Was haben Griechenland und ein Kredit in Schweizer Franken gemeinsam?

Griechenland wird, nicht zuletzt wegen der sprachlichen Abstammung des Begriffes, gerne als eine der Geburtsstätten von Demokratie gesehen. Umso paradoxer erscheint es, dass sich die Menschen dieses Landes seit Bekanntwerden der Staatsschuldenkrise des Mittelmeerstaates zunehmend als Versuchskaninchen fühlen bei einem volkswirtschaftlichen Experiment: eine Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und der Europäischen Kommission, die ihrerseits keine direkte demokratische Legitimation durch das griechische Volk vorweisen kann, drängt seit 2009 unerbittlich auf die Umsetzung von Strukturreformen, deren Auswirkungen in konzentrierter Form eigentlich bislang nur Lehrbüchern über volkswirtschaftliche Thesen entnommen werden können.

Was am Beginn noch als europäischer Schulterschluss zur Unterstützung eines Mitgliedstaates, der Schwierigkeiten hatte, sich selbst über die Finanzmärkte zu finanzieren, aussah, begann nach der eingetretenen Abhängigkeit von der Gemeinschaft rasch zu etwas zu werden, das von vielen Griechinnen und Griechen als Beispiel für die Entwicklung empfunden wird, vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Einserseits wurden zwar Kredite und Haftungen zu erschwinglichen Konditionen gewährt, andererseits wurde damit eine Abhängigkeit geschaffen. Eine Abhängigkeit, welche begleitet wurde von in den "gebenden" Mitgliedstaaten öffentlich abgehaltenen Diskussionen über die einzufordernde Dankbarkeit; von medial aufbereiteter Skepsis, ob denn dieses Geld nicht im jeweils eigenen Land besser Verwendung finden sollte; von laut ausgesprochener Kritik Griechenlands für die eigenen Verfehlungen, die doch daran Schuld seien, dass es zu den Problemen gekommen ist, und ob daher nicht Griechenland dem eigenen Schicksal überlassen werden solle. Ein wunderbarer Nährboden dafür, dass die Troika ihrer Arbeit nachgehen konnte: scheibchenweise wurden tiefgreifende Strukturreformen eingefordert und von Tranche zu Tranche der immer erforderlicher werdenden Unterstützungen sollten Diskussionen darüber stattfinden, ob denn ausreichender Gehorsam bei der Umsetzung konstatiert werden kann. Gehorsam einer demokratisch gewählten Regierung und eines demokratisch zusammengesetzten Parlaments in Athen gegenüber den Anzugträgerinnen und Anzugträgern der Troika. Einer Troika, der sicher kein böser Wille unterstellt werden muss - der es aber halt an demokratischer Legitimation durch das Volk Griechenlands fehlt.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung:

Um das ein wenig greifbarer zu machen, kann man das - natürlich stark vereinfacht - vergleichen mit einem Häuslbauer, welcher sich in Schweizer Franken finanziert hat. Schweizer Franken hat er gewählt, da es ansonsten eng werden könnte mit dem Haushaltsbudget bei der Tilgung und ein Eurokredit nicht wirklich leistbar war. Lange Zeit funktioniert das auch ganz gut und der Häuslbauer kann sich einen Lebensstandard leisten im neuen Haus, welcher angenehm ist für die ganze Familie, für die er ja mitverantwortlich ist. Und plötzlich passiert es: die Kursentwicklung verändert sich drastisch und plötzlich macht die Hausbank Schwierigkeiten. Es droht der Kollaps, das Haus ist in Gefahr. Aber da kommt ein netter Kreditgeber und bietet eine Umschuldung an. Es müssen halt ein paar Sicherheiten gewährt werden, ein paar Auflagen erfüllt werden, aber das sei schon machbar. Erleichterung. Man muss zwar den Gürtel ein wenig enger schnallen, aber das Haus ist gesichert und die Familie kann weiter einen zwar etwas niedrigeren, aber doch noch angenehmen Lebensstandard finanzieren mit etwas mehr gemeinsamer Anstrengung. Doch es folgen weitere Auflagen, weitere Anstrengungen sind erforderlich und ständig droht der nette Kreditgeber damit, einfach doch noch seine Zusage zurückzuziehen, wenn denn die Auflagen nicht erfüllt werden. Die eigenen Freiheiten werden stark eingeschränkt und zunehmend gerät der Familienfrieden ob der schwindenden Zuversicht in die Schaffbarkeit der Erhaltung des Hauses ins Wanken.

