Ich sitze am Teppich und kann nicht reden. Wie so oft beschäftige ich mich mit Zündhölzern, Kronenkorken und Bausteinen. Meine Mama redet mit mir, spricht mich mit Namen an, aber ich bin zu vertieft in meine Beschäftigung. Als sie mich besorgt anfasst, bekomme ich einen Tobsuchtsanfall. Mama geht mit mir zum Kinderarzt, weil sie befürchtet, ich sei zurückgeblieben. Ich bin schon drei und kann nicht reden, nicht einmal annähernd. Der Kinderarzt ist sehr freundlich und leuchtet mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Ich will die Taschenlampe haben und bekomme sie ausgehändigt. Ich erforsche die Taschenlampe und entdecke, dass man die Batterie herausnehmen kann. Der Kinderarzt streckt die flache Hand aus. Ich baue die Taschenlampe wieder zusammen und gebe sie zurück. "Dieses Kind ist nicht zurückgeblieben", erklärt der Kinderarzt meiner Mama.
"Aber er kann noch immer nicht reden."
"Das kommt bald, wahrscheinlich mehr als Sie aushalten werden. Vielleicht wird ihr Sohn auch mal Kinderarzt", sagt der Doktor und zwinkert meiner Mama zu.
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Meine Mama weint vor Erleichterung. An nichts davon kann ich mich erinnern. Mama hat es erzählt, damit ich sie bemitleide, wie gestraft sie einmal mit mir war.
Die neue Holzeisenbahn ist richtig schön. Ich spiele wenig mit dem Zug, sondern lege Schienenkreise und -Achter. Der Moment, in dem sich der Kreis schließt, ist dermaßen erfüllend, dass ich die Verrichtung immer wieder wiederhole. Dann starre ich mein Werk an, weil es mich fasziniert. Der Spaß endet, als Kurven verschmissen sind und sich keine Kreise mehr ausgehen. Das ist traurig, aber auch faszinierend, weil ich erkenne, dass man dafür gekrümmtere Schienenteile bräuchte, die ich aber nicht habe. Inzwischen kann ich reden. Zu Weihnachten wünsche ich mir eine Lego-Eisenbahn mit 80 Schienen. 40 auf der einen Seite, 40 auf der anderen. Ich freue mich auf die zwei Schienenkreise nebeneinander und ineinander.
Ich spiele mit Zündhölzern und bin verstört, dass 7 und 5 12 ist, was auch herauskommt, wenn man vom 7er eins wegnimmt und zum 5er dazugibt. Dann hat man 6 und 6 und das ist wieder 12. Das funktioniert IMMER, auch mit anderen Zahlen, was mich verstört und ich nicht einmal weiß warum. Besonders verstörend ist, dass es auch funktioniert, wenn man die Zündhölzer weglässt und sich auf Gedanken beschränkt oder mit Zahlen rechnet. Denken kann man, was man will, aber nicht mit Zahlen. Der Kater spielt auch gern mit Zündhölzern und bringt meine Gruppen durcheinander. In der Fantasie passiert so etwas nie, was mir etwas sagt, aber ich weiß nicht was. Ich habe oft komische Träume, in denen ich mit Zahlen etwas machen will und immer wieder dasselbe wiederhole, was im Traum aber wieder und wieder nicht funktioniert. Der Schlaf mit sochen Träumen ist nichts wert.
Am ersten Schultag bekomme ich meinen ersten Kaffee. "Wer alt genug für die Schule ist, ist alt genug für Koffein", sagt Mama. Ich bekomme auch eine Schultüte mit Zuckerln. In der Schule hält die Lehrerin im Beisein der Eltern eine Ansprache. Wir erhalten Bücher und eine Plastikschachtel mit der Aufschrift "Logimat". Der Logimat enthält bunte Dreiecke, Quadrate und Kreise in verschiedenen Größen. Ich kann es kaum glauben: Ein Baukasten, der echt brauchbar ist! Von Erwachsenen, die sich etwa gedacht haben dabei! Sowas gabs noch nie! Ich kippe die Plastikteile sofort auf den Tisch, breite sie aus und bekomme Ärger mit der Lehrerin. Der erste Schultag dauert nicht lang. Mama geht mit mir in einen Gastgarten und wir trinken Obi. Ein unvergesslicher Tag.
