Franz sitzt auf einem dieser hellbraunen Sessel, welche durch eine eiserne Konstruktion zusammengehalten die eine Seite des kühl wirkenden Ganges zieren. Unbequem. Hart. Und dass man den Sessel nicht wenigstens ein wenig verrutschen kann, um besser sitzen zu können, macht ihn narrisch. Überhaupt verspürt er gerade den inneren Zwang, einfach davonzulaufen. Es liegt dieses Gemisch aus einem penetrant riechenden Reinigungsmittel, angeröstetem Zwiebel und einem nicht identifizierbaren Geruch, welcher auf den meisten Ämtern anzutreffen ist, in der Luft. Die erdrückende Stille wird nur unterbrochen vom Ticken des Sekundenzeigers der an den Charme der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnernden Uhr, welche am Ende des Ganges hängt. Gedankenverloren versucht er, sich abzulenken mit der Lektüre einer dieser Broschüren, die da auf dem Tischchen neben der Sesselreihe liegen. Auch wenn das merkwürdig dumpfe Licht das Lesen nicht unbedingt erleichtert, kann er doch den Text entziffern.
Doch was er da liest beruhigt nicht wirklich: da steht was über Kommunikationstipps, über Besuchscafes, über Selbsthilfegruppen für alleinerziehende Mütter. Er kann hier nichts erkennen, was ihm das Gefühl von Angst, Ohnmacht und Wut nehmen kann. Franz dreht es halb den Magen um, als er vom Ende des Ganges Schritte näher kommen hört. Er hält sich so krampfhaft fest an der Aktenmappe, welche er auf seinem Schoß abgelegt hat, dass er das Pochen des Blutes in den Fingergliedern spürt. Als zwei Personen um die Ecke biegen verspürt er wenigstens die Gewissheit, Helenes Gang noch zu erkennen: die Mutter seiner beiden Söhne, mit der er eigentlich einmal gedacht hat, glücklich sein zu können, bog mit ihrer ihm bereits bekannten Rechtsanwältin um die Ecke. Die beiden Damen verstummen beim Anblick von Franz, welcher sich im Moment, wo sich sein Blick mit jenem Helenes trifft, kurz die Frage stellt, ob es die ungewohnte Krawatte ist, die seinen Hals so zuschnürt. Nach dem Austausch eines flüchtigen „Hallo“ ziehen sich die beiden Frauen in eine Ecke zurück. Kurz bevor aus dem Lautsprecher ein knisterndes „Scheidungssache“ mit anschließender Nennung des noch gemeinsamen Familiennamens ertönt, kommt doch noch der Anwalt von Franz. „Endlich jemand, der mir hier hilft“ fährt es durch den Kopf des bereits jetzt verschwitzten Mannes.
Schenk uns bitte ein Like auf Facebook! #meinungsfreiheit #pressefreiheit
Danke!
Situationen wie diese spielen sich ununterbrochen in unseren Gerichten ab. An sich ja nichts Schlimmes, hat doch bereits das Josephinische Ehepatent 1783 auf Grundlage eines Gutachtens von Hofrat Heinke erkannt, dass „das Recht der Natur die Trennung jeder vollzogenen Ehe aus der Wesenheit der Handlung erlaubet, weil jeder Vertrag entweder durch beiderseitige Einwilligung oder wegen Verletzung desselben von einem Theile aufgehoben werden kann.“ Dass eine solche Trennung allerdings im Falle, dass Kinder aus der Beziehung hervorgekommen sind, auch für diese weitreichende Folgen hat, wurde erst sehr spät erkannt und aufgegriffen. Wobei dieser Prozess bis heute noch wenig zufriedenstellend ist, wenn man bedenkt, dass der Gesetzgeber zwar bereits eine Definition des Kindeswohls aufgenommen hat in die Rechtsordnung, die Idee der praktischen Umsetzung aber irgendwie in den Kinderschuhen zu stecken scheint.
Betroffen ist jedenfalls eine nicht zu unterschätzende Bevölkerungsgruppe, die es eigentlich Wert sein muss, dass hier deutlich mehr Anstrengungen als bisher unternommen werden. In 252.000 österreichischen Familien haben sich die Eltern getrennt. 102.000 von der Statistik als „Mütter in Ein-Eltern-Familien" bezeichnete Frauen mit durchschnittlich 1,36 Kindern unter 15 Jahren in ihrem Haushalt stehen vor der Herausforderung, mit dem ehemals geliebten Partner einen Weg zu finden, die Aufgaben des Elternseins unverändert zu leben. Eine unmenschlich anmutende Aufgabe in vielen Fällen, in welchen die Trennung als Paar tiefe Verletzungen mit sich gebracht hat. Eine noch viel schmerzhaftere Situation für die betroffenen Kinder, für welche ein Elternteil – dank der gesellschaftlichen Übereinkunft meist der Vater – jemand ist, der nicht die ihm eigentlich zukommenden Aufgaben im Alltag erfüllen kann; nicht etwa zur Verfügung steht, um das Frühstück zuzubereiten und für letzte Ratschläge vor dem Einstieg in den Berufs- beziehungsweise Schultag gut zu sein.
