Kurt zieht wieder mal seine Runden durch den Supermarkt. Diesmal scheint er allerdings etwas unkoordinierte Wege durch die Regalreihen zu nehmen. Während sich der Einkaufswagen noch beim letzten Mal binnen weniger Minuten gefüllt hat, scheint es diesmal schier ewig zu dauern, dass endlich mal Produkte in den Korb finden. Auch sein Blick ist heute nicht so entschlossen – irgendwie scheint da eine gewisse Verlorenheit Platz zu bekommen.

Immer wieder nimmt Kurt ein Produkt aus dem Regal und studiert das Kleingedruckte. „Blablabla, kann Spuren von Gluten beinhalten.“ Ja Himmelherrgott – was macht Weizen bitte im Koriander? Dass so gut wie alle Fertigprodukte, zu denen er der Einfachheit halber immer wieder gerne gegriffen hat, nunmehr Tabu für ihn sind, das hat er ja ohnehin schon geahnt. Dass aber scheinbar alles, was er bisher in den Einkaufstaschen nach Hause getragen hatte, Gift für seinen Körper sein soll, sorgt für einen gewissen Frust. Gut, schon zu Hause hatte es ihn etwas in Schrecken versetzt, als er im Internet gelesen hat, dass nur noch exotische Biersorten in Betracht kommen. Doch dass der gesamte Supermarkt nach der ersten halben Stunde des Umherirrens so gar keine Alternativen anzubieten scheint, das dem bisherigen Speisezettel entspricht, lässt ihn kurz überlegen, ob er laut zu schreien oder einfach zum Heulen anfangen soll.

Endlich wird er auch außerhalb der Obst- und Gemüseabteilung fündig. Da sind in einem kleinen Regal, welches er bislang eigentlich nie auf seinem Radar hatte, lauter Schätze versteckt: Mehl, Brot, Nudeln, Brotbackmischungen, Kekse, ja sogar Bier – alles mit dem Aufdruck „glutenfrei“. Vor lauter Freude, endlich Alternativen gefunden zu haben, die keine radikale Umstellung des Speiseplans erfordern, räumt er gleich mal das halbe Regal leer. Nun hat er einen Lauf: auch in der Wurstabteilung entdeckt er Marken, welche neben der Glutenfreiheit auch Laktosefreiheit versprechen. Ja, selbst in Wurst wird ja Mehl verarbeitet als Bindemittel, wie er sich nun bewusstmachen musste.

Während Kurt den mittlerweile doch noch voll gewordenen Einkaufswagen zur Kassa schiebt, beginnt er nachzudenken: weshalb müssen eigentlich in der Gastronomie die Speisen ausgeschildert werden nach den potenziellen Allergenen, während im Supermarkt ohne einer Lupe und einem Wörterbuch zwecks Übersetzung der verschiedenen Bezeichnungen der Inhaltsstoffe es nahezu unmöglich ist, jene Lebensmittel herauszufinden, die man als Mensch mit der Diagnose Zöliakie nehmen kann? Wo kaufen übrigens Gastronomen ein und haben die ein ernährungswissenschaftliches Studium absolviert, um zu all den Produkten zu wissen, was da beigemengt wurde, um es dann auf der Speisekarte richtig vermerken zu können? Und wie um alles in der Welt kommt in den Koriander Gluten?

An der Kassa wird Kurt jäh aus all diesen Gedanken gerissen: ohne mehr eingekauft zu haben als sonst zahlt er mehr als den doppelten Preis. Okay, das begründet nun auch wieder, dass es für Diäten einen eigenen Absetzposten in der Arbeitnehmerveranlagung gibt … Noch heute wird er sich erkundigen, ob und wieviel Unterstützung es da vom Finanzamt für eine glutenfreie Ernährung gibt.

Zöliakie ist eine chronische Erkrankung, die bei entsprechender Bereitschaft durch den Genuss glutenhältiger Speisen ausgelöst wird. Gluten ist ein Klebereiweiß, das in zahlreichen bei uns üblichen Getreidesorten enthalten ist. Bei Menschen mit entsprechender Veranlagung führt der Verzehr von glutenhältigen Lebensmitteln zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Dadurch wird die Funktion des Dünndarms deutlich beeinträchtigt und die Aufnahme von Nährstoffen wird gestört. Als Folge davon leiden die Patienten unter Mangelzuständen, Verdauungsstörungen und weiteren vielfältigen Symptomen. Nur unter strikter glutenfreier Ernährung erholt sich die erkrankte Dünndarmschleim­haut wieder. Der Allgemeinzustand des Patienten bessert sich schon meistens nach wenigen Tagen. Auch die Ergebnisse der Blutuntersuchungen werden im Laufe von Monaten normal, und schließlich ist auch die Dünndarmschleimhaut von normaler, gesunder Schleimhaut nicht mehr zu unterscheiden.

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