Chili Sin Carne: fleischfrei UND ideologiefrei

"Für die Armen ist Fressen der Himmel" - indisches Sprichwort.

"Für wen Fressen der Himmel ist, ist arm" - logische Konsequenz.

Mein Babybruder wurde Zeuge bei der Zubereitung eines Truthahns, was ihn dermaßen verstörte, dass er nicht nur das Erntedankfest mit Käsebrötchen verbrachte, sondern überhaupt kein Fleisch mehr essen wollte. Der Bruder verweigerte zum Wochenende danach sogar Käsebrötchen bei der Oma, weil er gesehen hatte, dass Oma für den Käse das selbe Messer verwendet hatte wie für die Wurst.

Das hielt ich für übertrieben, allerdings hatte ich gegen Fleischessen schon länger Vorbehalte gehabt. Zum einen gab es eine extrem ekelerregende Komponente dabei, namentlich die viehische Begeisterung der primitiven Verwandtschaft über Stelze, Kotelett, ganze Hähnchen und Grillen im Garten, die diese Form der Ernährung extrem suspekt machte. Zum anderen bestanden Fleischwaren aus unhygienischen Bestandteilen wie Sehnen und Flachsen, die den Verzehr bremsten und sich im Mund komisch anfühlten. Außerdem konnte niemand beweisen, dass Fleischhauer alle Bakterien aus dem Aas entfernen konnten, oder wie das überhaupt möglich sein sollte. Besonders unappetitlich: Scheißebakterien aus dem Rinder- Schweine- oder Hühnerdarm.

Weiters hatte Babybruder ganz recht mit dem Argument, dass überhaupt nicht einleuchtete, dass Meerschweinchen, Kater und Graupapageien als Haustiere gehalten wurden, während Kühe, Schweine und Puten geschlachtet und gegessen wurden. Ich fand besonders Hühner und Lämmchen extrem lieb, obwohl diese mir am Bauernhof persönlich erklärt hatten, ich möge mich schleichen, weil sie ihre Ruhe vor Touristen haben wollten.

Babybruder und ich erklärten Mama, dass sie sich Fleischmahlzeiten in Zukunft sonstwohin oder unserer kleinen Schwester in den Hintern stecken könne, wir würden diesen Dreck jedenfalls nicht mehr fressen. Das sei etwas für Mundartsprecher und Elektriker, die ja auch Maulwürfe im Garten mit der Schaufel erschlagen würden, also extrem schlechte Menschen waren. Wir würden lieber selber kochen, so schwer wäre das ja nicht. Babybruder im Wortlaut: "Ich bin erwachsen, weil ich eine Karotte in einen Topf mit Wasser geben kann. Super!"

Erstaunlicherweise war Mama sofort auf unserer Seite und meinte, sie hätte eh nur wegen uns Fleisch gebraten, weil wir noch im Wachstum waren. Fleisch sei viel Arbeit und teuer, daher würde sie es in Zukunft einfach lassen. Babybruder erklärte der Schwester, dass Tiere sterben müssten, um auf den Teller zu kommen, und dass man daher vom Tiereessen leicht selber sterben konnte. Jedenfalls wäre die Idee mit kein Fleisch von der faulen, geizigen und autoritären Mama gewesen, nicht von uns, wir konnten gegen die neue Maßnahme auch nichts machen.

So entstand ein vegetarischer Haushalt. Oma stellte ihre Familienessen von Huhn-im-Ganzen um auf Forelle-im-Ganzen mit Rosmarinkartoffeln. Opa fand das absolut herrlich. Und ich auch.

