Wahlzeit - oder: Es knistert wieder mal allerorts

Seit ein paar Tagen macht Kurt Facebook nicht mehr so viel Freude. Eigentlich mag er es, sich mit Freunden aus seinem echten Leben wie auch jenen, die er virtuell dazugewonnen hat, auszutauschen. Da kann er blödeln, er kann Witze austauschen, aber er kann sich auch in scheinbar endlosen philosophischen Fragestellungen verlieren. Ohne, dass man wirklich böse aufeinander ist, selbst, wenn man mal vollkommen anderer Meinung ist zu einem Thema.

Nicht so seit ein paar Tagen – und es fühlt sich irgendwie so an, als wäre das erst der Beginn dessen, was da in den nächsten Wochen abgehen wird. Es ist Wahlkampf – nicht nur in Österreich, auch in Deutschland. Und irgendwie scheinen es manche Menschen wohl sehr Ernst zu nehmen mit ihrem Recht, alle paar Jahre mal ein Kreuzerl zu machen bei einer Partei, über die sie sich dann eh wieder aufregen, wenn sie es wirklich ins Parlament oder sogar in die Regierung geschafft hat. So Ernst, dass sie sich anstecken lassen von der Taktik der meisten wahlwerbenden Gruppierungen, aus welcher sie gar keinen Hehl machen: berühre die Menschen emotional. Es wirkt, denn selbst jene Menschen, die Kurt als besonnen kennengelernt hat, gehen auf wie ein Germteig, wenn man etwas gegen „ihren“ Favoriten sagt – und es dauert auch nicht lange, schon fallen die ersten Beleidigungen.

Da flimmern also seit ein paar Tagen Posts über die Timeline von Kurts Facebookaccount, bei welchen er sich zunehmend zurückhalten muss, dazu etwas zu schreiben – irgendwie finden sich nämlich immer gleich ein paar Leute, die er eigentlich mag, die sich dann auf den Schlips getreten fühlen ob seiner Meinung.

Da ist in Österreich also der Kanzler, der groß dazu aufruft, sich zu nehmen, was einem zusteht. Hmm, will er das wirklich? Will er wirklich, dass jeder sich einfach all das nimmt, von dem er meint, es stünde ihm zu? Noch besser: nur Kampf führe zu Gerechtigkeit. Aha. Als geschichtskundigem Menschen läuft es Kurt da kalt den Rücken hinunter, wenn er das liest. Und dann lässt dieser Kanzler, gleichsam als würde er erkennen, welches Gefahrenpotenzial er mit seinen Slogans heraufbeschwört und er daher mit Zweideutigkeiten das wieder auflockern möchte, überall ankündigen, zu kommen. Okay, er kommt also mehrmals täglich an verschiedenen Orten. Jetzt weiß das Kurt auch dank der entsprechenden Einschaltungen auf Facebook.

Dann gibt es da die Partei, die nicht mehr schwarz sein wollte und sich kurzerhand einen neuen Farbanstrich verpasst hat. Auch gut. Damit auch Farbenblinde erkennen, dass alles neu ist, wurde das auch gleich in den Parteinamen übernommen. An der Spitze dieser Bewegung – auch ein neues Wort, das in Mode gekommen zu sein scheint, um zu verdecken, dass es immer noch um Parteien geht in der gegenwärtigen repräsentativen Demokratie – steht ein junger Mann. So jung, dass Kurt sich fragt, ob er altersmäßig nicht sogar das Enkelkind seiner Vorgänger sein könnte. Gut, fürs Alter kann man nichts – und irgendwie wirkt das ja auch erfrischend. Anders. Ob auch die Inhalte anders sein werden? Scheibchenweise soll das die nächsten Wochen verraten werden, wie Kurt da in diversen Posts liest. Der Auftritt ist jedenfalls anders, denn da sind plötzlich lauter Quereinsteiger zu finden auf den vordersten Rängen der Liste statt der altgedienten Parteifunktionäre. Und der Spitzenkandidat spricht Dinge offen an, zu denen sich davor irgendwie keiner in dieser Partei getraut hat, sie so offen zu benennen. Und er kann sogar explodieren in einer Fernsehdiskussion – oder das zumindest ankündigen, es gleich zu tun.

Andere Freunde aus der Freundesliste von Kurt teilen mit Begeisterung Offenbarungen eines anderen Wahlwerbers. Einer Partei, die sich in letzter Zeit bitterböse beklagt, dass alle ihre Ideen gerade gestohlen würden – und dass das von langer Hand geplant gewesen wäre. Da gibt es sogar ein Geheimpapier, das nun veröffentlicht werden soll – oder schon wurde? Kurt kennt sich da nicht so ganz aus, was denn da nun der aktuelle Stand der Dinge ist. Achja: angeblich hatte der Spitzenkandidat, der mal Brille trägt, mal auch wieder nicht, eine schreckliche Kindheit. Schlimm für ihn, wenn das so ist, doch Kurt fragt sich: was hat das bitte mit einer Wahlentscheidung zu tun, wie denn die Kindheit eines Spitzenkandidaten war?

