Gerade noch hat sie gelacht. Sich gefreut, ihn kennengelernt zu haben. Behutsam und entschlossen zugleich hatte sie eben noch dem jungen Mann, welcher an ihrer Seite in Richtung der naheliegenden Metro-Station ging, die Hand gereicht. In letzter Zeit hatte sie sich oft gefragt hat, weshalb nur alle Welt ihre Alltagskulisse als die Stadt der Liebe bezeichnet. Und jetzt war auch sie selbst dabei, endlich wieder diesem Zauber zu verfallen und genoss es, diese stimmige Atmosphäre um sich zu haben während sie händchenhaltend an den geschichtsträchtigen Fassaden der Stadt vorbeispazierte.

Der nächste Moment brachte jedoch keinen weiteren Schritt in Richtung des in den Gedanken der beiden bereits präsenten Verschmelzens der beiden Körper. Statt der Krönung eines gelungenen Abends mit der Chance auf den damit verbundenen Start der Unbeschwertheit einer jungen hoffnungsfrohen Beziehung wartete nämlich das abrupte Ende des Lebens auf die beiden. Statt des Feuerwerks der Lust war es das Getöse eines Maschinengewehrs, welches in das Leben der beiden trat, als sie gerade an einem der typischen Cafes des 10. Arrondissements vorbeikamen. Aus. Aus das Leben. Ausgelöscht, weil es in dieser Nacht einer Handvoll Menschen danach war, ihnen unbekannte Leben zu beenden.

Diese Schüsse in der Nacht vom 13. auf den 14. November 2015 haben weit mehr angerichtet, als das Leben von mehr als 120 Menschen auszulöschen. Das Leben von Menschen mit Träumen, mit Hoffnungen und Plänen; das Leben von Mitgliedern von Familien, welche nun in fassungsloser Trauer zurückgelassen wurden. Diese Schüsse haben Paris erstummen lassen. Haben aber ebenso ganz Europa eindrucksvoll vor Augen geführt, dass die nur von den Schlagzeilen aus den Tageszeitungen bekannten Auswirkungen von Gewaltbereitschaft in der Welt auch hier rasch Realität werden können.

„Das ist Krieg“, „Krieg in Paris“ sind heute die Überschriften, welche die Titelseiten der französischen Presse zieren. Jetzt heißt es, vorsichtig zu sein. Denn: ein Erwachen aus der Schockstarre, dass nicht nur in den den meisten Menschen lediglich aus der Medien bekannten Ländern Geschichten wie die eingangs skizzierte Realität werden können, darf nicht münden in blinden Hass und blinde Wut. Das hieße nämlich, die mit den Anschlägen der Nacht begonnenen Werke zu vollenden. Und die überspitzten Schlagzeilen tatsächlich Realität werden zu lassen.

Es ist grauenhaft, was die Pariser Bevölkerung gerade durchmacht – man sollte bitte aber gerade jetzt die Hoffnung nicht aufgeben, dass es gelingen wird, das Schöne im Leben gerade auch in dieser wunderbaren Stadt weiterhin zu sehen. Daher ziert diesen Artikel auch kein Schreckensfoto, von denen ohnehin gerade genug zirkulieren. "Das wunderbarste Märchen ist das Leben selbst" hat Hans Christian Andersen geschrieben. Wenn es so gewünscht wird, dann kann gerade in schwierigen Zeiten diesem Zitat die notwendige Kraft entnommen werden: dem entsprechenden Wollen hat dann lediglich die erforderliche Entschiedenheit im Handeln zu folgen – im gemeinsamen Handeln.

Auch wenn Wut, Trauer und Ohnmacht spätestens heute in Europa angekommen sind, präsent sind nicht bloß durch Mitgefühl mit den vor dem Grauen im Nahen und auch Mittleren Osten, sondern in eigener Betroffenheit. Auch wenn alles nach Vergeltung schreit und nach Abwehr der in jedem fremdländischen Gesicht erkannten Gefahr. Es gibt kaum ein Glück, welches am Unglück anderer aufbaut und Bestand haben kann. Europas Antwort auf den Terror darf nicht jene der USA sein, welche zum Krieg gegen ihn aufgerufen hat. Ein solcher ist nämlich wenig erfolgreich, wie auch heute noch die Nachrichten aus Afghanistan zeigen, einem Land, in welchem einst nach den Anschlägen auf die Twin Towers eine Keimzelle desselben gesehen wurde. Europas Antwort sollte Entschiedenheit sein zum Miteinander: wenn die über 500 Millionen Menschen, welche in der Europäischen Union wohnen, klar und unmissverständlich zeigen, dass sie im Schulterschluss bereit sind, der Gewalt und der Hetze keinen Raum im Alltag zu geben, so hat dies weit mehr Macht, als es die Terroristen jemals haben können.

Ich bete für Paris, ich bete für Europa, ich bete für die Welt – ich bete für Menschlichkeit: dafür, dass die Sehnsucht der Menschen nach dem Schönen, der Liebe und dem Glück so allgegenwärtig wird, dass für Gewalt kein Platz mehr bleibt.

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Silvia Jelincic

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FraMoS

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Hansjuergen Gaugl

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