Eigentlich sollte man meinen, dass wir alle an unserer Freiheit hängen. An dem Raum, den es braucht, um sich selbst entfalten und verwirklichen zu können. Unabhäng zu sein ist immerhin etwas, das sich als Zielvorstellung wie ein roter Faden durch unser Leben zieht und dem wir viele Denkmale gesetzt haben als äußere Zeichen: wie etwa den Freiheitsbaum, welcher in den Geschichtsbüchern mehrmals anzutreffen ist und seine Wurzeln in jener Ulme in Boston hat, unter welcher im August 1765 Steuereintreiber schwören mussten, niemals Stempelmarken zu verkaufen. Oder die Freiheitsstatue, die Abbildung der römischen Gottheit für Freiheit mit der ihr zu Füßen liegenden zerbrochenen Kette, welche an die Unabhängigkeitserklärung erinnern soll. Oder auch die zerbrochene Kette in unserem Staatswappen.
Umso verwunderlicher ist es, dass wir in einem unserer intimsten Lebenbereiche im Laufe der letzten Jahrzehnte ständig nach neuen Regeln gerufen haben, welche uns die Eigenverantwortung abnehmen. Unsere Freiheit somit zu Gunsten eines Korsetts aus allgemein gültigen Regeln beschränken. Selbstverständlich nicht ohne darauf zu verzichten, die einmal gefundenen Normen ständig zu verurteilen dafür, dass sie ungerechte Lösungen hervorbrächten. Es geht um unsere Familien.
Das Familienrecht ist in den letzten Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Novellen, Differenzierungen und der Aufnahme von immer detaillierteren Bestimmungen geworden. Es werden gegenseitige Rechte und Pflichten der Familienmitglieder immer genauer geregelt: zuletzt wurde so etwa versucht, das Kindeswohl in gesetzlichen Formulierungen in allen Facetten zu erfassen.
Was bedeutet dies für die gesellschaftliche Realität? Selbstverständlich ist es ein Sinn einer Rechtsordnung, die Werte, auf welche man sich als Gesellschaft in demokratischen Entwicklungsprozessen verständigt hat, abzubilden als kleinsten gemeinsamen Nenner. Das bedeutet daher, dass es der Freiheit des Individuums keinen Abbruch tut, wenn in Paragraphendeutsch festgehalten wird, dass Familie ein besonderer Wert beigemessen wird und Kinder den besonderen Schutz der Gesellschaft genießen. Schwierig wird es allerdings bereits, wenn Definitionen vorgenommen werden, was unter Familie verstanden wird. Hier läuft ein Gesetzgeber, welcher am grünen Tisch entscheidet, bereits Gefahr, ganze Gesellschaftsgruppen in Bedrängnis zu bringen: denn was soll mit jenen Familienrealitäten passieren, welche dem katholischen Ideal von Mutter, Vater - selbstverständlich verheiratet - und Kind an einem gemeinsamen Wohnsitz, nicht so recht entsprechen? Wie soll etwa verfahren werden mit Patchworkfamilien, mit homosexuellen Paaren. Sind auch sie Familie? Und bedeutet der Schutz von Familie im Umkehrschluss, dass damit ein Freibrief ausgestellt wird dafür, Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen keine eigene Familie gegründet haben, schlechter gestellt werden dürfen?
Noch losgelöster vom dem Individuum innewohnenden Drang nach subjektiver Gerechtigkeit - und damit auch von Freiheit - wird es, wenn vom Gesetzgeber für den Konfliktfall Lösungen vorgegeben werden: wenn also regelnde Eingriffe des Staates in diesen intimen Lebensbereich mit auch darüber hinausgehend weitreichenden Auswirkungen vorgesehen werden. Urteile und Beschlüsse, welche vollzogen werden müssen mit Rechtskraft der Entscheidung bei sonstiger staatlicher Sanktions- oder Exekutionsandrohung. Bei einer Gesamtscheidungsrate von rund 50 Prozent in Österreich und rund 18.000 von Scheidungen betroffenen Kindern pro Jahr (Quelle: Statistik Austria) einerseits kein Randproblem, andererseits aber eine so große Zahl von Betroffenen, dass es nahezu unmöglich erscheint, generell gültige Regeln zu finden, welche im konkreten Einzelfall auch subjektiv als gerecht empfunden werden können. Ist es daher überhaupt zielführend für eine Erreichung des in den Werten festgeschriebenen Zielzustandes der Unterstützung von Familien, wenn individuelle und eigenverantwortliche Lösungsfindungen ganz leicht ersetzt werden können durch Richtersprüche? Durch Entscheidungen staatlicher Stellen, welche sich an allgemeinen Vorgaben orientieren müssen? Oder führt dies vielmehr dazu, dass Freiheit über Gebühr beschnitten wird und damit frustrierte Menschen zurücklässt, welche sich vor die Wahl gestellt sehen, entweder in Resignation zunehmend die Bereitschaft zur Eigenverantwortung auch in anderen Lebensbereichen abzulegen oder sich im Kampf gegen das System aufzulehnen?
