Hans-Jürgen Gaugl www.lassunsreden.at
Am 18. Mai findet im St. Jakob-Park von Basel das heurige Finale in der Europa League statt: Titelverteidiger Sevilla trifft auf Liverpool - für den einen geht es darum, zum dritten mal in Folge den Titel zu holen, für den anderen um nichts geringeres als die Möglichkeit, auch in der kommenden Saison in internationalen Wettbewerben dabsei sein zu dürfen. Es geht um viel Geld, es geht um Prestige - und es geht auch um Freude - vor allem hoffentlich für die Fans.
Dieses Ereignis, das auch schon ein wenig auf die Europameisterschaften einstimmt, ist eine Gelegenheit, Fußballevents aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten:
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Es treffen hier nicht bloß zwei Mannschaften aufeinander im Wettstreit um einen Sieg. Wunderbar kann man auch beobachten, wie die Bildung einer Koalition mit den jeweils eigenen Fans abläuft und für Außenstehende nicht so leicht zu verstehende Blüten treibt. Es wird das Streben nach den drei Punkten für den siegreichen Verein auf dem Rasen damit in eine Eigendynamik verwandelt, welche für die mitfiebernden Zuschauerinnen und Zuschauer sogar einen höheren Stellenwert gewinnen kann als eigene Bedürfnisse. Obwohl es für die Menschen auf den Tribünen um keine Punkteprämie geht. Auch hängt für sie kein besseres Jobangebot von der Performance während dieser vielleicht alles entscheidenden 90 Minuten ab. Objektiv betrachtet lassen sich für sie also durch das Ergebnis des Matches keine Auswirkungen auf das weitere Leben ausrechnen. Und dennoch werden die eigenen Sorgen und Bedürfnisse zumindest für die Dauer des Spieles zurückgestellt. Man fiebert mit, man erklärt sich solidarisch nicht nur mit den eigenen Sportlern, man ist auch eins gegen alle, die das bessere Abschneiden der eigenen Mannschaft zu behindern scheinen: was beim gegenerischen Stürmer als Schwalbe im Strafraum abgetan wird und höchstens darauf Rückschlüsse erlaubt, wie unsportlich doch der Gefallene ist im Umgang mit seinem Unkönnen und seiner Ermüdung, führt bei Betroffenheit eines eigenen Spielers zu vehementem Einfordern einer roten Karte samt Elfmeter; wo beim Ausbleiben eines Pfiffes des Schiedsrichters zwecks Sanktionierens einer zweifelhaften Zweikampfaktion lautstark protestiert wird, zeigt man sich im umgekehrten Fall entrüstet, da der Unparteiische wieder mal das ganze Spiel zerpfeift; selbst Tore werden mit unterschiedlichem Maß betrachtet: vermeintliche Abseitsstellungen und die Frage, ob denn der Ball nun mit vollem Umfang die Torlinie überragt hat, geben auch bei vorliegen neutraler Parameter in Form des Regelwerks viel Ausleungsspielraum.
Zuschauerinnen und Zuschauer sind während eines Matches aus ihrer eigenen Wahrnehmung die besseren Schiedsrichter und die besseren Trainer. Und zeigen dabei Lehrbuchbeispiele der Eskalation: Pfeifkonzerte bei Aktionen der gegnerischen Mannschaft und verhöhnende Sprechgesänge sind da quasi der Einstieg; fliegende Bierbecher oder gar pyrotechnische Geschosse in Richtung des Spielfeldes lassen bereits Taten statt Worte erkennen; werden mal die ersten Drohungen ausgesprochen, etwa in Richtung des Schiedsrichters in Form der beliebten Sprechgesänge "Schiri, wir wissen, wo Dein Auto steht", so sollten bei den zahlreich anwesenden Sicherheitskräften für die Zeit nach dem Spiel bereits ernsthaft die Alarmglocken schrillen: denn der Sprung zu Handgreiflichkeiten, zu welchen viel zu oft blutverschmierte Sanitäterhandschuhe als Zeugen weiterer Eskalation am Straßenrand im Umfeld der Stadien gefunden werden müssen, ist dann kein sonderlich großer mehr.
Wie schade das eigentlich für alle Beteiligten ist, sieht man besonders gut, wenn man Kinder dabei beobachtet, wenn sie die ersten Male in ein Stadion kommen, um ihre Idole life anfeuern zu dürfen. Sie fiebern mit, wenn jene Spieler, deren Dress sie sich zum Geburtstag gewünscht haben und den sie nun stolz ausführen als Zeichen der Verbundenheit, am Ball sind und leiden ein Stück weit mit, wenn es dann doch nicht so gut um die eigene Mannschaft steht im Spielverlauf. Es wird voller Inbrunst gejubelt bei jeder gelungenen Ballkombination der eigenen Elf - wie auch ein sorgenvolles "Nein" in das Stadion geschmettert wird, wenn der gegnerischen Mannschaft ein solcher gelingt. Kinder schaffen es dabei aber sehr gut, das Fansein zu trennen von der unter Erwachsenen scheinbar zwangsläufig ausgelebten Feindschaft gegen "die anderen". Und auch der Fatalismus für den weiteren Spielverlauf, wenn die großen Idole mal in Rückstand geraten, ist kaum ausgeprägt: es überwiegt einfach die Freude. Kinder schaffen es, den Moment zu genießen und den noch kommenden Ereignissen die Chance zu geben, alles wieder gut zu machen.
Wenn Kinder dann im Stadion auf den Plätzen rund um sich auf Menschen stoßen, welche das anders sehen, so beschäftigt sie das. "Der Mann macht mir Angst" wird da etwa jener Herr beschrieben, welcher unentwegt den eigenen Torhüter lautstark mit Schimpftiraden bedenkt wegen des vor einer halben Stunde erfolgten Schnitzers. Auch die Vielzahl an Schimpfwörtern erscheint selbst den Kindern, welche normaler Weise in schelmisches Grinsen verfallen, wenn sie ihren Wortschatz erweitern können um nicht unbedingt stubenreine Bezeichnungen, so unvereinbar mit dem persönlich erlebten Moment der Freude, dabei sein zu dürfen, dass sie nur mit einem rätselnden beobachtenden Blick der Kinder für die sie umgebenden Menschen quittiert wird. "Was ist denn mit denen los" hört man sie förmlich denken.
Fußball ist wie eine Religion hört man eingefleischte Fans immer wieder schwärmen. Ja, da gibt es Parallelen: da wie dort werden persönliche Sorgen und Bedürfnisse zumindest für kurze Zeitabschnitte untergeordnet; aber auch da wie dort führt Fanatismus leider viel zu oft zu Eskalation bis hin zur tatsächlichen Schädigung anderer Menschen. Stoppen wir das. Schauen wir uns etwas von unseren Kindern ab: genießen wir doch miteinander die wunderbare Atmosphäre in einem Stadion und freuen wir uns darüber, dabei zu sein. In der Nähe unserer Idole zu sein, ihnen als 12. Mann beistehen zu dürfen - und stellen wir dabei die vielen schönen Spielmomente auch mal über das Resultat. Statt sich zu ärgern bringt es nämlich auch für einen persönlich mehr, sich auch mal für die anderen freuen zu dürfen; schon beim nächsten Match kann es dann ja wieder "richtig" rum laufen.