Was da an Meldungen in diversen Medien angeboten wird in Folge der nunmehr öffentlich thematisierten Vorfälle in der Silvesternacht in Köln, das zwingt manchmal geradezu dazu, sich die Frage zu stellen: „Ja, ticken die nicht richtig?“

Allen Ernstes wird etwa von einberufenen Pressekonferenzen berichtet, bei welchen als die große Lösung propagiert wird, man müsse in der Öffentlichkeit „zu Fremden eine Armlänge Distanz halten, innerhalb der eigenen Gruppe bleiben und dürfe sich von dieser nicht trennen lassen“. Geht’s noch? Wohlgemerkt: da ist nicht die Rede von exotischen dunklen Gassen im Drehbuch eines Krimis. Diese Empfehlung, so wird etwa von der Rheinischen Post am 5. Jänner 2016 berichtet, soll von den für die Sicherheit einer großen deutschen Stadt zuständigen Personen stammen, nämlich der Oberbürgermeisterin und der Polizeispitze von Köln. Und sich dabei auf öffentliche Flächen beziehen, wie etwa den Bahnhof. Die Verhaltensregeln sollen gleich für ganz Deutschland übernommen werden, weil es eh in vielen Städten vergleichbare Vorkommnisse gegeben habe.

Ist das das Leben, wie man es sich vorstellt? Will man spät abends von der Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren, so möge man doch bitte zuerst ein paar Freunde anrufen und mit denen eine Gruppe bilden, von welcher man sich nicht entfernt? Und damit man dann auch wirklich wohlbehalten in seiner Wohnung ankommt möge doch bitte darauf verzichtet werden, diese allein zu bewohnen – ansonsten müsse es als unverantwortlich angesehen werden, dass man sich dann doch irgendwann in Richtung der eigenen vier Wände von den anderen absondiert.

Achja, der in Deutschland sehr beliebte und ausgelassen gefeierte Karneval muss auch gleich umgeschrieben werden: da müsse es nach kulturellen Gesichtspunkten getrennte Veranstaltungen geben, damit es zu keinen Missverständnissen kommt; zu leicht könnten Fremde die Heiterkeit und Lockerheit in den Kostümen als zum Übergriff einladende Freizügigkeit interpretieren.

Also irgendwo hört sich der Spaß auf. Dieser wieder einmal von Verantwortungsträgerinnen und -trägern implizit ausgesprochene Generalverdacht gegen alle Fremden, die zweitweise sogar von der Regierungsspitze Deutschlands willkommen geheißen wurden, ist ebenso unerträglich wie die Passivität der Verantwortlichen, Maßnahmen der Integration zu setzen. Es haben sich die zahlreichen Menschen, die in Deutschland redlich versuchen, ihren Beitrag zu leisten zur Aufnahme in die Gesellschaft, einfach nicht verdient, dass ihnen der Mantel der alleinigen Verantwortung für eine zunehmend auftretende zerstörerische Kraft umgehängt wird. Es hat sich aber auch keine deutsche Frau, kein deutscher Mann und kein deutsches Kind verdient, nunmehr in Furcht leben zu müssen – in Angst um die eigene körperliche Unversehrtheit. Ja, Eigenverantwortung ist wichtig, doch für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit, die ja immer wieder als Rechtfertigungsgrund für diverse Eingriffe in Grundrechte herhält, haben schon die dafür demokratisch errichteten Institutionen primär zu sorgen. Einer Frau zu sagen, sie sei an einem sexuellen Übergriff selbst schuld, wenn sie zu fröhlich ist, sich zu freizügig gibt oder gar wagt, alleine durch deutsche Städte zu gehen, ist ja wohl das allerletzte.

Leute, es ist Zeit: das Mitgefühl, welches den ankommenden und Schutz suchenden Menschen geschenkt wurde während des letzten Jahres, darf nicht einfach weggelegt werden in der Überzeugung, jetzt eh alles gut gemacht und bewiesen zu haben, ein guter Mensch zu sein. Dieses Mitgefühl hat erst den Startpunkt zu einer übernommenen und nicht mehr so leicht ablegbaren Verantwortung dargestellt. So, wie man einen Gast in seinem Heim nicht herzlich willkommen heißt und dann sich selbst überlässt, genauso ist es nicht damit getan, die Flüchtlinge beim Eintreffen der vollgefüllten Züge herzlich empfangen zu haben. Nun sind dringend Maßnahmen der konkreten Einbindung dieser Menschen in die Verantwortung für ein friedliches Miteinander mit gegenseitiger Wertschätzung als unverzichtbare Grundlage angezeigt. Kein Zusammenpferchen in überfüllte Flüchtlingsheime, keine Verdammnis zur Untätigkeit, auf welche neiderfüllt geschielt werden kann. Nein: es geht um Maßnahmen der Integration auf Grundlage der bestehenden Gesellschaftsordnung. Einer Gesellschaftsordnung, zu welcher es dazu gehört, sich keine Gedanken um die eigene Unversehrtheit machen zu müssen, wenn man erst spät abends noch am Bahnhof ist.

Die Institutionen unserer Demokratie sind längst gefordert. Nicht, um den Menschen die Eigenverantwortung, die sie schon bisher tragen mussten, gänzlich abzunehmen – aber um jene Sicherheit aufrechterhalten zu können, derer jede und jeder einzelne dringend bedarf für die Ausgestaltung der eigenen Vorstellung eines glücklichen Lebens. Ansonsten wird das, was sich momentan nach der Schilderung von Szenen aus einem schlechten Film anhört, traurige Realität des Alltags.

Fotolia/aradaphotography

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