Eine der spannendsten Fragen des Menschseins ist die, was es eigentlich ausmacht, Mensch zu sein. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird rasch mal von „Unmenschlichkeit“ gesprochen während im Umgang mit anderen Lebensformen oder sogar Objekten ebenso schnell konstatiert wird, dass eine Vermenschlichung passiere. Doch welche Fähigkeiten, welche Merkmale, welche Eigenschaften sind es eigentlich, welche die Diagnose „Mensch“ nach sich ziehen? Wann ist ein Mensch ein Mensch?
Diese Frage hat viele verschiedene Wissenschaftszweige seit ihrem Bestehen beschäftigt. Humangenetik, Neurobiologie, Soziologie und Psychologie sind hier nur einige der Disziplinen, welche sich unter dem Dachbegriff der Anthropologie damit auseinandersetzen, das Geheimnis Mensch zu erfassen und zu verstehen. Mit unterschiedlichsten Ergebnissen, die allesamt nicht davor gefeit waren und sind, im Moment ihrer Veröffentlichung auch schon wieder in Frage gestellt zu werden. Selbst höchst signifikante Forschungsergebnisse müssen so stets kleinlaut einräumen, dass es nicht ausgeschlossen werden kann, dass genau das Gegenteil der erforschten Antwort ebenso richtig ist: im Alltag bemerkbar am Beipackzettel von Medikamenten, wo ausgewiesen wird, dass auch eine Verschlimmerung der Krankheit, welche behandelt werden soll, bereits beobachtet wurde; oder an der vor einer Operation zu unterzeichnenden Einverständniserklärung, mit welcher gebilligt wird, dass trotz wissenschaftlich sauberem Eingriff auch ungewünschte Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden können. Auch der Wechselbezug der Erkenntnisse der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen aufeinander wirft ständig neue Fragen auf: wie kommt es, dass etwa als unpersönlich erlebte Betreuung und mangelhafte individuelle Zuwendung über Angstzustände und Antriebslosigkeit hinausgehend auch psychosomatische Erkrankungen ohne körperlich fassbare Ursache auslösen können, wenn doch die Seele des Menschen als solche einer quantitativen Messung kaum zugänglich und damit in ihrer wissenschaftlichen Existenz in Frage zu ziehen ist? Wie ist es umgekehrt erklärbar, dass in einem Placebo-Effekt wissenschaftlich betrachtet eine neutrale Substanz Heilungsprozesse psychischer wie auch physischer Art begünstigt mit am Ende messbaren Fortschritten? Birgt der in Witzen Humanmedizinerinnen und Humanmedizinern gerne in den Mund gelegte Satz „Operation gelungen, Patient tot“ jenen Funken Wahrheit in sich, der die Ohnmacht der Wissenschaft beschreibt, auf sämtliche Aspekte des Menschseins abschließende Antworten mit Anspruch auf die absolute Wahrheit zu finden? Es ist so gesehen daher gar nicht weiter verwunderlich, wenn Carl von Linné, welcher sich im 18. Jahrhundert verdient gemacht hat für seine anthropologischen Forschungen, überliefert wird mit seiner bis heute im Wesentlichen unwidersprochenen Zusammenfassung, dass „jeder Mensch genau wisse, was ein Mensch sei“. Das klingt auf den ersten Blick nach einem verzweifelten Eingeständnis der Unmöglichkeit einer allumfassenden zutreffenden Definition mit Anspruch auf die absolute Wahrheit. Zugleich birgt dies jedoch noch heute rund 7 Milliarden korrekte Antworten in sich, welche voll von Wertschätzung gegenüber der unantastbaren Individualität des und der Einzelnen sind. Kein manichäischer Ansatz des verbohrten Insistierens auf nur zwei Kategorien namens richtig und falsch, statt dessen die Offenheit, dass es noch unerforschte Bereiche gibt, welche beides zugleich sein können. Der Mensch quasi als Karton, in welchem Schrödingers Katze gleich die Antwort auf viele Fragen zu seinem Sein stecken.
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Dieser Kenntnisstand, dass es trotz intensivster Bemühungen immer noch eine Restgröße gibt, welche am Menschsein nicht fassbar und fehlerfrei normierbar ist mit den heutigen Methoden, hält die Menschheit allerdings nicht davon ab, den Menschen nachbilden zu wollen. Während der Mensch zunächst in seinem Bemühen, effizienter Ziele erreichen zu können, immer ausgeklügeltere Maschinen zu seiner Unterstützung gebaut hat, ist daher aktuell auch das Bestreben, ihn vollständig ersetzen zu wollen, ungebremst. Längst ist es nicht nur den Maskenbildnerinnen und Maskenbildnern in Hollywood vorbehalten, Drehbüchern über die Bevölkerung unserer Erde mit Robotern mit Leben zu befüllen. Nein, weltweit sind Labors miteinander vernetzt darum bemüht, funktionelle humanoide Roboter zu konstruieren. Diese sollen eines Tages, mit einer von Menschenhand programmierten menschenähnlichen künstlichen Intelligenz ausgestattet, in menschlicher Gestalt mit imitierter menschlicher Mobilität und Sensorik aktiv am sozialen Leben der Menschen teilnehmen. Und diesen sogar ersetzen. So absurd das für manche klingt, so ernsthaft wird dies zunehmend in unserer Gesellschaft betrieben, zumal eine hohe Erwartungshaltung an die Rentabilität solcher Systeme aufgebaut wurde. Was als nette Unterhaltung und zum unbedarften Bestaunen in Form von Tamagotchis und Schachcomputer begann und seit vorigem Jahr in Form des quer durch die Welt reisenden Hitchbots Berührungsängste der Menschen abbauen sollte könnte schon bald statt der Science Fiction der Realität angehören. Selbst als Antwort auf die Überalterung unserer Gesellschaft und die damit vorhersehbaren steigenden Anforderungen an die aus dem Familienbild zunehmend ausgeschiedene Betreuung der Seniorinnen und Senioren wird in den Menschenimitaten mancherorts bereits gesehen.
Das Bild des Roboterpflegepersonals, welches mit den Seniorinnen und Senioren der Zukunft vielleicht Karten spielend und über die Vergangenheit plaudernd zusammensitzt, erschreckt irgendwie. Ebenso, wie der Gedanke daran, dass mit menschenähnlicher künstlicher Intelligenz ausgestattete Maschinen viel effizienter sein werden in den zahlreichen nicht sonderlich beliebten Betreuungsnotwendigkeiten wie der Reinigung von Leibschüsseln. Ohne Gewerkschaft, ohne Lohnverhandlungen – oder vielleicht sogar mit all den menschlichen Konfliktthemen, zumal diese künstliche Intelligenz dem Menschen ja nachgebildet wird? Mit zusätzlichen Gefahrenquellen unberechenbarer Handlungsmuster für den Fall, dass ein Virus in die Computersysteme eingeschleust wird oder auch der Computeranwenderinnen und –anwendern nur allzu vertraute Moment, wo der eingefrorene Bildschirm um die ungespeicherten Informationen bangen lässt, dazu führt, dass der Suppenlöffel im Mund des gerade versorgten Patienten stecken bleibt? Doch zurück zur Frage: was ist es, was bei diesem Bild vor dem geistigen Auge erschreckt? Was ist es, was zu fehlen scheint? Die Antwort darauf ist ein Puzzlestein bei der Beantwortung der Frage, was den Menschen zum Menschen macht.