Ich fahre mit Oma und Opa in den Garten. Mir ist fad. Dann sehe ich auf Opas Kilometerzähler, dass sich eine Sensation anbahnt. "9988" steht dort. Bald würde die runde Zahl 10000 erreicht werden. Ich starre aufmerksam auf den Zähler, um den denkwürdigen Augenblick nicht zu verpassen. Als sich der Zähler von 9989 auf 9990 bewegt, sieht man einige Momente lang einen halben 9er und einen halben 0er. Diese Wackelei gefällt mir nicht, aber sie ist gleich vorbei und 9990 ist eingerastet. Während ich zehn Ziffern lang auf meine 10000 warte, fällt mir etwas ein. Aus dem Fernseher weiß ich, dass "Computer" nur mit zwei Zahlen arbeiten können. Das ist eine rätselhafte und merkwürdige Feststellung, aber vielleicht hat der Mann im Fernseher gemeint: Zwei Ziffern. Äußerungen von Erwachsenen sind oft sehr komisch. Meine Mama ging mal "wählen", vermutlich mit einer Wählscheibe mit Ziffern. Zu welchem Zweck? Ich halte den Atem an. Am Kilometerzähler das reine Chaos aus Nuller- und Neuner-Bestandteilen. Computer sind Rechenmaschinen. Ein anderer Mann im Fernseher erwähnte "Ziffernrechenmaschinen", was mich aufhorchen ließ. 10000 Kilometer sind erreicht! "Opa, schau mal", sage ich.
Im Garten ist es inzwischen Abend. Ich sitze mit meinem Matheheft auf der Hollywoodschaukel und experimentiere mit 0ern und 1ern. Das Matheheft ist fast vollgeschrieben. "Sehr brav", sagt Oma. Sie hält meine Beschäftigung für Hausübung. Es ist völlig klar, dass man aus 0ern und 1ern beliebige Zahlen zusammenstellen kann, wenn man es macht wie der Kilometerzähler: einfach auf die nächste Stelle umschnappen, aber nach 1, nicht nach 9. Leider lässt sich bei größeren Zahlen schwer sagen, welche das sind. Ich kann aber beliebig große Zahlen aus 0ern und 1ern addieren um ein Ergebnis aus 0ern und 1ern zu bekommen. Leider weiß ich dann nicht, was das in den gewohnten Zahlen bedeutet. Ich kann nur ganz kleine Zahlen addieren, wenn es die gewohnten Zahlen sind, z.B. 14 und 37.
Wenig später lernen wir in der Schule, wie es gemacht wird. Es funktioniert so wie mit den 0ern und 1ern, nur dass man eins im Sinn zur nächsten Stelle addiert statt umzuschnappen. Die neue Technik ruiniert mir den Tag, weil ich mich gifte, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Wegen des vollgeschmierten Mathehefts gab es natürlich Ärger mit der Lehrerin.
