Piratenpartei Österreichs: Zehn Jahre und kein bisschen leise. Danke, Florian Hufsky!

Nach einer Vorlage von Hellboy, erschienen in der Pirate Times.

Die österreichischen Piraten waren nicht die ersten mit einer eigenen Partei. Rick Falkvinge in Schweden gab es schon davor. Die Piratenpartei Österreichs feiert ihren nunmehr zehnten Geburtstag.

Am 31. Juli 2006 wurde die "Piratenpartei Österreichs" in Wien angemeldet. Der Villacher Florian Hufsky war damals gerade 19 Jahre alt und tief verwurzelt im Wiener Milieu der Anti-Überwachler, Medienkünstler und Computerbastler.

Eine neue Partei für ein neues Jahrhundert.

Das Wien der Nullziger war Schauplatz eines ständigen Avantgarde-Karnevals. Die Teilnehmer waren im geliebten Internet auf einander aufmerksam geworden: Leidenschaftliche Überwachungsgegner, Open Source-Profis, Robotiker auf Abwegen, Kifferbefreier, subversive Amateurfunker, Web-Eiferer, die Erben Dadas, Elektronik-Do-It-Yourselfers, Kunststudenten sowie Undercover Informanten diverser Regierungsbehörden.

Damals war noch nicht jeder dieser Menschen ein "Möchtegern-A-Dabei". Prestige hing vom Aktivismus und der Öffentlichkeit ab, die man für seine Themen erzeugen konnte.

kewagi CC-BY-SA https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Florian_hufsky_at_pirate_party_demo.jpg

Abbildung 1: Hufsky beim Kommunizieren -- Gründervater der Piratenpartei Österreichs

Zunächst fand Hufskys neue Partei wenig Öffentlichkeit, die Partei war ein Magnet für die merkwürdigsten Leute aus dem eingangs erwähnten Karneval. Leute, die nicht nur Partei wollten, sondern auch Party. 2009 war die Organisation, bzw. deren vifste Mitglieder, krimineller als die Bronx:

  • Parteimitglieder bauten Hanf in ihrer Piraten-WG an
  • Parteimitglieder schnitten mit Laser Schablonen und sprühten Graffiti
  • Parteimitglieder wurden nach Anonymous-Anschlägen von der Polizei verhört
  • Parteimitglieder versammelten Horden auf illegalen Raves

(Florian Hufsky hatte mit alldem nichts zu tun. Die Ur-Piraten legten Wert auf Selbstständigkeit bei Themen und Methoden. Und so sah das dann halt aus.)

Bei den Wiener Wahlen 2010 scheiterten die Piraten schon an den Unterschriften. Aber wer braucht Wähler, wenn man durch Taten und zivilen Ungehorsam Politik machen kann?

Keine Idylle währt ewig. Schluss mit lustig war Anfang 2012, als die Presse und - ausgerechnet - der staatliche Rundfunk die Pöpö entdeckten. Es war ein Unfall, kein Verrat.

Der Piraten-Boom

2011 gab es nach Kommunal- und Landtagswahlen mehrere Einzüge deutscher Piraten. Ganz Europa staunte. In Österreich löste die schwedische Piraten Amelia Andersdotter im Dezember 2011 erstes Interesse an der Piratenbewegung aus.

Und plötzlich liebten die Massen die Pöpö. Im April 2012 traten bis zu 30 neue Mitglieder bei -- pro Tag!

Für die etablierten Politiker muss der Anblick furchterregend gewesen sein. Die Republik freute sich auf die großen Nationalratswahlen 2013, und die Wählerschaft war schon 2012 dreist und unberechenbar. Das System-Regime, ganz der böse Intrigant, befahl der Lügenpresse, die Pöpö durch grauenvolle Artikel zu ruinieren. Das war sehr leicht, denn mit der plötzlichen Berühmtheit und der Aussicht auf hohe Po$t€n kamen Neid und innerparteilicher Zank. Die neuen Mitglieder, allesamt unbeleckt in Sachen Computer, Überwachung, Cyber-Waffen, Hasch und Kunst, bekämpften einander mehr oder weniger öffentlich. Faustkämpfe und Auszucker kleiden echte Piraten gut, Piratenpolitiker jedoch weniger. Die Revolverblätter konnten aus dem Vollen schöpfen.

Gleichzeitig errichteten passionierte Bürokraten ein kompliziertes föderales System sowie Hierarchien von Arbeitsgruppen und Sprechern und natürlich eine komplizierte Server-Landschaft mit zahlreichen Kanälen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich viele Ur-Piraten ohnehin schon verabschiedet. Sie nahmen Talent, politischen Willen und Layout-Fertigkeiten mit vom Schiff. Streber und Bastler, sogar jene mit Händchen für Politik und Kunst, sind Hofstaat und Intrigen eher abgeneigt, und Hofstaat und Intrigen waren der neue Schwerpunkt der PPAT geworden.

