Verstehen heißt nicht immer, auch einverstanden zu sein - öffnet allerdings ungeahnte Wege

Franz ist verzweifelt: aus den Bodenmarkierung und diversen Hinweisschildern in einer ihm unbekannten Sprache wird er nicht schlau: ist der Parkplatz, welchen er gefunden hat, nun kostenpflichtig? Wenn ja: wie entrichtet man die dafür vorgesehene Gebühr? Automaten, wie er sie von zu Hause kennt, sind keine zu sehen und hinter der Windschutzscheibe der anderen Fahrzeuge sieht er nichts, was nach Parkscheibe oder Parkticket aussehen würde. Dennoch lässt ihn das ungute Gefühl nicht los, es könnte sich doch um eine Kurzparkzone handeln. Also fragt er einen Passanten und erkennt rasch an dessen erstaunten Blick: er wird nicht verstanden.

Wenn Menschen kommunizieren, dann wird damit zumeist ein Zweck verfolgt: man will verstanden werden. Was man im Urlaub in einem Land, dessen Sprache man nicht beherrscht, besonders deutlich vor Augen geführt bekommt, davor ist man auch im Alltag nicht gefeit – wenngleich etwas versteckter und weniger offensichtlich. Das verzweifelte Bemühen in einem Land, dessen Sprache und Gepflogenheiten man nicht kennt, zu ergründen, ob für einen Parkplatz Gebühren zu entrichten sind und in welcher Form dies gegebenenfalls zu erfolgen hat, zeigt so etwa sehr rasch auf, wie wichtig es ist, dass eigene Anliegen vom angesprochenen Gegenüber auch erkannt werden können. Hier ist allerdings sofort ein plausibler Grund dafür offensichtlich und man wird wohl kaum auf die Idee kommen, den staunenden Passanten, den man hier um Rat fragt, dafür verantwortlich zu machen, dass man einfach nicht verstanden wird. Anders im Alltag, in welchem man eigentlich davon ausgehen können sollte, dass die Sprache kein Verständnishindernis darstellt.

In vielen Diskussionen kann beobachtet werden, dass einander kein Verständnis geschenkt wird. Das kann aufwühlen, einen emotional werden lassen. Den Versuchen, durch Wiederholungen der artikulierten Wünsche und Meinungen mit verschiedenen Worten Verständnis für die eigene Position zu wecken, folgen dann rasch auch schon mal polemisierende Untergriffe gegen das Gegenüber. Es kann sogar zu kabarettreifen Justamentargumenten kommen, welche sich zum Teil nicht einmal mehr mit der ursprünglichen Botschaft decken. Mit ein wenig Einfühlungsvermögen wäre es dabei sehr leicht, zu erkennen, was hier der Antrieb der handelnden Personen ist: Sie wünschen sich nicht nur Verständnis, sie benötigen es sogar ganz essenziell, ein Signal des Verstandenwerdens von ihrem Gegenüber zu erhalten: „So erkenne doch endlich, ich will verstanden werden – auch wenn du nicht einverstanden sein kannst.“

Besonders anfällig für das Vorenthalten von Verständnisbereitschaft für andere Sichtweisen ist jegliche Form politischer Auseinandersetzung. Schade, denn damit wird oftmals von vornherein jede gemeinsame Lösungssuche unterbunden: was nicht verstanden wurde, wie will man darüber reden. Da ist dann fast nicht mehr zu verhindern, dass die Wogen hochgehen ohne jede Chance auf einen Konsens – maximal denkbar ist ein Kompromiss, der von beiden Seiten nur als teilweise Niederlage verstanden werden kann. Wahrscheinlicher ist jedoch Radikalisierung, welche ganze Teilgesellschaften in ihren Sog zieht und andere an den Rand drängt oder in Geiselhaft nimmt.

Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma ist es, einfach das Verstehen vom Einverstandensein deutlich zu trennen. Etwas zu verstehen, also zu einem Bedürfnis, einer Position oder einem Wunsch Verständnis aufzubauen bedeutet, das Gegenüber zu respektieren. Zu akzeptieren in seiner Individualität. Das bedeutet dann, den für das Selbstwertgefühl viel zu oft unverzichtbaren Beharrungsreflex zu unterbinden: Einander Zuhören und Verständnis zu entwickeln als Basis, auch dort gemeinsame Sache nicht von vornherein auszuschließen, wo dem ersten Anschein nach unüberbrückbare Differenzen vorliegen. Wer zeigt, Verständnis aufbauen zu wollen, verrät dabei noch nicht seine eigenen Ansichten, gibt nicht zugleich zu verstehen, einverstanden zu sein. Wer Interesse daran zeigt, verstehen zu wollen, reicht allerdings zugleich die Hand, eine Lösung finden zu wollen, mit der beide Seiten einverstanden sein können.

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Silvia Jelincic

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