Wann werden wir erkennen, dass der Kurs, der gefahren wurde gegenüber Griechenland, als gescheitertes Experiment gesehen werden muss? Gut, es ist sicher hart, wenn man sich zugestehen muss, dass die gewährte Hilfe in Form von Krediten und Haftungen vielleicht gar nicht so aus Nächstenliebe gegenüber dem europäischen Partner am Mittelmeer gewährt wurde, sondern durchaus verhindern sollte, dass die Finanzwirtschaft des eigenen Landes Schaden nimmt durch Abwertungen gehaltener Finanzinstrumente mit Bezug zu Griechenland. Sichtbar übrigens ohnehin daran, dass die Griechinnen und Griechen vor Ort nicht den Eindruck haben, auch nur einen Cent an Unterstützung bemerkt zu haben im eigenen Leben. Es kränkt sicher auch den Stolz der Troika, zugeben zu müssen, dass die in Lehrbüchern beschriebenen Auswirkungen von Strukturreformen in Form von radikalen Deregulierungen des Marktes bei gleichzeitiger Senkung der Lohnkosten etwa im Wege der Zerschlagung sozialpartnerschaftlicher Einigungen nicht wie am grünen Tisch geplant eintreten. Immer noch nicht, sei hier angemerkt: denn eigentlich hätte ein Blick in die Geschichtsbücher gereicht, um zu erahnen, dass rigorose Strukturreformen vielmehr die Wahrscheinlichkeit in sich tragen, zu Rezession und Arbeitslosigkeit zu führen und somit in eine noch höhere Abhängigkeit von Kreditgebern; auch der Völkerbund ist ja in den beginnenden 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts einen ähnlichen Kurs mit Österreich gefahren, welcher in bürgerkriegsähnliche Situationen statt in eine von Gelehrten wie Mises beschriebene Stärkung der Wirtschaft einschließlich Vollbeschäftigung mündete.

Vergleicht man Griechenland heute mit vor 5 Jahren, so belegen einige Kennzahlen, dass die vielen Milliarden an vermeintlicher Unterstützung nicht nur verpufft sind beziehungsweise gar nicht den Weg nach Griechenland gefunden zu haben scheinen, sondern aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner des Mittelmeerstaates die Lebenssituation noch weiter verschlimmert haben: die Wirtschaftsleistung ist um rund ein Viertel eingebrochen, soziale Sicherheit hat deutlich abgenommen mit immer wieder den Medien entnehmbaren Bildern von Ausschreitungen auf den Straßen Athens und die Arbeitslosigkeit ist explodiert, wobei vor allem die Jugend betroffen ist, wenn nicht einmal mehr jeder zweite Jugendliche einen Arbeitsplatz erhalten kann. Das Vertrauen in die Demokratie schwindet drastisch, was nicht weiter verwundert vor dem Hintergrund, dass die Troika einer demokratisch gewählten griechischen Regierung diktiert, welche Maßnahmen zu setzen sind.

Um das vielerorts als Geburtsstätte der Demokratie bezeichnete Griechenland wieder zurückzuführen zu dem dringend notwendigen Wachstum in Selbstbestimmtheit, wird es notwendig sein, die Lehrbücher beiseite zu legen und wieder den Menschen vor Ort zuzuhören. Dann werden sich, demokratisch, Lösungen finden: Lösungen, die Wachstum für Wirtschaft und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gleichen Anteilen ermöglichen; wenn man so will also Strukturreformen, welche im demokratischen Konsens entlang der Herausforderungen entwickelt werden und diesem Begriff, der auch immer wieder durch Österreichs politische Landschaft geistert, eine neue Bedeutung als Synonym für ein demokratisches Wachstumsinstrument schenken. Das bedarf seitens der Kredit- und Haftungsgeber eines Vertrauens in das Funktionieren von Demokratie. Und birgt die Chance, schon mittelfristig in Griechenland wieder einen erstarkten Partner zu haben im gemeinsamen europäischen Kampf für Wohlstand und sozialen Frieden. Bedenkt man, wie gerne Europa missionarisch für Demokratie in Staaten mit anderer Regierungsform unterwegs ist, so sollte das gerade gegenüber Griechenland eigentlich kein Problem darstellen.

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Hansjuergen Gaugl

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