Sind es die Pfefferoni oder doch wir selbst, die uns im Wege stehen

„Diese Spareribs findest Du nirgendwo anders in dieser Qualität" schwärmt Stefan über sein Lieblingsrestaurant als die Frage aufkam, wo denn das nächste Treffen mit den Freunden stattfinden soll. Ihm rinnt bereits der Speichel im Mund zusammen beim bloßen Gedanken, er kann förmlich den Duft, der sich vom Grill ausgehend über das ganze Lokal verbreitet, riechen. „Na geh, nicht dort – die legen immer so grausliche Pfefferoni unter die Ripperl" protestiert Max. Ihm ist das Grausen richtig anzusehen. Obwohl er ebenfalls dafür bekannt ist, dass er die deftige Kost vom Holzkohlengrill sehr schätzt und er eigentlich Stefan ja in diesem Punkt der Küchenbewertung beipflichten muss. Der Essiggeschmack der dazu kredenzten milden Pfefferoni allerdings hat sich so in seine Erinnerung eingebrannt, dass für ihn dieses Lokal überhaupt nicht mehr infrage kommt, so sehr er es auch wegen des unübertroffenen Rezepts der Beize bedauert. Da nimmt er lieber geschmacklich nicht heranreichende Kost bei dem Wirten in Kauf, welcher die Garnierung nach seinen Vorstellungen standardmäßig vornimmt. Sind es wirklich diese kleinen Pfefferoni, die solche Macht bekommen, oder steht sich da Max gerade selbst ein wenig im Weg?

Bei solchen Geschichten fällt es den meisten Leserinnen und Lesern wohl sehr leicht, sofort zu erkennen, wie leicht es doch eigentlich sein müsste, hier eine Lösung zu finden, welche beide sehr zufrieden stimmen sollte: Wie wäre es damit, bei der Bestellung einfach dazuzusagen, dass man auf die Pfefferoni verzichtet? Oder vielleicht reicht es ja sogar, diese einfach beiseite zu legen? Dem Freund anzubieten, welcher sie vielleicht als passende Beilage betrachtet, von der er auch mehr verputzen kann? Mit sehr leichten Mitteln scheint hier ein ungetrübter Genuss möglich. Wenn denn immer alles so logisch ablaufen würde und die eingenommene Ablehnungshaltung nicht bereits neuronale Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Arealen des Gehirns geschlossen hätte, die es für Max zu richtiger Arbeit werden lassen, das einmal gebildete Vorurteil gegen das Restaurant wieder abzulegen. Es zuzulassen, dass die gespeicherte Assoziation des Lokalnamens mit diesem Anblick, Geruch und Geschmack des ihm verhassten Vertreters der Nachtschattengewächse abgebaut wird, um so wieder der Freude an der ansonsten ja ebenfalls als hervorragend zubereitet eingestuften Fleischspeise Raum zu lassen.

Derlei Dilemmas sind im Alltag nicht nur bei diesen banal erscheinenden Entscheidungen anzutreffen. Oft genug verstellt uns ein Detail dermaßen den Blick auf das Ganze, dass es unumgänglich scheint, auf zahlreiche eigentlich positiv empfundene Aspekte verzichten zu müssen. In allen Lebenslagen. In der Schule, wenn ein Unterrichtsfach die ganze Freude am Lernen vermiesen kann. In der Arbeit, wenn eine Teilaufgabe nur Schwierigkeiten bereitet. In der Nachbarschaft, wenn konsequent dann der Rasenmäher angeworfen wird, wenn man sich von der Nachtschicht kommend ein wenig hinlegen will. Besonders schlimm: im Streit über ein Thema, bei welchem in der Dynamik plötzlich das Sichtfeld dermaßen eingeschränkt wird, dass all die sehr geschätzten Seiten am Gegenüber jede Bedeutung verlieren; wenn plötzlich Thema und Mensch miteinander zu verschmelzen scheinen und fortan etwa nur noch der Trottel im Anderen gesehen werden kann, welcher glaubt mit bloßen Gedanken eine Krebserkrankung verhindern zu können, wenngleich es doch so viele weitere Seiten an diesem Menschen gibt, zu welchen es nicht nur Übereinstimmung in den Ansichten geben könnte, sondern auch eine Bereicherung für das eigene Lebensglück.

Was hier hilft ist Achtsamkeit, Selbstreflexion und Wertschätzung. Bekommt man das unerklärliche Gefühl, dass die Begegnung mit einer Situation oder einem anderen Menschen ohnehin nichts bringen wird, dann ist das nicht unbedingt als

unausweichliche Vorbestimmung hinzunehmen. Die Einnahme einer anderen Perspektive und gegebenenfalls auch das Loslassen von innerem Zwang, unbedingt eine Bestätigung für das gewonnene Bild der betrachteten Seite von Wahrheit

erhalten zu müssen, kann hier oft Chancen für alle Seiten eröffnen, um die es eigentlich für sämtliche Beteiligten schade wäre. Auch wenn dem menschlichen Hirn von Neurobiologen die merkwürdige Eigenschaft zugeschrieben wird, der einmal eigenommenen Haltung wiedersprechende Argumente scheinbar vollkommen automatisch auszublenden oder umzudeuten in eine Bestätigung, so bleibt es doch jedem und jeder Einzelnen selbst überlassen, ob der Prozess des

fortschreitenden Tunnelblicks fortgesetzt wird. Wer seinen Blick solchermaßen offen halten kann, wird sich auch leichter tun, die ständig gegebene Vielzahl von Optionen zu erkennen, welche es auf dem Weg zu persönlichen Zielen gibt.

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Bernhard Juranek

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