Wenn Mode unter die Haut geht: verborgenes Tierleid in der Fashion-Week-Metropole und „veganen Hauptstadt“

Bald ist wieder Veganuary: Im ersten Monat des Jahres keine tierischen Lebensmittel zu sich zu nehmen, ist für viele Menschen ein beliebter Neujahrsvorsatz. Millionen Teilnehmende verzeichneten die Verantwortlichen der Webseite veganuary.com in den vergangenen neun Jahren weltweit. [1] Eine gute Sache, gilt doch die Produktion tierischer Nahrungsmittel als Klimakiller Nummer eins.

Auch zahlreiche Berlinerinnen und Berliner werden sich im Januar erneut rein pflanzlich ernähren. Im kommenden Jahr wird der Veganuary wieder unzähligen Tieren das Leben retten und sie vor Ausbeutung bewahren. Nicht zuletzt schärft der vegane Monat auch das Bewusstsein in der Gesellschaft dafür, was wir unseren Mitgeschöpfen für den eigenen „Genuss“ antun.

Doch vegan zu leben, beschränkt sich nicht nur auf die Ernährungsweise. Auch in der Mode kann viel Tierleid stecken. Für Pelz, Wolle und Leder werden fühlende Lebewesen gequält und gewaltsam getötet, um schließlich als „Fashion Pieces“ in unseren Kleiderschränken zu hängen. Häufig auch unter dem Vorwand der Nachhaltigkeit bewerben Winterkollektionen zunehmend Kleidung aus Wolle, Kaschmir und Daunen. Siegel wie etwa der Responsible Down Standard sowie das SFA Cashmere Label gelten für die Kundschaft oft als Orientierungshilfe. Angeblich „verantwortungsvoll“ und als vermeintlich unbedenklich zertifiziert, kann man beim Kauf praktisch gar nichts falsch machen, oder doch?

„Modetrend“ Kaschmir: Ausbeutung von Ziegen bis aufs Blut und großer Schaden für die Umwelt

Nicht ganz – blickt man beispielsweise in die Mongolei, wird deutlich, dass Haltung und Zucht von Millionen Kaschmirziegen die Umwelt massiv belasten. Um ihren Hunger zu stillen, reißen die Ziegen beim Essen Pflanzen samt ihren Wurzeln aus dem Boden. Darum sind ehemals grüne Wiesen stark von Bodenerosion betroffen; rund 90 Prozent des Landes sind inzwischen von Wüstenbildung bedroht. So ist die jährliche Durchschnittstemperatur im Hauptproduktionsland von Kaschmirwolle zwischen 1940 und 2015 um 2,24 Grad angestiegen. [2] Auch die vermehrt auftretenden Sandstürme in den vergangenen Jahren in der Mongolei und in China stehen laut zahlreichen Studien in engem Zusammenhang mit den Umweltbelastungen durch Überweidung. [3, 4]

© PETA Asia

Für Kaschmirwolle wird einer wehrlosen Ziegen gewaltsam das Haar ausgerissen. © PETA Asia

Neben dem Umweltaspekt spricht auch das Leid der Kaschmirziegen gegen den Kauf ihrer Wolle. Immer wieder decken Tierschützerinnen und Tierschützer die systemischen Missstände in Wollbetrieben auf. Bis heute konnte PETA mit ihren Partnerorganisationen anhaltendes Tierleid in mehr als 100 Betrieben in sechs Ländern und auf vier Kontinenten aufdecken und öffentlich machen. So auch durch die Organisation PETA Asien im Zeitraum zwischen April 2022 und Februar 2023. Im Rahmen der Recherche besuchte ein Ermittlerteam zwölf Kaschmirbetriebe in der Mongolei. Darunter befanden sich sieben Haltungsbetriebe und vier Schlachthäuser. Aufnahmen zeigen, wie die Fluchttiere dort grob zu Boden gedrückt wurden, damit Arbeiter ihnen die Haare mit scharfen Metallkämmen ausreißen konnte. Die Tiere schrien dabei vor Angst und Panik. Sind die Ziegen später nicht mehr profitabel, etwa weil ihr Haarwuchs im Alter nachlässt, werden sie im Schlachthaus getötet. Dabei kommen keine europäischen Tierschutzstandards zur Anwendung. Als Betäubung kommt häufig ein kräftiger Schlag mit dem Hammer auf den Kopf zum Einsatz. Oft zappeln sie danach noch, wenn man ihnen die Kehle durchschneidet. Zudem gelang es PETA Asien erstmals zu dokumentieren, wie Ziegenbabys ohne Schmerzmittel kastriert wurden. Der Großteil der Aufnahmen stammt aus drei Herdenhaltungen. Zwei davon beliefern Mitglieder der im Vereinigten Königreich ansässigen Sustainable Fibre Alliance (SFA). Die zertifizierten Kaschmirstücke kommen auch bei uns in den Handel. Verbrauchertäuschung, sagen Tierschützer. Doch viele Kundinnen und Kunden glauben den falschen Versprechen des Einzelhandels und greifen mit gutem Gewissen zu den zertifizierten Produkten.

