Wie es auch mit der Schwiegermutter funktionieren kann

Zu einem Urzeitmenschen kommt ganz aufgeregt seine Frau gelaufen: „Du", ruft sie bereits von der Ferne, „ein Säbelzahntiger ist in die Höhle meiner Mutter gelaufen." Meint darauf der Urzeitmensch völlig unbeeindruckt: „Na und? Soll der Tiger doch selbst sehen, wie er da wieder rauskommt." Es sind Witze wie dieser, welche für Menschen ohne einen eigenen Erfahrungsschatz über die wunderbaren Erlebnisse, welche man in der Begegnung direkter und leider auch indirekter Natur mit seiner Schwiegermutter machen kann, etwas nach Kalauer klingen. Anderen Menschen bleibt dabei hingegen das Lachen rasch in der Kehle stecken, da der Nachgeschmack der zwangsläufig aufsteigenden Bilder aus der eigenen Vergangenheit oder auch Gegenwart einfach zu bitter schmeckt. Es ist auch gar nicht weiter verwunderlich, wenn man nach dem Erzählen dieses Beispiels aus einer unendlich scheinenden Vielzahl von Schwiegermütterwitzen sofort Vorschläge erhält, wie denn die Geschichte weitergehen könnte: das sofortige Zumauern der Höhle jedem Gefühl von Tierliebe zum Trotz ist da noch einer der harmlosesten Gedanken.

Ist es gottgewollt und unveränderlich, dass die Schwiegermutter in so vielen Familientragödien eine zentrale Rolle spielt? Woran liegt es, dass in anderen Familien die Schwiegermutter ganz im Gegensatz dazu als guter Geist der Familie gar nicht mehr weggedacht werden kann? Ein Blick auf viele Erzählungen betroffener Personen sowie die dahinter steckenden Dynamiken und Zusammenhänge lässt es zu, Möglichkeiten zu erkennen, wie man selbst zu einem bedeutenden Teil mitentscheiden kann, dass es auch zwischen Schwiegermutter und Schwiegerkind gut funktionieren kann. Mit Auswirkungen für die gesamte Familie und auch die eigene Partnerschaft.

Bevor man zu einer Schwiegermutter kommt, bedarf es natürlich erst einmal des Entschlusses, mit einem Menschen, den man lieben gelernt hat, zum gemeinsamen Entschluss zu kommen: ja, wir wollen zumindest ein Stück unseres Lebensweges miteinander gehen. Die auch bereits davor zumeist selbstverständlicherweise gegebene Tatsache einer Mutter auch auf Seite des neuen Lebensweggefährten, die in ihrer vollen Bedeutung und alltäglichen zumindest indirekten Anwesenheit nicht weiter wahrgenommen wurde in den ersten Phasen der Beziehung, bekommt jedoch mit diesem Entschluss schlagartig eine andere Dimension. Wie kommt es dazu?

Solange eine Beziehung zweier Menschen in den Anfängen steckt und von den beiden Herkunftsbeziehungssystemen – also den Familien der beiden Personen – nicht als potenziell auf Dauer ausgerichtet wahrgenommen wird, wird es den beiden verliebten Menschen möglich sein, in Ruhe und zu zweit an einer gemeinsamen Sprache, an einem gemeinsamen Verständnis der jeweiligen individuell entwickelten Wertevorstellungen und der nötigen Wertschätzung gegenüber den unterschiedlichen Zugängen zu arbeiten. Es findet ein von Außeneinflüssen, denen Autorität eingeräumt wird, ungestörtes Erforschen der Vorlieben des jeweils anderen statt. Die Spiegelneuronen arbeiten auf Hochtouren, man verschlingt förmlich die emotionalen Regungen des anderen und prüft sie auf Vereinbarkeit mit der eigenen inneren Landkarte. Es

findet dabei ein wechselseitiger Abgleich statt.

