Wählen gehen hat für die Menschen verschiedene Bedeutungen. Einge davon werden hier kurz umrissen:
Wohl durchdacht ...
So kann der Urnengang zum Beispiel gesehen werden als eine bei seiner Einführung gefeierte und in den letzten Jahren zunehmend verschmähte Errungenschaft, ein Stück weit den Weg der Weiterentwicklung der demokratischen Rahmenbedingungen selbst mitzubestimmen. Die eigene Stimme wird eingesetzt, um Verantwortung für die weitere Gestaltung des Zusammenlebens zu übernehmen. Gewissenhaft und kritisch werden daher die Angebote im Vorfeld geprüft und die Entscheidung spiegelt das wieder, was in Zukunft an inhaltlicher Ausrichtung gesehen werden will. Gar nicht so leicht, denn je konkreter eigene Vorstellungen und Wünsche sind, desto schwieriger wird die Qual der Wahl…
... in bester Gesellschaft ...
Die Möglichkeit, sich während eines Wahlkampfes der einen oder der anderen Gruppierung öffentlich zurechnen zu lassen – oder sogar noch mehr: für eine Seite auch aktiv einzutreten – kann auch ein euphorisches Zugehörigkeitsgefühl auslösen und nähren. Gerade in den social media finden sich da rasch Gleichgesinnte für jedwede Position: Menschen, die sich zwar oft hinter Nicknamen mit sympathischen Avataren verstecken und zu denen gar nicht gesagt werden kann, ob sie im echten Leben nicht vollkommen anders sind, als sie sich in der virtuellen Welt zeigen, aber diese Übereinstimmung in Kommentaren und Postings tut gut. Natürlich wird daher das Kreuz dort gemacht am Stimmzettel, wo es den meisten Spaß gemacht hat mit den gleich denkenden Menschen. Oder jenen, die man für gleich denkende Menschen hinter den Accounts hält…
... traditionsbewusst ...
Etwas aus der Mode scheint es zu kommen, den Wahltag als familiäre Feierlichkeit zu zelebrieren: wie es ansonsten eher den Besucherinnen und Besuchern der Sonntagsmesse zugeschrieben wird, putzen sich alle Generationen heraus, um gemeinsam zur Stimmabgabe zu schreiten. Natürlich nicht ohne vorher nochmals jenen Familienangehörigen ins Gewissen zu reden, zu welchen vermutet wird, dass sie Gefahr laufen könnten, in der Geborgenheit der Wahlzelle etwas anderes zu machen als das seit Generationen als einzig richtig erkannte und gepflogene. Was schon der Opa gesagt hat kann doch nicht falsch sein…
... aus dem Bauch heraus ...
Natürlich wirken manche Kandidatinnen und Kandidaten sehr sympathisch: sind der Traum von Schwiegersohn, ein Mensch, dem man alle seine Sorgen anvertrauen würde; jemand, dem man einen Gebrauchtwagen abkaufen würde oder zu dem man sich ein gemeinsames Abendessen – oder auch mehr – vorstellen könnte. Dass das seitens der Politik längst erkannt wurde und Visagisten sowie Rhetoriktrainer sich eine goldene Nase mit so manchen Kandidatinnen und Kandidaten verdienen, das hat man zwar schon irgendwo gelesen und es ist ja eigentlich auch eine Sauerei, was da mit Partei- und damit Steuergeldern so alles finanziert wird – doch der beziehungsweise die eine …. Nein, da ist alles sicher ganz anders. Da steckt doch endlich mal Glaubwürdigkeit dahinter, man spürt es doch…
... sicher nicht ...
So ein Wahltag ist natürlich auch eine wunderbare Gelegenheit zum Protest. Gegen alle. Das kann dadurch, dass man einfach dem Wahllokal fernbleibt und auch auf die Möglichkeit der Briefwahl verzichtet demonstriert werden. Sehr viel aussagekräftiger erscheint es anderen, sehr wohl teilzunehmen und seinem Unmut mehr oder weniger einfallsreich auf dem Stimmzettel Ausdruck zu verleihen: „lauter Wappler“ quer über die Auswahlfelder ist da noch ein harmloses Beispiel für das, was den Herrschaften in den Wahlkommissionen beim Auszählen so unterkommt …
... oder mit Sportsgeist
Bei Wahlen geht es immer auch ums Gewinnen: die Kandidatinnen und Kandidaten entwickeln einen Ehrgeiz, ein bestmögliches Ergebnis einzufahren – und dieser wirkt auf manche ansteckend. Buchermacher haben es längst erkannt und bieten daher bereitwillig das Platzieren von Wetten an. Es soll nicht nur bei der ersten Hochrechnung nach Schließen des letzten Wahllokals das Gefühl aufkommen, seine Stimme richtig vergeben und nicht verschenkt zu haben, wie ja gerne mahnend eine Unterstützung eingefordert wird; es soll nicht beim mehr oder weniger stillen Jubel – die Nachbarschaft könnte diesen ja hören – bleiben, wenn jener Balken, der unter anderem die Entscheidung auf dem eigenen Wahlzettel inkludiert, am höchsten hinaufschießt. Es soll auch Geld gemacht werden können damit. Besonders von diesem Gedanken getragene Menschen sollen mittlerweile sogar schon auf Nummer sicher gehen, um jedenfalls einen Grund zur Freude zu haben: Wette und eigene Stimme werden unterschiedlich platziert, was zu einer ungeheuren Chancenerweiterung führt, jedenfalls auf der Gewinnerseite zu stehen und die Sektkorken knallen zu lassen …
Wie werden Sie beim nächsten Wahlgang vorgehen? Ist da ein Muster dabei, das Sie anspricht? Chancenmaximierend, um am Wahlabend noch mehr Grund zum Jubeln zu haben als die Kandidatinnen und Kandidaten? Lassen Sie den Revoluzzer beziehungsweise die Revoluzzerin raushängen durch eine geistreiche Verzierung des Stimmzettels? Sorgen Sie dafür, dass Ihre Ahnen stolz sind auf Ihre Entscheidung? Belohnen Sie die Person, welche einfach so sympathisch, fesch und schlagfertig in den im Fernsehen übertragenen Diskussionsrunden rübergekommen ist, mit ihrer Unterstützung? Zeigen Sie Solidarität mit denen, die cool sind und zu denen Sie sich gerne zählen – und posten dann als Beweis auch gleich Ihren ausgefüllten Stimmzettel? Oder überlegen Sie, welche Funktion mit welchem tatsächlichen Aufgabengebiet gerade zur Wahl steht und treffen Ihre Entscheidung dazu passend entsprechend den eingeholten Informationen über die Qualifikationen der Wahlwerberinnen und Wahlwerber, dieser Funktion in Ihrem Sinne gerecht werden zu können?
Wie auch immer: Entscheiden Sie! Machen Sie bitte Gebrauch von diesem Recht, welches nicht überall selbstverständlich ist. Damit es so bleibt, dass das Recht vom Volk ausgeht.