Daunenjacke, Lederschuh, Pelzmantel: Wer zahlt den Preis vermeintlicher Mode?

In sämtlichen Bereichen der tierverarbeitenden Modeindustrie sieht es ähnlich aus: Empfindsame Lebewesen werden als reine Produktionsgüter betrachtet. Sie werden gezwungen, ein tristes, von Gewalt geprägtes Leben zu führen, und sterben früh und qualvoll. Die Missstände vor unserer eigenen Haustür sind kaum andere. Erst im letzten Winter veröffentlichte PETA Deutschland Aufnahmen aus einem polnischen Schlachthof unweit von Berlin. Dieser versorgt auch Zulieferbetriebe, die mit zertifizierten Daunenprodukten aus „Totrupf“ handeln. Doch weit gefehlt! Wer glaubt, dass es sich dabei um eine verantwortungsvollere Alternative zu „Lebendrupf“ handelt, irrt gewaltig. Denn das dort gefilmte Videomaterial zeigt einen ausgesprochen groben Umgang mit Gänsen und Enten. Beim Versuch, während des Abladens vor dem Schlachthof zu flüchten, werden einige der Wasservögel getreten. Zappelnde und mit den Flügeln schlagende Tiere im Schlachtband deuten auf missglückte Betäubungen hin. Solche Misshandlungen verstoßen zwar gegen das hiesige Tierschutzgesetz, stehen dem Vertrieb von Daunendecken und -mänteln hierzulande jedoch in keiner Weise entgegen.

Der Glaube an ihre Nachhaltigkeit lässt die Kundschaft auch gerne zu Lederprodukten wie Schuhen, Gürtel, Jacken und saisonal auch Handschuhen greifen. Dabei ist die Lederindustrie nicht nur einer der grausamsten, sondern auch einer der schmutzigsten Industriezweige. Um die Haut von Tieren zu Leder zu verarbeiten, finden bis zu 170 verschiedene Chemikalien Anwendung. Darunter auch das hochgiftige Zyanid – die Auswirkungen auf Wasserknappheit und -verschmutzung sind fatal. [5] In Produktionsländern wie Indien treiben Arbeiter Rinder teils kilometerweit zu Schlachthöfen. Brechen sie vor Erschöpfung zusammen, reiben sie ihnen mitunter Chilischoten in die Augen. Da die Fleisch- und Lederindustrie untrennbar miteinander verwoben sind, werden auch hierzulande Rinder wortwörtlich bis aufs Blut ausgebeutet: Oftmals fristen sie ihr Dasein in dunklen Ställen, so eng angebunden, dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Für die Herstellung von Kleidung werden unsere Mitgeschöpfe auf tage- oder wochenlangen Tiertransporten quer durch die Europäische Union und sogar in Drittländer gekarrt, wo bei ihrer Tötung keine deutschen Tierschutzstandards greifen. Dabei gibt es inzwischen zahlreiche und hochwertige vegane Alternativen.

Sogar Pelz scheint ein Revival zu erleben: Hier und da sieht man wieder scheinbar „modeinteressierte“ Menschen mit Fellmänteln in der U-Bahn und auf den Straßen der Hauptstadt. Als Besatz für Jackenkrägen oder Bommelmützen sind auch Kaninchenfelle aus den Winterkollektionen kaum wegzudenken. Nicht immer wissen Verbraucherinnen und Verbraucher, dass sie die oft günstigere Alternative zu Kunstpelz vor sich haben. Schließlich zahlt das Tier den vollen Preis für das Produkt: sein Leben!

