So mancher kennt sie, jeder, der sie kennt liebt sie, und für mich hat sie jahrelange Kopfschmerzen ein für allemal beendet – die Schanigartenregel. Doch zuerst möchte ich ein bisschen ausholen. Es könnte ja sein, dass Weibsvolk... äh... Fremdsprachige (also nicht des Österreichischen Mächtigen) anwesend sind.

Alsdann. Als Schanigartenbezeichnet man jeden auch nur einzelnen Tisch mit Sessel, oft begleitet von einem Gartengschirrl mit verdurstetem Klettergewächs auf abgeblättertem Rankgitter (ja, das heißt so), den ein Gastwirt beim ersten Aufblitzen eines Sonnenstrahls, sei es noch Februar oder schon November, zwecks Bewirtung vor seinem Lokal auf die Straße stellt. Diese „Gärten“ können aber auch gigantische Ausmaße annehmen und von den Gehsteigen auf die Straßen überschwappen, sehr zum Leid der saisonal um ihre Parkplätze gebrachten Autofahrer. Der Name stammt angeblich von dem Spruch mancher Wirte, die ihren Lehrbuben, dazu aufforderten „den Garten hinauszustellen“. Diese Lehrbuben hießen zwar nicht alle Schani (die ungarische Koseform von Jean, französisch für Hans), aber der Name ist im Wienerischen einerseits synonym mit dem Piccolo im Kaffeehaus, bezeichnet aber auch generell eine Person im Abhängigkeitsverhältnis bzw. jemanden, dessen Dienste ausgenutzt werden. Wie im empörten Ausruf: „I bin do net dei Schani!“

Da die Sitte des Schanigartens aber nachweislich bereits auf das 18. Jahrhundert zurückgeht, als der Kaffeesieder Giovanni Taroni Tische und Stühle vor sein Café am Graben stellte, was die anderen Kaffeehausbesitzer sehr schnell imitierten, und ein weiterer Meilenstein im Zuge dieser Entwicklung das sogenannte „Limonadenzelt“ war, ein Sommercafé, dass ein gewisser Giovanni Milani ab 1789 auf der Burgbastei betrieb, könnte der Begriff durchaus auch von einer französierten Variante des Vornamens dieser beiden Herren stammen. Ja, das war ein Satz mit hoher Informationsdichte. Bitte gegebenenfalls noch einmal lesen.

Doch nun zur Schanigartenregel. Leuten (wie mir), die anlässlich der Zeitumstellung im Frühjahr und Herbst nie wissen, ob sie ihre Uhren jetzt eine Stunde vor oder zurück stellen sollen, oder beides, oder sie doch lieber gleich zertrümmern, sakranocheinmal, hilft ein für allemal der „Schanigartentrick“. Und der geht so: im Frühling stellt der Wirt seinen Garten VOR die Tür, analog wird die Uhr eine Stunde VOR gestellt, im Herbst trägt er den Garten wieder ZURÜCK in sein Lokal, daher werden die Uhren um eine Stunde ZURÜCK gestellt. Schön und elegant, oder? Beziehungsweise passt, wackelt und hat Luft, wie nördlichere Fremdsprachler sagen würden. Dabei tut es freilich nichts zur Sache, dass österreichische Wirten, Kaffeehausbesitzer sowie Piccolos die Sitzgelegenheiten samt den mehr oder minder schmückenden Blumenkästen, die wohl das namensgebende Feigenblatt für die Bezeichnung Garten darstellen, eigentlich jeden Abend wieder hineintragen…

Eben genannter Trick gehört zu den besten jahreszeitlich bedingten, die ich kenne, neben dem, der meint, dass der Weltspartag das Signal dafür ist, die Sommerreifen auf Winterreifen umstecken zu lassen. Modernere Zeitgenossen können statt des Weltspartags übrigens auch Halloween nehmen, das wie auch noch der wichtigste protestantische Feiertag, der Reformationstag, auf genau den gleichen Tag fällt. Nämlich den 31. Oktober.

Noch ein kleiner weiterer themenverwandter etymologische Exkurs: Die Wiener Bezeichnung Beserlpark für minimalste (im schlimmsten denkbaren Fall sogar äußerst tragische Entschuldigungen für) Parkanlagen stammt vermutlich aus der Zeit des Ringstraßenbaus. Damals wurden alle Bastionen, also die alten Stadtmauern, abgerissen, die breiten neuen Straßen gebaut und neue Bäume gepflanzt. BeimAbbruch der Gonzagabasteiwurden etwa wie es in einer alten Abrechnung heißt1677 5/6 Cub.Klafter Mauern abgebrochen, 3389 2/3 Cub. Klafter Erdkörper abgetragen und in dem naheliegenden Stadtgraben deponiert. Die Kosten beliefen sich auf 46.288 fl 23 kr. dagegen wurden für den Verkauf des alten Baumaterials 19.397 fl 30 kr. einge­nommen.“Wobei Cub.Klafter fürKubikklafter steht, bestehend aus 216 Kubikfuß, was etwa 6,82 m³ entspricht. Und Hand aufs Herz, sind Sie nicht froh darüber, dass Sie das jetzt wissen?

Jedenfalls waren die Basteien zuvor auch Zonen mit einigen Grünflächen, weshalb als Ersatz - etwa entlang des Franz-Josef-Kais - neue Parkanlagen errichtet wurden. Die Jungbäume dort ragten jedoch lange Zeit eher dürr und unansehnlich wie in den Boden gerammte Reisigbesen aus der Erde, was die spöttischen Bewohner der Kaiserstadt erstmals dazu inspirierte solche Parkanlagen eben als „Parks der kleinen Besen“ vulgo „Beserlpark“ zu bezeichnen.

Übrigens, die Schanigartenregel hilft mit Dyskalkulie Geschlagenen wir mir leider nicht dabei herauszufinden, ob man in der Nacht der Umstellung jetzt eine Stunde länger schlafen kann oder nicht. Mist.

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[Dieser Text stammt ursprünglich aus dem Kapitel „Natürlich Wien" meines Buches Furioses Wien, wurde aber für diese Veröffentlichung heftig überarbeitet, ergänzt und neu gemixt.]

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