Nach ca. 7 Jahren ohne Fleisch gab es ein paar Tage Probleme beim Bundesheer, weil sich mein Bauch erst umstellen musste. Beim Bundesheer gab es mehr oder weniger deftige Wiener Hausmannskost, darunter Innereien und Metzgerabfälle in Aspik, genannt Presskopf. An solchen Abenden holte ich mir einfach Brotscheiben und Kaffeehausbutter aus dem Casino. Im Feld gabs täglich Steaks, die wir auf dem Spaten braten mussten, und mit Pfeffer essen. Das war unhygienisch, jedoch halbwegs erträglich, weil die Steaks zu praktisch 100% aus Fleisch bestanden, keine Knochen und kaum Flachsen enthielten, und das ganze Bundesheer eine ziemliche Zumutung war, so dass es auf Steaks mit Pfeffer auch nicht mehr ankam. Über Hygiene im allgemeinen beim Kommiss sollte man überhaupt schweigen. Außerdem hatten wir unsere Grundausbildung in einem der härtesten und schneereichsten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnung in Österreich, was besondere Anforderungen an die Ernährung erzeugte.

Fast unmittelbar darauf begann mein Dolce Vita als Vegetarier im Berufsalltag. Für Flugzeuge und Veranstaltungen kreuzte ich bei "Essen" "veget." an und wurde um Hauben besser versorgt als die anderen Passagiere und Kollegen. Statt Fleischlaberl Forelle, später Sushi, statt Geselchtem mit Kartoffeln Spargelrisotto -- alles exquisit zubereitet, in beliebigen Mengen verfügbar, bis der Bauch platzte. Auf einer Firmenfeier mit Kunden gabs mal Krautfleckerl wie bei meiner Oma. Die dicken bayrischen Kunden am Tisch hatten gerade Bratwürste in Arbeit als ich mit meinem Teller erschien, und hatten Fragen. Ich ließ kosten und im nächsten Gang mampfte der ganze bayrische Tisch Krautfleckerl. Ich empfahl den Bayern Krautfleckerl als ideale Unterlage für Saufexzesse, besonders Saufexzesse auf Spesen. Gesagt, getan!

In den Kantinen ernährte ich mich vorwiegend von Beilagen, vor allem Reis, Kartoffeln und Schwammerl, oder mehrere Nachspeisen wie Marzipanpalatschinken und Kaiserschmarren; jeden Freitag Fischtag. Ein typisches Mittagessen kostete unter 10 Schilling, trotz absolut feudaler Portionen.

Kollegen fiel meine Ernährung kaum auf, weil ich nicht darüber redete. Gelegentliche Konfrontationen waren gar keine. Ausreden für Fleischverweigerung gab es genug. "Bin Buddhist", "Bin Nationalsozialist", "mein Papa ist Fleischhauer und weiß, was drin ist, daher ist die ganze Familie vegetarisch", "wer Schweine frisst, wird selber zum Schwein", "ich esse Wild, wenn ich es selber erlegt habe", "vielleicht sollte ich dich schlachten und essen", "der Sommer kommt und ich mache eine Diät für Bikini [1]", "wer Schafe und Schweine fickt, sollte keine essen [2]" usw.

[1] (c) Mama

[2] (c) Babybruder

Gelegentlich erschienen mir Bratenmahlzeiten im Traum, besonders nach ausgedehnten Radtouren im Winter oder längeren Zeiten mit einseitiger Ernährung. Was tun? Nachgeben. Im Gasthaus Wild essen, oder Pferdeleberkäse beim Würstelstand, weil es für diese Arten keine Massentierhaltung gibt, wenigstens war das die Idee. Proteinmangel ist eine schlimme Geisteskrankheit und eher langwierig in der Reparatur.

Und bei Einladungen? Pasta Asciuta bei der Promotionsparty, Grill-Empfang mit Steaks aus Texas? Soll ich der Gastgeberin sagen, sie könne sich ihr Festessen aufsetzen? Auch sehr einfach: Keine Umstände machen, sondern mitmachen. Die Steaks aus Texas waren übrigens nicht so gut wie die beim Bundesheer. Aber ist das nicht egal? Ist ja nur Essen.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
5 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

LaMagra

LaMagra bewertete diesen Eintrag 22.03.2021 21:55:26

Zaungast_01

Zaungast_01 bewertete diesen Eintrag 22.03.2021 01:27:16

Tourix

Tourix bewertete diesen Eintrag 21.03.2021 23:10:50

Iris123

Iris123 bewertete diesen Eintrag 21.03.2021 19:58:23

8 Kommentare

Mehr von Hawaiipiraten von Österreich