Kurt hat es schlimm erwischt. Das Leben hat ihn in den letzten Monaten stark mitgenommen. Nicht, ohne dabei auch gesundheitliche Spuren zu hinterlassen: unter anderem haben sich seine Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen geschlagen. Und das Kreuz schmerzt ihn so sehr, dass er selbst an den heißgeliebten Spaziergängen keine Freude mehr findet. Sogar wildfremde Menschen erkennen an seinen eingefallenen Augen und der abgemagerten Statur, dass es gerade nicht besonders gut um ihn steht.
Schließlich befindet ein ihm wohlgesonnener Mensch mit guten Kontakten, dass das so nicht weitergehen könne: er muss auf Kur fahren. Er muss dringend aus seinem aktuellen Umfeld herausgerissen werden und jemanden haben, der sich auskennt und ihm wieder auf die Beine hilft. Ihn nicht nur unterstützt bei der Wiederherstellung seiner Gesundheit, sondern in ihm auch die Lebensfreude wieder weckt. Und ihm solchermaßen hilft, neue Perspektiven zu finden.
Gesagt, getan. Ein paar Telefonate später hat Kurt einen Kurplatz zugesichert bekommen. Und ehe er sichs versieht, sitzt er auch schon im Auto und wird an einen Ort gebracht, von welchem ihm versprochen wird, dass ihm dort geholfen wird. Es ist aufregend. Gehört hat er ja schon davon, welche Wunder so eine Kur bewirken kann. Dass aber auch er mal sowas in Anspruch nehmen wird, das hat er nie geglaubt: als es ihm gut ging nicht, weil er sich doch unverwundbar fühlte; und dann, als es ihm schlecht ging, weil er keine Hoffnung mehr hatte, dass überhaupt irgendwer ihm helfen würde oder könne.
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Tatsächlich tut es gut. Bereits in den ersten Stunden im Kurhotel spürt er, dass da eine Last von ihm abfällt. Die Schmerzen sind zwar noch da, aber irgendwie tritt an die Stelle der Sorgen eine wohltuende Gewissheit, welche einfach alles hier ausstrahlt: der Geruch im Gebäude, der Ausblick, die freundlichen Menschen, die sofort damit beginnen, mit ihm diverse Maßnahmen zu vereinbaren … man kümmert sich um ihn, er ist plötzlich wichtig, es ist nicht mehr egal, wie es ihm geht. Er fühlt sich nicht mehr als Last – ja, das ist die Last, welche von ihm abfällt.
Drei Wochen später ist das Bild, das er im Spiegel sieht, nicht zu vergleichen mit dem Ausgangszustand: da ist wieder das Feuer in den Augen; da sieht ihn wieder jemand an, der weiß, dass er die kommenden Herausforderungen bewältigen wird. Auch haben sich leichte Speckpolster an seinem Körper gebildet, welche dafür sorgen, dass seine Rippen nicht mehr bei der leichtesten Berührung die Haut zu durchbrechen drohen. Nicht nur innerlich geht es ihm bedeutend besser, auch von außen ist also wieder erkennbar, dass man mit ihm rechnen darf. Die Schmerzen sind zwar nicht gänzlich verschwunden, aber sie sind deutlich besser zu ertragen. Ja, gewisse Narben legt man halt nicht ab – allerdings hilft die neu gewonnene Lebensfreude und der wiedererlangte Mut zum eigenen Glück, diese auch mit einem gewissen Stolz zu tragen.
Dem Personal in der Kuranstalt ist er zutiefst dankbar. Mit Geduld, Wertschätzung und Liebe haben sie ihn herausbegleitet aus dem tiefen Loch, in dem er gesteckt war und von dem er nicht mehr dachte, lebend wieder herauszufinden. Natürlich hat auch er selbst einen großen Beitrag geleistet, indem er die Hilfe angenommen hat; indem er sich etwa lernwillig gezeigt hat, wenn ihm gezeigt wurde, wie er besser umgehen kann mit für ihn stressigen Situationen. Ohne die Unterstützung, welche wie selbstverständlich stets angeboten wurde durch das Kurpersonal, hätte es aber wahrscheinlich nicht geklappt damit, dass er sich nun wieder bereit für das Leben da draußen fühlt. Da ist eine tiefe Verbundenheit entstanden, ja sogar etwas wie herzliche Freundschaft mit einigen hier.
Als er dann die Sachen packt um das Kurhotel wieder zu verlassen, ist auch eine Portion Wehmut dabei. Allerdings käme es ihm nie in den Sinn, den Menschen hier gram zu sein. Weshalb denn auch: sie haben wunderbares geleistet für ihn. Haben ihm dabei geholfen, eine neue Chance auf sein Lebensglück zu entdecken. Ihn ermuntert, ihn befähigt, ihn aufgerichtet – körperlich wie auch seelisch.
Auch den Menschen, die seine Entwicklung während der letzten Wochen beobachten durften, käme nie in den Sinn, das Kurpersonal nun mit Vorwürfen zu bombardieren, wie man ihn denn nur entlassen könne, wo er sich wieder wohl fühlt und gewappnet für das, was kommt. Im Gegenteil: mit Anerkennung wird festgestellt, dass da offenbar vieles richtig gemacht wurde. Vieles gewirkt hat. Wertvolle Arbeit geleistet wurde.
So wie Kurt die Chance hatte zur Regeneration in einer Kuranstalt, so haben einige Tier in erbärmlichen Lebenslagen das Glück, einen Pflegeplatz zu bekommen. Einen Ort, an welchem sie wieder aufgerichtet werden – seelisch wie auch körperlich. Wo ihnen wieder Speck auf die Rippen angefüttert wird und ihnen geholfen wird mit behutsamem Training, auch Muskeln aufzubauen; wo sie die für eine Verarbeitung von erlittenen Traumata dringend benötigte Liebe erhalten; wo sie wieder Vertrauen in die Menschheit aufbauen können, indem ihnen und ihren Bedürfnissen geduldig und wertschätzend Rechnung getragen wird. Anders als bei einer Kur für Menschen wird an einem Pflegeplatz sogar obendrein dafür gesorgt, dass nach erfolgreicher Absolvierung ein Platz auf das Tier wartet, an welchem es ihm an nichts mehr fehlt.
Und dennoch scheint es der Gesellschaft schwer zu fallen, vorurteilsfreie Anerkennung für Menschen zu finden, welche Tieren – unentgeltlich – eine Pflegestelle bieten. Immer wieder ist die Übergabe des Tieres an sein zukünftiges und sorgfältig ausgewähltes Zuhause verbunden mit dem Vorwurf, das Tier nun doch nur wieder zu enttäuschen. Was fällt so schwer, diesen Menschen jene Dankbarkeit zu zollen, welche etwa dem Personal einer Kuranstalt zugestanden wird?