Mein älterer Cousin lötet als Hobby elektronische Schaltungen. Das ist extrem interessant. Der Cousin kann mit Schaltungen Töne erzeugen und Blinklichter laufen lassen. Er hat aber auch Schaltungen für logische Verknüpfungen und "Flipflops", die 1er und 0er speichern können. Heute haben wir einiges zu besprechen. Ich erzähle dem Cousin von meiner Schablone für Logikblasen, die mir ein Kollege meiner Mama geschenkt hat, während ich meine kleine Schwester am Topferl im Rechenzentrum beaufsichtigte. Die Schablone war aber nur am Anfang lustig, später für meine Konstruktionen aus Logikblasen nicht, weil ich ohne Schablone schneller zeichnen kann. Ich habe mir Gebilde aus Logikblasen ausgedacht, die auch binäre Zahlen addieren können. Das sind die Zahlen aus 0ern und 1ern, über die ich inzwischen eine Menge weiß. Ich zeichne dem Cousin meine Logikblasen zum Addieren auf und wir beginnen mit der Herstellung. Das funktioniert nicht, aber daran sind unsere Lötkünste schuld. Meine Addierschaltung aus Logikblasen funktioniert perfekt, das kann ich beweisen. Ich beschließe, mir irgendwie einen Lötkolben und Transistoren zu beschaffen. Ein Buch muss her, aber ich fürchte, dass es in der Bücherei enttäuscht werden würde. In der Bücherei gibt es nur alte Bücher. Die meisten sind total fad.
In der Bücherei finde ich das Buch "Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall.". Darin geht es um Spiele, die eigentlich Simulationen sind, darunter Conways "Spiel des Lebens" und "Gras Schaf Wolf". Dafür braucht man Computer, aber ich habe keinen, weil der Computer bei meiner Mama in der Firma mehrere Millionen Schilling kostet und schon eine einzige Minute damit extrem teuer ist. Ein Apple II wäre super geeignet für die Simulationen im Buch, ist aber zu teuer für Geburtstag oder Weihnachten. Ich beginne, mich mit Fantasie-Computern zu beschäftigen und Computerbestandteile mit Transistoren zu konstruieren. Das ist extrem billig, erfordert aber viel Geduld. Ein Transistor kostet einen Schilling. Ich bin oft auf Diät, um Geld für Semmeln zu sparen und Transistoren zu kaufen. Ich habe den Vorsatz, mir nach und nach einen kompletten Computer aus Transistoren zu basteln, bezweifle aber, dass das praktisch ist.
Mein Taschenrechner ist verschwunden. Ich bekomme Herberts alten geschenkt, weil er sich einen neuen gekauft hat. Herbert ist der Freund meiner Mama. Der Taschenrechner ist programmierbar, und zwar nicht so armselig wie der von meinem Cousin. Mein neuer Taschenrechner ist wie ein Computer, weil er Zahlen vergleichen und je nach Feststellung den Programmablauf ändern kann. Das kann der Taschenrechner vom Cousin nicht, was das Wort "programmierbar" eher zweifelhaft macht. „Spieluhr“ oder „Kugelbahn“ wäre treffender. Mein Taschenrechner kann mit seinen Vergleichen und Sprüngen prinzipiell alles ausrechnen und alles simulieren, was es gibt. Mein erstes richtiges Programm im Tagesheim ist das Spiel "Nim" aus "Wicki und die starken Männer", bei dem der Computer immer gewinnt, wenn der Mensch den ersten Zug macht. Die Lehrerin im Tagesheim weiß nicht, dass ich keine Hausübung, sondern etwas ganz anderes mache. Am Abend ist Herbert auch da und erstaunlich begeistert von meinem Nim. Mama weniger. Sie will sehen, was ich im Tagesheim sonst noch gemacht habe. Natürlich nichts. Ärger.
Zu Weihnachten bekomme ich von Mama und Herbert einen Industrie-Computer geschenkt, der eine Tastatur und eine Anzeige für Zahlen hat, aber sonst nichts. Es ist der billigste Computer, der sich in Wien auftreiben ließ. Herbert hat den Computer für mich zusammengelötet, weil das die billigste Variante des billigen Computers ist. Simulationen wie "Conways Life" oder "Gras, Schaf, Wolf" sind damit nicht besonders erbaulich, aber das kann mich nicht aufhalten. Ich programmiere auch die faszinierende "Drachenkurve", lasse den Computer Schritt für Schritt rechnen und übertrage die Resultate auf kariertes Papier. Bald kann ich den Computer mühelos und ohne Unterlagen programmieren, weil ich alles über den Computer auswendig weiß. Ich kann damit auch Töne erzeugen und Töne sogar speichern, aber auch das geht nicht besonders gut. Überhaupt ist programmieren extrem schwierig und ich bin eindeutig zu blöd dafür, egal wie viel ich übe. Bald stelle ich den Computer auf Batteriebetrieb um, damit ich heimlich in der Schule oder sogar unter der Bettdecke programmieren kann. Leider ist so eine Batterie extrem schnell leergesoffen. Meinem Cousin ist mein Computer zu armselig. Er will einen Apple II oder Atari für Fernseher. Meine Programmierprobleme verfolgen mich bis in den Schlaf.
