Im November 2019 sorgte PETA mit einer außergewöhnlichen Meldung für Aufsehen: Die Tierrechtsorganisation hat Verfassungsbeschwerde im Namen all der Ferkel eingereicht, denen nach wie vor ohne Betäubung die Haut über den Hodensäcken aufgeschnitten, die Hoden herausgedrückt und die Samenstränge durchtrennt oder abgerissen werden. Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte sind die Tiere dabei selbst Beschwerdeführer und werden von PETA und einer Rechtsanwältin lediglich vertreten. Doch warum das alles?
Tierschutz in Deutschland: Lebewesen eingesperrt, versklavt, gefoltert und getötet
Ganz gleich, ob sie Fell, Federn oder Schuppen haben: Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass Tiere nicht für den Menschen existieren, sondern als eigenständige Individuen Teil eines gemeinsamen Lebensraumes sind. Leider stellt sich der Mensch über die Mitbewohner dieser Erde und zieht je nach Spezies willkürlich Grenzen, beispielsweise zwischen „Haustieren“ und „Nutztieren“. Tiere werden somit aufgrund ihrer Artzugehörigkeit oder ihres Nutzens für den Menschen kategorisiert – doch was haben sie uns getan? Womit haben unschuldige, fühlende Lebewesen es verdient, eingesperrt, versklavt und getötet zu werden?
„Versklavt“ mag im ersten Augenblick extrem klingen, das ist es schließlich auch – tatsächlich beschreibt es die Missstände jedoch sehr treffend. Und wir müssen die Dinge endlich beim Namen nennen: Denn Vergewaltigung ist Vergewaltigung, ganz gleich, ob ein Mensch das Opfer ist oder ob etwa einer Kuh gegen ihren Willen der Samen eines Bullen – der dafür ebenfalls sexuell genötigt wurde – mit bloßer Menschenhand und einer Spritze eingeführt wird, um sie „künstlich zu befruchten“. Wir müssen aufhören, grausame Praktiken zu umschreiben oder zu beschönigen, um die Verbindung wiederherzustellen und diese Grausamkeiten als das zu erkennen, was sie sind. Denn nur so können wir Mitgefühl für all jene empfinden, die tagtäglich immensem Leid ausgesetzt sind, weil Menschen über sie verfügen wie über leblose Dinge.
Und hier setzt die Verfassungsbeschwerde im Grunde an. Denn dass die systematische Tierquälerei in Deutschland nach wie vor anhält, steht im krassen Widerspruch zum Staatsziel Tierschutz.
Bestehendes Recht auf Freiheit von Schmerzen und Leiden durchsetzen
Hierzulande werden selbst elementare Rechte von Tieren missachtet, die durch das Staatsziel Tierschutz und den ethisch begründeten Individualtierschutz des Tierschutzgesetzes eigentlich bereits anerkannt sind – die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel ist nur ein Beispiel von vielen. Doch „wo kein Kläger, da kein Richter“: Ziel der Verfassungsbeschwerde ist, dass Tiere über menschliche Vertreter die Durchsetzung ihrer bereits bestehenden Rechte einfordern können. Um den Weg dafür zu ebnen, fordert PETA das Bundesverfassungsgericht auf, das Grundrecht der Ferkel auf Freiheit von Schmerzen anzuerkennen und die Ferkelkastration zu verbieten.
Die 68-seitige Beschwerdeschrift erklärt, dass und warum die anhaltende Kastration männlicher Ferkel verfassungswidrig ist. Sie legt auch dar, warum Ferkel als Rechtssubjekte anerkannt werden müssen und dass Tiere schon jetzt elementare Rechte haben – schließlich drohen bis zu drei Jahre Gefängnis, wenn einem Tier länger anhaltende Schmerzen oder Leiden zugefügt werden.
Grundrechte für Tiere – keine Utopie
Die Forderung nach Grundrechten für Tiere ist keineswegs abwegig: 2015 wurde die im Rostocker Zoo geborene Orang-Utan-Dame Sandra aus ihrer über 20-jährigen Gefangenschaft im Zoo von Buenos Aires freigesprochen. Auch mehrere indische Gerichte erkannten bereits Grundrechte von Tieren an – etwa das Recht von Bullen, nicht für Rennen missbraucht zu werden. Selbst zahlreichen Flüssen wurde der Status von Rechtspersonen zugesprochen, damit sie (vertreten durch den Menschen) gegen Verschmutzung und Bauvorhaben klagen können.
Mit der Beschwerde im Namen der Ferkel appelliert PETA an das Bundesverfassungsgericht, diesem Beispiel zu folgen und nicht-menschliche Tiere als Träger eigener Rechte anzuerkennen. Dadurch könnten ihnen künftig weitergehende fundamentale Grundrechte zugestanden und ihre Lebensbedingungen tiefgreifend verbessert werden. So könnte beispielsweise ein Elefant, der in einem Zoo oder Zirkus gefangen gehalten wird, mit menschlicher Hilfe sein Recht auf Freiheit der Person geltend machen und von einem Gericht befreit werden.
Verbandsklagerecht reicht nicht – Paradigmenwechsel notwendig
Theoretisch soll das Verbandsklagerecht es ermöglichen, Tierschutzbestimmungen besser durchzusetzen. Allerdings existiert es bisher nur in sieben Bundesländern und stellt die Grundproblematik – also die Behandlung von Tieren als Objekte – nicht infrage. Hinzu kommt, dass bei Weitem nicht in allen Bereichen der Tiernutzung geklagt werden kann, Gerichte Verbandsklagen teils als „Klagen zweiter Klasse“ behandeln und mitunter sogar verschleppen. Damit Tieren ein wirksamer Rechtsschutz zukommen kann, müssen Gerichte anerkennen, dass Tiere schon nach geltendem Recht grundrechtsfähige Rechtssubjekte sind.
Wir mögen uns in vielerlei Hinsicht von nicht-menschlichen Tieren unterscheiden, doch ausschlaggebend sind Gemeinsamkeiten wie die Fähigkeit, Freude, aber auch Trauer, Angst und Schmerzen zu empfinden. Doch selbst dort, wo es wegen dieser Gemeinsamkeiten besondere Vorschriften zum Schutz von Tieren gibt, werden vorhandene Bestimmungen oft nicht eingehalten oder systematisch ignoriert. Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht ein rechtshistorisches, aber ebenso längst überfälliges Urteil fällen und Grundrechte für Tiere dadurch offiziell anerkennen wird.