Höchst Emotionale Schilderungen und Diskussionen in zahlreichen Foren in den social media, aber auch Dramen, welche sich nicht nur im eigenen Bekanntenkreis abspielen, sondern zum Teil auch in die Schlagzeilen des Chronikteils von Tageszeitungen finden, geben ein deutliches Zeugnis darüber ab, dass Obsorgestreitigkeiten nach Scheidungen etwa kaum mit einem Richterspruch Frieden in das Leben des Kindes zu bringen vermögen. Ganz im Gegenteil geht von diesem staatlichen Eingriff dann in zu vielen Fällen nicht nur eine neuerliche Eskalation aus, sondern die Akzeptanz gegenüber der Rechtsordnung als Gesamtes leidet wegen der empfundenen Ungerechtigkeit und dem Gefühl, vom Staat als Individuum im Stich gelassen zu werden. 2 Beispiele: Angeordnete gemeinsame Obsorge wird oftmals nicht umgesetzt beziehungsweise am Rücken des Kindes trotz wunderbarer Theorie in den einschlägigen Paragraphen boykotiert; Einigungen auf geteiltes Sorgerecht hingegen wird mangels ausdrücklicher Deckung in der aktuellen Rechtsordnung die Bestandskraft verweigert.
Aber auch im positiven Sinne steht der Staat vor großen Herausforderungen hinsichtlich einer Umsetzung des Bekenntnisses zum Schutz der Familie und des Kindeswohls: Förderprogramme in den verschiedensten Bereichen begonnen bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie über Gesundheitsmaßnahmen und Bildung bis hin zu finanziellen Unterstützungen sind gut gemeint, können aber leicht ihre Wirkung kostspielig verfehlen, wenn an den tatsächlichen Bedürfnissen vorbei agiert wird.
"Wir sind das Volk" wird oftmals gegenüber der Politik mahnend in Erinnerung gerufen, dass das Recht und damit in weiterer Folge staatliches Handeln in einer Demokratie von der Gesellschaft legitimiert werden muss. Na, dann packen wir es an! Nehmen wir Anleihe an Mediation in Verfahren und Haltung (vgl. dazu: "Politische Machtspiele - Schlachtfeld oder Chance") und treten wir in einen Dialog zwischen den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und jenen, die bereit sind, Verantwortung in der Politik zu tragen auf der anderen Seite, um die Frage zu beantworten: Wieviel Staat braucht Familie? Wo ist es sinnvoller, an Stelle staatlicher Eingriffe Eigenverantwortung in der Lösungsfindung zu stärken und wie kann das gelingen? Wo bedarf es tatsächlich der Intervention und wie muss diese ausgestaltet werden, um ohne empfundene Beeinträchtigung individueller Freiheit als gerecht und hilfreich angenommen werden zu können? Die Politik ist zur gemeinsamen Lösungssuche bereit - sind wir es auch?
Hinweis: Für 13. März 2015, 17:30 Uhr, laden die Denkwerkstatt Steiermark-Europa und die Kinderwelt Steiermark in 8200 Gleisdorf, Rathausplatz 5, zu einer offenen Diskussion zum Thema "Wieviel Staat braucht Familie" ein. Dr. Reinhold Lopatka, Klubobmann im ÖVP-Parlamentsklub und Mag. Hans-Jürgen Gaugl, MSc, Mediator, Elternberater und Sachbuchautor, werden zur Verfügung stehen für einen Gedankenaustausch und Impulsreferate. Die Veranstaltung ist als Auftakt für die Ausarbeitung konkreter Verbesserungsmöglichkeiten durch die Denkwerkstatt Steiermark-Europa gemeinsam mit interessierten und betroffenen Bürgerinnen und Bürgern konzipiert. Für Kinderbetreuung während der Veranstaltung wird selbstverständlich gesorgt, auch besteht die Möglichkeit, gewidmete Exemplare der neuesten Bücher von Hans-Jürgen Gaugl ("Der Tiger und die Schwiegermutter" und "Politische Machtspiele - Schlachtfeld oder Chance") zu erwerben.