In der Schule beschäftige ich mich gerne mit Mathe, allerdings auch im Latein-, Deutsch- und Englischunterricht. Im Mathe-Unterricht passiert es nur aus Zufall, dass meine Gedanken etwas mit dem zu tun haben, was die Mathelehrerin erklärt. Mathe ist mein bestes Fach. Ich habe fast immer einen Vierer und ich brauche nie zur Wiederholungsprüfung antreten. Ich kann inzwischen mit beliebigen Zahlensystemen rechnen, logische Gleichungen reduzieren, zeigen, dass e eine besondere Zahl ist und aus welchen differenzialrechnungstechnischen Gründen, kann Pythagoras auf mehrere Arten beweisen, dreidimensionale Körper in eine Ebene projezieren -- alles selber erfunden. Ich kann auch das Gelaber der Lehrkraft vollkommen aus meinem Bewusstsein ausblenden. Da ich unmittelbar vor dem Katheder sitze und mich still verhalte und fleißig zeichne und schreibe, weiß niemand, dass ich nicht aufpasse. Ein großes Rätsel sind Sinus und Cosinus, für die ich kein so unmittelbares Gefühl habe wie für Zahlen und Logik. Schwingungen im Computer als Fantasie-Spiralfeder zu simulieren ist babyleicht, und auch, als Serie oder Kettenbruch für den Taschenrechner zu programmieren. Der Zusammenhang ist atemberaubend, aber nicht richtig fassbar. Das Sinus-Rätsel und meine Kniffeleien dazu erzeugen eine völlig neue Art von sinnlosen Wiederholungsträumen, leider ohne Licht in die Sache zu bringen. Bücher zum Thema kann ich keine finden. In meiner Verzweiflung passe ich die Mathelehrerin am Gang ab und zeige ihr Zettel mit dem Problem. Die Mathelehrerin meint, Sinus wäre erst in der Vierten Stoff und ich solle lieber Hausübung machen. Nichts anderes habe ich erwartet.
Bei Hewlett-Packard am Stadtrand gibt es ein Kundencenter, in dem man Computer, Drucker und - vor allem - Zeichengeräte ausprobieren kann, die vom Computer gesteuert werden. Mein Cousin hat mich verständigt. Diese Computer können zwar nicht so viel wie ein Atari, sind aber wie diese in BASIC programmierbar und haben mehr Speicher. Die Dame im Kundencenter ist extrem freundlich und zeigt mir den Cola-Automaten und schenkt mir Krapfen. Meistens interessiert sich niemand sonst für die Computer, was ich mir nicht erklären kann. Ich fahre jeden Tag eineinhalb Stunden zu Hewlett-Packard, zuerst mit der U1 und dann mit dem 26er. Mama freut sich, dass ich pünktlich aufstehe und mich schon um sieben auf den Weg in die Schule mache. Mein reifstes Werk ist ein Daumenkino mit einem rotierenden Würfel. Mein Projektionsprogramm und das Zeichengerät haben die Bilder erzeugt. Herbert findet das witzig, mein Cousin weniger. Er hat einen ZX81 mit eigenem Fernseher. Wir haben nicht einmal einen Fernseher zu Hause -- gibts nur bei Oma. Meine Mama wird wegen Schulschwänzen vorgeladen. Es gibt Ärger, aber das war zu erwarten. Hewlett-Packard ist ab da verboten.
EPILOG