Trotz dieser Hindernisse und trotz der angeschlagenen Reputation schafften es die steirischen Piraten im Jahr 2012, einen Brückenkopf im Gemeinderat zu etablieren. Die Tiroler installierten einen weiteren Piraten, allerdings erst nachdem sie ihn aus der Partei geschmissen hatten. Die Tiroler spalteten sich auch von der Bundespartei ab. (Das ist eine vereinfachte Darstellung. Belege sind verschwunden.)

selbst CC-BY-SA https://wiki.piratenpartei.at/wiki/Datei:Pacanda_0096web.jpg

Abb. 2: Philip Pacanda, respektierter Piraten-Gemeinderat in Graz

Hufsky erlebte diese interessanten Wendungen in der Geschichte seiner Partei nicht mehr. Tragischerweise beging er 2009 Selbstmord.

Bis zum Zeitpunkt der Nationalratswahlen 2013 waren die operativen Fähigkeiten der Piraten erheblich geschrumpft. Statt einer deutschen oder schwedischen Überraschung mussten sich die Österreich-Piraten mit 0,79% zufriedengeben. Tausend Mitglieder hatte die Partei damals, jedoch begann die Zahl sofort ihre Reise nach Süden als das bescheidene Wahlergebnis bekannt wurde.

Das Vermächtnis

In den Jahren seit der letzten Nationalratswahl orientierte sich die Partei am Pragmatismus und tat sich für Wahlkämpfe mit anderen Kleinstparteien zusammen, manchmal mit Erfolg. 2014 gelang dem Wahlbündnis aus Piraten, Kommunisten und Wandel der Einzug ins Europa Parlament nicht, allerdings konnte die KPÖ in Umfang und Qualität mobilisieren, wie es die Österreicher noch nie gesehen bei Miniprozentparteien der zweiten Republik. Das Medienecho war im Vergleich zu großen Parteien bescheiden, jedoch selbst erkämpft. Diese Erfahrung der Wirkung mit bescheidenen Mitteln belebte auch die Piratenpartei für ein weiteres Jahr oder so.

Nicht jeder in der Partei mochte die Kommunisten, daher erkauften die Piraten ihr Zweckbündnis mit einem weiteren Aderlass an operativem Talent und Freiwilligen. Die strittigsten Belange waren Populismus gegen Kernthemen, Antifa gegen Anti-Überwachung und Internet-Befreiung gegen Damenbefreiung.

2015 flackerte die kecke Flamme der Propaganda durch die Tat für kurze Zeit wieder auf: Eine PPAT-Porno-Operation erregte weltweit Aufsehen. Die Partei kaufte einfach für 40 Euro Bannerplätze auf Youporn und ließ das Konterfei von Frau Innenminister Mikl-Leitner über die Bildschirme sexgeiler Wähler flimmern. Der Slogan lautete "Johanna will Dir zuschauen" -- eine Anspielung auf das geplante Stasi-Schutzgesetz. Das törnte die Männer im Publikum ab. Sie beklagten sich über Libido-Erschlaffung beim Anblick von Mikl-Leitners reschem Antlitz. Es gab einen Shitstorm und die Werbefreibeuter mussten die Anzeigenkampagne abbrechen. Mikl-Leitners Anwälte befahlen der Partei, die Possen zu lassen.

Ein interessantes (jedoch umstrittenes) Merkmal der österreichischen Piraten ist ihre Vorliebe für die deutsche Abstimmsoftware Liquid Feedback. Die PPAT verwendet eine verbesserte Version für praktisch alle verbindlichen Entscheidungen und alle Details im riesigen Parteiprogramm. Die Piraten in Graz gehen sogar so weit, dieses Programm der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, damit sie Belange mitentscheiden kann, die im Gemeinderat zur Debatte stehen. Beide Anwendungsgebiete haben ihre Probleme, aber das laufende Experiment ist mutig und sollte weiter beobachtet werden.

Heute findet man die nachhaltigste Wirkung der österreichischen Piraten außerhalb der Partei. Für viele Männer, die sich im Goldrausch 2012 anschlossen, war die PPAT mit ihren geringen Einstiegshürden und modernen Themen der erste Kontakt mit der Zivilgesellschaft überhaupt.

Mehr als eine Handvoll dieser Kadetten gingen später zu anderen (oft viel älteren) Organizationen. Sie helfen aus bei und mit Protesten, Petitionen, Ansprachen, Unterschriftensammlungen

und halten untereinander Kontakt. Einige haben ihre eigenen NGOs gegründet und fördern klassische Piratenthemen wie Kifferbefreiung. Keiner von ihnen hätte sich träumen lassen, jemals überhaupt politisch aktiv zu werden. Erst die PPAT brachte sie auf den Geschmack.

2016 bleiben der Partei ca. 80 Mitglieder. In einem Jahr ohne Wahlen haben die Piraten nicht viel zu tun, weil sie nur im Verlauf von Wahlkämpfen den Willen zur Sichtbarkeit

haben. Seit 2012 sind die Schriften weniger legasthenisch geworden, die täglichen Rundgänge auf Facebook ziehen einen langsam wachsenden Kreis von Freundlingen an. Wie in den alten Tagen bleibt die Hoffnung auf eine piratische Zukunft.

Links und mehr

Aufstieg und Fall der PPAT, in der chronologischen Presseschau zum DerStandard.

Hellboy hat einen englischsprachigen Artikel über den Anschluss an die KPÖdSU geschrieben.

Die deutsche Zeitung Telepolis erzählt vom typischen PPAT-Skandaltheater, komplett mit allseitiger Eskalation an die Massenmedien.

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