Zu einer weiteren Partei drehen sich fast alle Kommentare, die da über die Timeline von Kurts Facebookaccount flimmern, um deren Spaltung. Schade eigentlich, denn Inhalte würden Kurt viel mehr interessieren: ist Diesel wirklich so böse, oder handelt es sich dabei wieder einmal um eine Modeerscheinung im Urteil wie etwa zum Cholesterinspiegel, für den Eier mal ganz schlecht, dann egal oder sogar gut sind. Kurt mochte die Beiträge dieser Partei immer, denn sie regten eigentlich immer zum Nachdenken über jene Themen an, die nicht gerade Mainstream sind. Nun geht es da eigentlich nur noch darum, wer denn schuld sei am Zerbrechen und den dementsprechenden Umfragewerten.

Jene, die beim ersten Antritt bei der letzten Nationalratswahl antraten, weil sie Neues bringen wollten, scheinen noch damit beschäftigt zu sein, die auf ihrer Liste aufgenommene ehemalige Präsidentschaftskandidatin zu integrieren: da liest Kurt auf seiner Timeline eigentlich nur über diesbezügliche scheinbare Integrationsschwierigkeiten, da nicht mehr so klar zu sein scheint etwa bei Koalitionsfragen, was denn da jetzt Linie ist. Welche Katze man da also aus dem Sack wählt, wen man dort das Kreuzerl macht.

Und dann gibt es da die ganzen Neuen, die wie aus dem Nichts plötzlich fast schon so viel Raum einnehmen auf Facebook, wie die ganzen Einladungen zu diversen Spielen auf Facebook:

Der Aufdecker der Nation, wie er sich offenbar gerne selbst bezeichnet, fällt mit seiner Klagsdrohung gegen den ORF, weil man ihn dort scheinbar nicht einladen will, gleich mal ordentlich auf in den Nachrichten, die Kurt da gezeigt werden, wenn er in Facebook einsteigt; ahja: wenn man ihn nicht wähle, dann gäbe es keine Kontrolle mehr. Hmm – also nach alledem, was Kurt mitbekommen hat, war er bei weitem nicht der einzige Abgeordnete, der bislang kritisch hinterfragt und kontrolliert hat. Aber egal, vielleicht sieht Kurt das ja auch falsch.

Ebenfalls neu ist die Liste von Roland Düringer, die damit wirbt, dass jede Stimme eine gültige Stimme bleiben könne auch nach der Stimmabgabe am 15. Oktober. „Offene Demokratie“ solle das möglich machen: also nicht mehr sudern müssen über das, was die Partei des Vertrauens mit diesem geschenkten Vertrauen macht, sondern mitwirken können, wo man interessiert ist daran – auch zwischen den Wahlen. Offenbar etwas, das mancherorts als Gefahr gesehen wird – denn wie sonst ist erklärlich, dass die Person, die da durch Losentscheid auf Platz 1 der Liste gesetzt wurde, dafür öffentlich in die Nähe von Antisemitismus gerückt wird, dass sie das macht, was auch die Psychologieprofessorin mit Kurt einst in der Schule gemacht hat: aufzeigen, wie das einst funktioniert hat mit der Manipulation großer Teile der Gesellschaft. Mit einem Pamphlet namens „Protokolle der Weisen von Zion“ etwa, wo auf Glaubenssätze aufgebaut die Menschen mit pseudowissenschaftlichen Behauptungen aufgehetzt wurden gegen andere Menschen. Grauenhaftes Werk, das grauenhaften Schaden angerichtet hat. Kurt hatte es einst sehr aufklärend gefunden, darüber unterrichtet zu werden – irgendwas scheint anders geworden zu sein, wenn man offenbar heute nicht mehr gewarnt werden darf vor den Wirkungen von Manipulation anhand konkreter Beispiele, deren Folgen man aus den Geschichtsbüchern kennt.

Soweit Kurt gehört hat, stellen sich noch weitere Bewegungen, Parteien oder wie sie sich nennen zur Wahl. Von denen hat er – noch? – keine auffallenden Posts auf der Timeline. Wird sich sicher auch noch ändern, denn „Die Weißen“, die Liste rund um den Herrn Schnell und die KPÖ plus, bei welchen ja die jungen Grünen politische Unterkunft erhalten haben nach deren Abspaltung von ihrer bisherigen Heimat, werden sicher auch noch mitspielen wollen in diesem Karussell, das über die Bildschirme der Facecountnutzerinnen und -nutzer flimmert; ebenso wie die Listen, die nicht bundesweit kandidieren.

Was also tun bis zum 15. Oktober? Meinung hinter dem Berg halten? Facebook und am besten auch alle Wirtshäuser meiden und umgehend das Thema wechseln, wenn im sozialen Umfeld das Gespräch auf Politik kommt? Oder riskieren, dass sich der Freundeskreis drastisch reduziert bis zum Wahltag?

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