Ob der Pelz gebraucht gekauft, geerbt ist oder aus der Jagd stammt, ist dabei ganz egal: Das Tragen von Haut und Haaren gequälter und getöteter Tiere ist nie ethisch vertretbar. Es verhilft dem Gewaltprodukt dazu, wieder salonfähig zu werden und eine Nachfrage zu generieren. Dabei sollten die Bilder von totgeknüppelten Nerzen und Marderhunden in winzigen verdreckten Käfigen während der Corona-Pandemie doch kaum verblasst sein. 15 Millionen Tiere ließ die dänische Regierung 2021 töten, da die massenhafte Zucht von Nerzen für die Pelzindustrie unter katastrophalen hygienischen Bedingungen eine Mutation des Coronavirus hervorgebracht hatte. Jüngst wurden zudem zahlreiche Ausbrüche der Vogelgrippe auf europäischen Pelzfarmen gemeldet.

Protestfläche Fashion Week: Tierleidfreie Mode ist möglich und gefragt

Unmittelbar nach dem Veganuary reiht sich die Berliner Fashion Week in den Jahresplan der Hauptstadtevents ein. Mit ihrem Claim „The responsible movement of freedom, inclusion, and creativity“ [6] nimmt sie den Mund in diesem Jahr ziemlich voll. Denn auch für Februar 2024 werden in der selbst erklärten „veganen Hauptstadt“ wieder etliche Modeschaffende Stücke präsentieren, für die Tiere in Unfreiheit leben und meist sehr qualvoll sterben mussten. Mindestens vier Designerinnen und Designer verarbeiten Kaschmir für ihre Kreationen. Auch Leder, Wolle- und Daunenkleidung wird es zu sehen geben. Kaum eine Handvoll Labels scheinen rein vegane Materialien in ihren Kollektionen zu verarbeiten. Umso wichtiger ist es, dass Aktive und tierliebe Menschen immer wieder auf die Ausbeutung und das Leid unserer Mitgeschöpfe hinweisen und Modeschaffende, Konsumentinnen und Konsumenten über die blutige Vergangenheit tierischer Mode informieren. Sei es durch Proteste, Boykott oder öffentlichkeitswirksame Störaktionen einzelner Schauen – denn mehr denn je verlangt die Kundschaft von heute, bewusste Kaufentscheidungen für wirklich nachhaltige Produkte ohne Tierleid treffen zu können. Im Sinne unserer Mitlebewesen bleibt zu hoffen, dass der Spirit des Veganuary auch in den Folgemonaten fortbesteht. Sind die Teilnehmenden erst einmal für veganes Essen sensibilisiert, ist der Gedankensprung zu anderen Lebensbereichen nicht mehr weit. Für alle tierischen Textilien gibt es inzwischen etliche hochwertige pflanzliche oder synthetische Alternativen. Mode muss heutzutage nicht mehr unter die Haut gehen!

© PETA Deutschland

Der Protest einer Tierschützerin auf der Berliner Fashion Week soll Modeschaffende zum Gebrauch veganer Materialien ermahnen. © PETA Deutschland

Quellen:

[1] Veganuary.com. Online unter: https://veganuary.com/de/uber-uns/uber-veganuary/ (zuletzt aufgerufen am 11.12.2023)

[2] Jie Han, Han Dai, Zhaolin Gu (2021): Sandstorms and desertification in Mongolia, an example of future climate events: a review. Online unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s10311-021-01285-w (zuletzt aufgerufen am 11.12.2023)

[3] Yi Y. Liu, Jason P. Evans, Matthew F. McCabe, et. al. (2013): Changing Climate and Overgrazing Are Decimating Mongolian Steppes. Online unter: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0057599 (zuletzt aufgerufen am 11.12.2023)

[4] Xuening Fang, Jianguo Wu (2022): Causes of overgrazing in Inner Mongolian grasslands: Searching for deep leverage points of intervention. Online unter: https://www.researchgate.net/publication/358085484_Causes_of_overgrazing_in_Inner_Mongolian_grasslands_Searching_for_deep_leverage_points_of_intervention; https://www.npr.org/sections/parallels/2016/12/09/504118819/how-your-cashmere-sweater-is-decimating-mongolias-grasslands (zuletzt aufgerufen am 11.12.2023)

[5] Collective Fashion Justice (2023): Under their skin. Leather’s impact on the planet. Online unter: https://www.collectivefashionjustice.org/under-their-skin (zuletzt aufgerufen am 30.01.2023)

[6] Fashion Week. Online unter. https://fashionweek.berlin/ueber-uns.html (zuletzt aufgerufen am 11.12.2023)

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