinnen und Anhänger des gegnerischen Lagers an dieses emotional gebunden. Jeder Widerspruch, welcher einer Parteichefin oder einem Parteichef nachgewiesen wird, gibt deren beziehungsweise dessen Anhängern einen bestärkenden Kick. Ein Phänomen, welches übrigens auch in den social media stark beobachtet werden kann und damit die oben genannte Studie nochmals ausweitend verifiziert: je stärker auf eine Partei hingeschlagen wird, desto fanatischer werden die Anhängerinnen und Anhänger reagieren – unfähig, auf die offensichtlichsten Argumente einzugehen, welche sie an anderer Stelle sogar selbst gebrauchen.

Dirty Campaigning scheint daher lediglich geeignet, Aufmerksamkeit zu erwecken und die ohnehin schon bestehenden Anhängerinnen und Anhänger – so sich diese Methode mit ihrem Werteempfinden deckt und sie sich nicht angewidert abwenden von Politik – näher an die jeweiligen Lager zu binden. Abwerbung wird kaum gelingen – eher das Gegenteil. Der Preis von Dirty Campaigning ist dabei ein hoher: die aus reiner Kalkulation und ohne direkte emotionale Notwendigkeit dargestellten Untergriffe mit Stilmitteln hocheskalierter Konflikte setzen sich in der Gesellschaft fort (siehe auch Gaugl (2015). Politische Machtspiele – Schlachtfeld oder Chance; Springer) und gewinnen dabei sogar noch an Dynamik. Ansonsten friedlich miteinander auskommenden Menschen werden in Lager zerrissen und sind nur noch unter höchster Anstrengung in der Lage, die Dynamik, in deren Sog sie da geraten, noch aus eigenem zu steuern. Während also in symbolischem Krieg miteinander stehende Parteivorsitzende abseits der Öffentlichkeit wieder auf ein Bier gehen, ziehen sich die Risse zunehmend durch die Gesellschaft.

Meine Meinung: das ist verzichtbar und es ist Zeit, dass alle Menschen beginnen, die Anstrengung auf sich zu nehmen, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten: beispielsweise durch Zuhören auch bei Meinungen, welche auf den ersten Blick vollkommen diametral dem eigenen Weltbild entgegen stehen; durch deutliche Artikulation, dass destruktiver Wettbewerb nicht gutiert und statt dessen ein konstruktives Miteinander zu ohnehin nicht wegargumentierbaren Herausforderungen gefordert wird; oder durch zahlreiche andere Schritte, welche jede Einzelne und jeder Einzelne selbst in der Hand hat und nicht darauf warten muss, dass „die da oben“ was ändern.

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fischundfleisch

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Hansjuergen Gaugl

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Silvia Jelincic

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