Auch die Beziehung zur zukünftigen Schwiegermutter ist zu diesem Zeitpunkt zumeist noch eine sehr entspannte und eher von Offenheit, Neugier auf das Sein des jeweils anderen und jener Wertschätzung getragen, die in der jeweiligen Umgebungsgesellschaft als „normal" gegenüber den Mitmenschen gelebt wird. Die beiden Familiengeschichten kommen noch kaum zum Wirken, es herrschen noch jene Verhaltensmuster vor, die auch in der öffentlichen Gesellschaft gelebt werden.

Das Eingehen eines neuen Lebensabschnittes in gewollter Zweisamkeit entpuppt sich nach Ablegen der berühmten rosa Brille aber rasch als weit mehr als die Schaffung einer mikrosozialen neuen Zelle in der beabsichtigten und auf den ersten Blick auch von außen erkennbaren Größe. Rasch wird sich herausstellen, dass sich gleichsam ein Harem gebildet hat bestehend nicht nur aus den beiden Partnern sondern auch

deren Herkunftsfamilien. Die jeweilige Mutter nimmt dabei eine zentrale Rolle der Trägerin und auch Überträgerin von Familientradition sowie einem komplexen Wertesystem, aber auch offener und verborgener Familiengeschichte ein. Und je nach Familienkultur erfolgt nun eine erste Weichenstellung, welche den weiteren Verlauf der Partnerschaft das erste Mal wesentlich zu beeinflussen vermag.

Treffen zwei offene Familienkulturen aufeinander, so ist die Partnerschaft zunächst von familiengeschichtlichen Störfaktoren frei und kann sich als mikrosozialer Satellit zweier Ursprungsfamilien selbstständig entwickeln. Wäre diese Konstellation so häufig anzutreffen, wie es der Menschheit zu wünschen wäre, so gäbe es wohl nicht so viele haarsträubenden Geschichten und auch Witze über das Phänomen Schwiegermutter mit all seinen Schattierungen und Auswirkungen auf ganze Kulturkreise. Denn leider scheint es der Regelfall zu sein, dass zumindest eine der beiden Herkunftsfamilien ein problematisches und nicht aufgearbeitetes Erbe mit sich trägt und von Generation an Generation weiterreicht, geschützt durch ein geschlossenes Familiensystem als Schutzwall gegen ungewünschtes Entdecken desselben. Und in diesen Fällen birgt jede Beziehung das Potenzial in sich, eine Kopie der Westside Story zu werden, in welcher man eine der Hauptrollen spielen darf – mit dem Unterschied, dass das eigene Leben an die Stelle einer Bühne tritt.

Gegen diese meist gar nicht einmal beabsichtigte Bedrohung des Beziehungsglücks hilft es, wenn Achtsamkeit, bedingungslose wechselseitige Offenheit und auch geübte wertschätzende Abgrenzung gegen die jeweilige Familienerbsünde, welche von der Schwiegermutter gleichsam Evas Apfel als Mitgift in die junge Partnerschaft eingebracht wird, zum Standardrepertoire der beiden frisch verbundenen Menschen gehören. Eigenschaften, welche auch ansonsten das Zusammenleben sehr unterstützen. Mit welchen man es versteht, auch auf dem Beziehungshorizont erscheinenden Gewitterwolken die Energie für eine konstruktive Aufarbeitung von gemeinsamen Herausforderungen abzugewinnen.

"Der Tiger und die Schwiegermutter" gibt ganz konkrete Denkanstöße zu einem besseren Miteinander innerhalb der Familie. Mit vielen konkreten Beispielen, in welchen sich viele Leserinnen und Leser - sei es als Schwiegermutter, sei es als Schwiegerkind oder Kind - wiederentdecken werden. Zu welchen wir zu jeder Zeit die Wahl haben: wollen wir aus der Familie ein Schlachtfeld machen oder doch lieber die Chancen erkennen, an den Unterschieden sogar zu wachsen.

https://www.weltbild.at/artikel/buch/der-tiger-und-die-schwiegermutter_18349325-1

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