Was macht es eigentlich so schwer, dass Eltern auch nach der Erkenntnis, das Band der Partnerschaft lösen zu wollen, die elterliche Verantwortung weiterhin ungeschmälert wahrzunehmen? Welcher Teufel reitet hier Menschen, eigene Verletzungen noch Jahre später am Rücken der Kinder ausleben zu wollen und allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz ein Konfliktverhalten vorzuleben, welches darauf bedacht ist, dem ehemals an der eigenen Seite gestandenen Menschen Schaden zuzufügen? Was geht hier in einem Kind vor, dessen erste Bezugspersonen, über welche es sich identifiziert hat während der ersten Lebensjahre und zu welchen es Urvertrauen aufgebaut hat in unnachahmlicher Liebe, einander nur noch Prügel vor die Füße werfen und es nicht einmal schaffen, zu den eigenen Highlights wie der Geburtstagsfeier einfach für es dazusein?
Hier gibt es unzählige Gründe. Sie sind von Fall zu Fall unterschiedlich, so vielfältig, wie auch die Persönlichkeiten sind. Die Palette reicht von nicht verarbeiteter Trauerarbeit eines verlassenen Menschen über Zukunfts- und Existenzängste sowie Rachegefühle bis hin zu eigentlich stellvertretend für Freundinnen und Freunde geführte Feldzüge. Auch die Vielzahl an Themen, zu welchen es gilt, eine Regelung zu finden, erschlägt viele förmlich: das eheliche Gebrauchsvermögen ist aufzuteilen – samt einer Klärung von Fragen, die man sich davor niemals gestellt hatte in aufrechter Beziehung, wie etwa zum weiteren Verbleib der Familienkutsche, die von der Schwiegermutter spendiert worden war –, es ist die zukünftige Wohnsituation zu klären einschließlich der Frage, wer denn nun auszieht und wer allenfalls noch laufende Hypothekarkredite begleicht, gegenseitige Unterhaltsansprüche und allenfalls auch Mitversicherungsansprüche in der Krankenversicherung sind zu klären mit Auswirkungen bis hinein ins Pensionsalter, …
Und das alles in einer zumeist emotional hoch angespannten Situation mit vielen Einflüsterern und einem starken Drang nach Gerechtigkeit: immerhin kann jetzt ein kleiner Fehler darüber entscheiden, wie schwer es sein wird, wieder auf eigenen Beinen stehend neu anzufangen. Ja und dann gibt’s da ja auch noch die Kinder, ist auch noch zu klären, wie das mit deren Betreuung weiter aussehen soll: wer die überwiegende Betreuung übernimmt, wie das mit dem Kontakt zum anderen Elternteil laufen soll, wie wesentliche Entscheidungen den Nachwuchs betreffend besprochen und gefällt werden sollen, wie das mit dem Kindesunterhalt aussieht ….
Spätestens an diesem Punkt bricht Frust aus: zwar wohnt man nicht mehr zusammen, auch ist man frei, sich allenfalls mit einem anderen Menschen eine besser gewähnte Zukunft aufzubauen, aber dennoch gibt es da die – nimmt man seine Elternrolle ernst – unvermeidliche Notwendigkeit, weiter gemeinsame Sache zu machen mit dem Menschen, von welchem man sich ja gerade aus gutem Grund trennt.
Aktuell werden Konflikte, welche aus all diesen Herausforderungen resultieren, meist delegiert. Die Entscheidungen soll ein Dritter fällen. Dass damit eigene Möglichkeiten, den eigenen Bedürfnissen nach Gerechtigkeit entsprechende Lösungen zu finden, leichtfertig aufgegeben werden, wird übersehen. Immerhin sehen sich meist beide Seiten zum einen Thema mehr, zum anderen weniger im Recht. Einem Recht, auf welches nicht verzichtet wird – und sei es nur aus Prinzip. Es erscheint daher nur billig, dass dem Gegenüber von einer Richterin oder einem Richter gesagt wird, wo es lang geht. „Vor Gericht und auf hoher See bist Du in Gottes Hand“ besagt allerdings ein Sprichwort, welches versinnbildlichen will, dass ein Richterspruch zwar Recht, nicht allerdings unbedingt auch Gerechtigkeit verordnen kann. Das ist auch ein Grund, weshalb nach der auf die richterlichen Entscheidungen folgenden Scheidungsparty, wie sie neuerdings üblich ist, der Kater nicht unbedingt auf ein Zuviel eines unverträglichen Weines zurückzuführen ist. Und weshalb offen gebliebene Punkte, zu welchen keine Gerechtigkeit erfahren wurde, viel Energie hergeben für eine Fortsetzung des Kampfes. Und dabei bieten sich leider die Kinder oftmals als einziger verbliebener Berührungspunkt an.
Was ist die Alternative? Eigenverantwortung kann hier eine klare Antwort sein. Weder Franz, noch Helene haben eines Richters oder einer Richterin bedurft, um die Entscheidung zu fällen, dass sie heiraten. Sie haben es ganz alleine geschafft, sich ihr gemeinsames Leben zu gestalten nach ihren Vorstellungen, haben auch ohne gerichtliche Hilfe beschlossen, Kinder zu zeugen. Selbst, als es schon kriselte in der Beziehung, haben sie sich immer noch abgesprochen in Fragen der Betreuung des Nachwuchses und dabei etwa ausdiskutiert, welche die richtige Schule ist. Es geht also. Sie können es. Mit ein wenig objektiver Beratung (Rechtsanwälte, Beratungsstellen) und allparteilicher Begleitung (Mediation) sollte es daher auch möglich sein, die als Paar getrennte und in der Elternschaft unverändert vereinte Zukunft zu regeln. Scheiden tut dann zwar vielleicht immer noch weh – zumindest für die Kinder bedeutet dies allerdings dann weniger Risiko, ein Elternteil zu verlieren.