Wir leben in einer Zeit der individualisierten, medialen Kommunikation. Dank facebook können Menschen auf verschiedenen Kontinenten blitzschnell kommunizieren und Inhalte teilen. Die Vernetzung mit hunderten, größtenteils unbekannten Menschen führt zu einem Kampf um Aufmerksamkeit im Internet. Mit allen Mitteln versuchen wir völlig Fremde zu beeindrucken. Der Vergleich mit Anderen macht die Einen unsicher und frustriert, während die Anderen sich völlig bewusst in Szene setzen. Wie selbstverständlich stellen sich viele Internet-User der Beurteilung durch Fremde, indem sie Seelenstriptease und Selbstvermarktung mit der Welt teilen. Meinungsverschiedenheiten und Trennungen werden immer häufiger im Internet für die ganze Welt kommuniziert. Doch wo ist die persönliche Grenze?
Social media, facebook und Co bieten den Usern ein Höchstmaß an Kommunikations- und Vernetzungsfreiheit. Längst abgebrochene Kontakte zu Schulkolleginnen und Kollegen können wieder aufgenommen und gepflegt werden. Berufskontakte und Freundschaften werden zu einem Grenadiermarsch aus unübersichtlicher, privater Öffentlichkeit. Der permanente, persönliche Kontakt ist nicht mehr Voraussetzung zur Pflege von sozialen Kontakten. Auf unmittelbare Ereignisse kann völlig spontan und schnell eingegangen werden. Doch wie gehen eigentlich viele User mit diesen Freiheiten um?
Die permanente Selbstvermarktung im Internet wird mit Selbstverwirklichung gleichgesetzt. Private und völlig intime Details werden mit der Welt geteilt. Viele haben das Bedürfnis, alle Befindlichkeiten und Privates zur Beurteilung zur Verfügung zu stellen. Auf Würde, Wahrung der Privatsphäre und Taktgefühl wird dabei häufig verzichtet. Spontane, emotionale Ausbrüche werden von Vielen unhinterfragt mit der Welt geteilt. Wer völlig die Fassung verliert und auf Schamgefühl verzichtet, teilt seine hinterhältigsten Gedanken mit der Welt. Hasspostings sind das Ergebnis individueller Sehnsucht nach negativer Aufmerksamkeit. Die andere Seite sind Menschen, die sich halbnackt im Badezimmer, neben der Dusche und dem Klo, fotografieren. Ein Badezimmer-Selfie ist die ungeschickteste Bühne tiefster Privatheit.
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Wer Sinn für Ästhetik, Medienkompetenz und Würde hat, genießt die Freiheiten des social media. Wer ohne Medien-Schulungen und Gefühl für Privatheit auf die Welt im Internet losgelassen wird, kann sich selbst großen Schaden zufügen. Die User haben grenzenlose Teilungsfreiheit und der Wettkampf im Selbstvermarktungs-Dschungel wird härter.
Die Vergleichs- und Kommunikationskultur auf facebook ähnelt Marktschreierinnen am Viktor-Adler-Markt in Favoriten. „Hallo! Schau her! Ich bin auch da!“ Dieser Kampf um Aufmerksamkeit nimmt immer mehr Platz im täglichen Leben ein. Wenn in der Früh die U-Bahn-Fahrgäste beobachtet werden ist das Vergleichssuchtmantra des Internets nicht wegzudiskutieren. Viele Menschen befinden sich bereits in erster Linie auf facebook und erst in zweiter Linie auf dem Arbeitsweg.
Der Hang zur Inszenierung, zum Vergleich und zur Selbstbeobachtung führt zu einer emotionalen Entfremdung mit der tatsächlichen Begebenheit. Viele beginnen bereits persönlichste Momente für die Freundin, für die Ehefrau, für die Eltern, medial zu inszenieren. Das Leben lässt sich gut dokumentieren, aber die Dokumentation ist nicht das Leben. Der Zauber des Momentes ist durch die beste Inszenierung nicht ersetzbar.
Diese Entwicklungen sollten durch das Schulfach „Medienkompetenz“, beziehungsweise social-Media-Einheiten im EDV-Unterricht angesprochen und diskutiert werden. Dadurch können junge Menschen bezüglich der Chancen und Risiken im social media sensibilisiert werden. Wir hatten noch nie so gute Kommunikationsinstrumente und gleichzeitig so wenig Sinn für die Folgewirkungen. Damit sich auch in Zukunft niemand fragt: „Wenn ein Baum in einem Wald umstürzt und niemand ist da, der es auf facebook teilt: Ist der Baum überhaupt gefallen?"