Wie alle österreichischen qualitäts- und manche weniger qualitätsbewussten Zeitungen (nicht aber der überregionale ORF) berichtet haben, gab es gestern einigen Wirbel über die Aussagen von Murat Baser, dem Vorsitzenden der islamischen Religionsgemeinde in Oberösterreich, in einem Interview. Der Mann, so Baser, sei Hauptverantwortlicher, in einer Firma müsse auch jemand 51% (der Firmenanteile – Anm.) haben, physisch und psychisch seien die Frauen eben schwach und deshalb logischerweise als Prophetinnen nicht vorgesehen etc. Zu der Sure 4:34, in der Ehemännern das Recht eingeräumt wird, ihre Frauen im Falle der Aufsässigkeit zu züchtigen, meinte Baser: „…wenn wir diesen Vers wörtlich nehmen, muss man betonen, dass der arabische Begriff 'schlagen' auch andere Bedeutungen haben kann. Viele Stellen im Koran fordern eine gute Behandlung der Frau. Es gibt auch Studien in Österreich, dass Männer ihre Frauen unterdrücken und schlagen."
Eine interessante, entlarvende Äußerung des Religionslehrers, der sich inzwischen falsch verstanden und verkürzt wiedergegeben fühlt. Einerseits werden wir auf „andere Bedeutungen“ verwiesen, welche verrät Herr Baser nicht. Andererseits erfahren wir, dass „AUCH in Österreich“ (ja, wo sonst? Gemeint war wohl: unter Nichtmuslimen) Männer ihre Frauen schlagen. Hier hat Herr Baser leider recht. Wie die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie bekanntgab, zählte man im Jahr 2014 5.292 (87 Prozent) weibliche Gewaltopfer, 789 (13 Prozent) waren männlich. Rund 90 Prozent der Gefährder waren männlich. Wie viele von diesen sich auf den Koran oder andere religiöse Schriften beriefen, vermeldet die Statistik nicht. Es ist letztlich auch völlig egal. Gewalt gegen Familienmitglieder ist, gleichgültig was welche Religionen auch immer behaupten, unanständig, rückständig und vor allem verboten, zumindest in Österreich. Sofern es um Gewalt von Männern gegenüber Frauen geht (also in fast 80% der Fälle, wenn wir die 87% Frauenanteil mit den 90% männlichen Gefährdern multiplizieren), resultiert sie häufig aus einer Grundhaltung, wie der von Herrn Baser artikulierten: dass EINER das sagen haben muss, und das ist der Mann. Dass die Frau schwach ist (auch psychisch) und deswegen gegeben falls auch mit Gewalt, auf den vom Mann für sie vorgegebenen Weg, zurückkehren soll.
Womit wir wieder bei den in letzter Zeit viel beschworenen Werten wären. Schon hören wir die Stimmen der „Relativierer“: Hört auf mit den Werten, wir Österreicher sind eh nicht besser! Gerade die ÖVP Oberösterreich (das Interview wurde vom Neuen Volksblatt geführt) lässt doch keine Frau politisch zum Zug kommen! Die brauchen selbst eine Werteschulung! Siehe dazu den lesenswerten Artikel von Paul Neubauer
Na und? Gerade das beweist doch, dass Werte wie die Gleichstellung von Mann und Frau gar nicht intensiv und früh genug vermittelt werden können. Wenn wir schon bei „autochthonen“ und westlich sozialisierten Österreichern Defizite feststellen, heißt das doch, dass orientalisch-patriarchalisch sozialisierte Männer (wie Herr Baser und die große Mehrheit der zu uns gelangenden Flüchtlinge) damit noch viel größere Probleme haben. Werteschulungen für Neubürger und verpflichtender Ethikunterricht statt Religionsunterreicht in der Schule (natürlich für alle) wären zumindest ein Anfang. In der Vermittlung und Durchsetzung von Werten nehmen die Medien eine wichtige Rolle ein.
Das führt uns zu der Frage zurück, weshalb gerade der oben beschriebene Wirbel in den überregionalen ORF-Schlagzeilen fehlte. Lediglich im oberösterreichischen Regionalteil und in der Religionsrubrik waren die Aussagen zu finden. Verwunderlich ist das nicht, hat es sich doch der ORF offenbar schon lange zur Aufgabe gestellt, der Öffentlichkeit größtmögliches Verständnis für den konservativen Islam zu vermitteln. Eine Berichterstattung über den „Wirbel“ hätte da wohl nicht hineingepasst.
Es sei das Gedankenexperiment gestattet, wie der ORF wohl reagiert hätte, wenn etwa ein FPÖ-Funktionär oder auch ein Vertreter der Katholischen Kirche ähnliches wie Herr Baser von sich gegeben hätte. Schon lange werden bei ORF-Fernsehdiskussionen stets kopftuchbewehrte Vertreterinnen von traditionalistischen Islamverbänden präsentiert, die eloquent und gebildet dasselbe oder ein ähnliches Weltbild wie Herr Baser vertreten – prima „role models“ für junge Glaubensgenossinnen. Dabei brachte eine vom deutschen Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2009, die im Großen und Ganzen wohl auch auf Österreich zutrifft, folgendes zu Tage: Nur ein Drittel der Muslime bezeichnete sich selbst als "stark gläubig", der Rest als "eher gläubig" (50 Prozent) bzw. "eher nicht" oder "gar nicht" gläubig (14 Prozent). Sieben von zehn Frauen muslimischer Herkunft hatten 2009 noch nie ein Kopftuch getragen. Selbst von den Muslima, die sich als "stark gläubig" bezeichnen, trug nur jede Zweite "manchmal" oder "immer" ein Kopftuch.
Weshalb also kann der ORF für seine Talkshows keine liberalen Muslima finden, die der Öffentlichkeit ein anderes Frauenbild vermitteln als die konservativen Kopftuchträgerinnen? Glaubt man denn, die Zuschauerinnen und Zuschauer seien zu dumm, eine Muslima zu erkennen, wenn sie kein Kopftuch trägt? Muss man Vertreter der Feuerwehr mit Helm und Ärzte mit weißem Mantel in der Diskussion platzieren? Eines ist sicher: wenn wir Frauen, egal welcher Weltanschauung, uns nicht gegen das Rollenbild der Schwachen zur Wehr setzen, werden wir uns letzten Endes auch in dieser Ecke wiederfinden. Wer sich zum Schaf macht, den fressen die Wölfe.
Daher, werte Politikerinnen aller Parteien, werte Aktivistinnen: pfeift auf parteipolitische Differenzen, geht in die Offensive und schließt euch in dieser Sache zusammen, gründet eine Plattform, beschließt Maßnahmen – ehe es zu spät ist.