„Jedes Verständnis für die, die Angst haben vor den vielen Flüchtlingen. Scharfe Kontroverse mit denen, die Angst schüren“ - so muss das Leitbild jedes Verantwortungsträgers, jeder politischen Partei und jedes Regierungsmitglieds auf Gemeinde-, Landes- wie Bundesebene lauten. Das sagen wir seit langem. Wer diesen Grundsatz verletzt, trägt zur Angstmache bei. Wer relativiert, wer „ja, aber“ sagt, ist meinem Gefühl nach bereits bei den Mittätern dabei. Wenn auch nicht beabsichtigt.
Wer nicht vorausschauend handelt, sondern Probleme vor sich herschiebt und damit signalisiert, dass man überfordert ist oder sich scheut, Entscheidungen zu treffen, schafft den Nährboden für diffuse Ängste. Da ist es nicht mehr schwer, Ängste aufzubauschen. Leider machen das nicht nur Österreichs, sondern Europas Politiker seit sehr langem und bereiten durch dieses Nicht-Agieren wunderbar den Boden für Ängste auf.
Wenn man sich die konkrete Angstmachungs-Szenarien ansieht, erkennt man unterschiedliche Kategorien. Am naheliegendsten und wohl am meisten bewegend ist sicherlich die Aussage, dass uns Flüchtlinge Arbeitsplätze wegnehmen und uns den mühsam aufgebauten Sozialstaat zerstören. Die Angst ist nicht nur verständlich, sondern im schlimmsten Fall sogar berechtigt: Wenn nicht von Vornherein politisch agiert wird; wenn Menschen ewig an Integration gehindert, destabilisiert und mit allen Tricks und Mitteln vom Sozialstaat und Arbeitsmarkt ferngehalten werden, werden sie zwingend zur Last werden. Wenn man jedoch Talente sucht und nutzt, diese ins Wirtschaftswachstum hinein integriert, dann sagt jeder Wirtschaftsforscher, es gäbe genug Arbeit. Wenn diese Arbeit jemand macht, dann nährt das den Gesamt-Wohlstand. Dabei geht es nicht um einen Verteilungswettkampf, sondern es ist eine Frage der Organisation. Das heißt auch, dass politisches Agieren und das Schaffen neuer Arbeitskräfte für alle wohlstandsvermehrend sein könnte. Nicht nur in der Pension, sondern schon bei der Produktionsleistung. Hält man die Menschen aber von diesen Möglichkeiten fern, dann werden sie teuer und für alle zu einer Gefahr.
Ein anderer Bereich ist die Frage, wie wir verhindern wollen, dass sich böse IS-Kämpfer und Terroristen nach Europa schleichen. Dabei ist auf fundierte Geheimdienstäußerungen zu verweisen, bei denen der gut informierte Deutsche Bundesnachrichtendienst sagt: Es gibt keinerlei Hinweise auf eine solche Vermutung. Man ist oft Tipps nachgegangen, aber alle Verdachtsmomente haben sich als irrational erwiesen. Die Einreiseroute über Mittelmeer und Balkan ist auch viel zu riskant und aufwändig, als dass sie aufwändig indoktrinierte und ausgebildete, für die Terrorgruppen „wertvolle Anhänger auf sich nehmen würden. Die Gefahr des Terrors ist nicht zu unterschätzen, aber dass Terroristen diese Routen nützen ist gemäß jeder Logik einfach lächerlich. Die haben ja Geld und Ressourcen und können so wesentlich einfacher in die EU kommen als sich im Mittelmeer in Schlauchboote zu setzen oder über den Balkan wochenlang unterwegs zu sein. Sie kaufen sich eher ein Flugticket und fliegen über fünf Ecken – nicht direkt aus Damaskus – in die EU. Von dieser Gefahr zu sprechen ist bestenfalls also eine dumme, im schlimmsten Fall eine besonders gefährliche Angstmacherei.
Ein wunderbar konkretes Beispiel, wie präzise man die betroffenen Flüchtlinge von den Terroristen abgrenzen muss, hat sich unlängst offenbar am Westbahnhof gezeigt: Als salafistische Aktivisten versucht haben, dort unter den Flüchtlingen Leute anzuwerben, sind diese von den syrischen Flüchtlingen rasch scharf abgewiesen worden. Niemand weiß besser, wer die richtige und falsche Seite bezieht als die Menschen, die gerade aus Syrien und dem Irak vor eben jenen Fanatikern geflohen sind. Sie haben ein besseres und größeres Sensorium für Terroristen als jeder gute Polizeibeamte in Österreich.
Natürlich haben nicht alle das Recht, hier zu bleiben. Aber viele, die jetzt kommen, sind im leistungs- und arbeitsfähigen Alter. Aber es kommen auch alte, kranke, schwerst behinderte Menschen, die nicht mehr in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind. Es ist eine Anzahl, die auch nicht größer ist als innerhalb der österreichischen Bevölkerung. Klar ist eines: In der jetzigen Situation müssen wir uns alle dazu bekennen, wie weit wir unseren Wohlstand mit Menschen zu teilen bereit sind, die nichts mehr oder noch nichts beitragen können. Das ist aber eine Frage, wie weit wir uns zur Einhaltung der Menschenrechte und Humanität bekennen. Sicher ist, wenn wir die Jungen rasch und produktiv zur nationalen Wirtschaftleistung beitragen lassen, dann ist die Finanzierung derer, die nicht Jahrzehnte lang eingezahlt haben, aus diesen neuen Beiträgen leichtleistbar.
Schlussendlich hat sich genau das aus den vergangenen größeren Fluchtbewegungen gezeigt, in denen wir mit den Flüchtlingen in Österreich sehr positiv umgegangen sind: Mit den Bosniern und – viel länger zurückliegend – mit den Chilenen, die zu Kreisky-Zeit zu uns gekommen sind. Wir haben sie rasch und einfach aufgenommen – und das hat dazu geführt, dass sie zu den loyalsten und fleißigsten Staatsbürgern gehören, die Österreich hat. Daran sollten wir uns in der aktuellen Flüchtlingsthematik erinnern, und die Menschen ebenfalls so offen, unkompliziert und rasch aufnehmen. Dann werden sie zu den loyalsten Staatsbürgern, die man sich wünschen kann.
Das ist keine naive Hoffnung, sondern eine statistisch gut belegbare Tatsache!