Wir haben keine Flüchtlings-, wir haben eine Solidaritätskrise!

Wenn es noch Staatschefs, Landeshauptleute und Bürgermeister gibt, die meinen, es sei ihre persönliche Entscheidung, ob sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Flüchtlinge haben oder nicht. Wenn es für sie keine Frage ist, wie ich für diejenigen sorge, die zu mir geflohen sind, sondern: Will ich oder nicht?! Wenn es ums Machen oder Nicht geht statt darum: Wie machen wir es möglichst gut. Wenn das der Fall ist, dann ist die Kernmessage nicht angekommen.

Nein, wir haben in Europa keine Flüchtlingskrise. Wir haben eine Verteilungs- und Solidaritätskrise!

Ich verkenne sicherlich nicht, was die Aufnahme von Flüchtlingen für eine Herausforderung für eine österreichische Landgemeinde ist. Für eine Gemeinde, die es gewohnt ist, in einer geschlossenen Gemeinschaft zu leben. Ich unterstelle diesen Menschen nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern es ist einfach eine enorme Veränderung für eine 500-Seelen-Gemeinde, wenn da Menschen kommen, die nicht nur fremd sind, sondern darüber hinaus noch eine fremde Sprache sprechen. Es ist eine Veränderung eines lang gewöhnten Sozialsystems. Ja, es ist eine enorme Herausforderung. Aber auch hier kann ich hergehen und sagen: Packen wir´s an, weil es mir selbstverständlich ist, das als eine Aufgabe zu sehen, die zu lösen ist. Oder ich halte mich eben mit Diskussionen darüber auf, ob ich die Flüchtlinge will oder nicht. Dann bin ich aber sicher am falschen Dampfer!

Ich verstehe es wirklich nicht, wie es noch immer zwei Landeshauptleute in Österreich – nämlich Pröll und Niessl - geben kann, die in ihrer Herkunftsgemeinde keine Flüchtlinge untergebracht haben. Natürlich ist es keine menschenrechtliche Verpflichtung eines Landeshauptmanns, seine Herkunftsgemeinde so unter Druck zu setzen – so funktionieren wir nicht mehr -, aber es sagt doch viel über die Überzeugungskraft und -willigkeit eines Landeshauptmanns aus!

Was hier in Österreich in einem kleinen Ausmaß passiert, das zeigt sich im Großen auch in der EU. Die Grundidee der Union, in der souveräne Staaten zu einer Menschenrechts-Wertegemeinschaft zusammengeführt wurden ist grandios. Doch keine Gemeinschaft kann stärker sein als ihre Mitglieder. Und hier gibt es eben einige Staaten, die längst erkannt haben, was es heißt, menschenrechtlich zu agieren. Und andere tun noch immer so, als ob Unterbringung und Asylrecht ein majestätischen Gnadenrecht wären, das man gewährt oder nicht. Wir wollen bitte nur Christen, sagt etwa die Slowakei und gibt dafür den so abstrusen Grund an, dass es im Land bisher keine Moscheen gäbe und die Flüchtlinge Recht auf Religionsausübung hätten. Das Argument an sich ist ja schon demaskierend, noch ärger ist aber, dass man damit noch arbeiten kann.

Was mich sehr zornig macht ist die Tatsache, dass genau die Länder in der EU sich als unmenschlich gegenüber den Flüchtlingen erweisen, die am meisten von dieser Staatengemeinschaft profitieren und die vor allem noch eine direkte Erinnerung daran haben (sollten), was es heißt, in Unfreiheit und Unterdrückung zu leben. Ich erinnere mich, als vor zehn Jahren der EU Gerichtshof unter Beschuss war und dabei insbesondere das Individualitätsklagerecht, dass sich EU Einwohner mit ihren Klagen direkt an den internationalen Gerichtshof wenden können. Großbritannien und Deutschland haben sehr dagegen gearbeitet, weil es ihnen lästig war, dass sich die eigenen Bürger über ihr Land beschwerten. Da war es eine ungarische Europaratsdelegierte, die aufstand und sich für das Individualitätsklagerecht aussprach: „Wir Ungarn wissen nämlich noch, was es heißt, von der eigenen Regierung verfolgt zu werden“, hat sie gemeint. Und jetzt schaue ich auf die aktuelle Situation und frage mich, was in den letzten zehn Jahren passiert ist. Wie kann ein Staat, der endlich den Eisernen Vorhang abgeschüttelt hat, selbst wieder einen Stacheldrahtzaun aufstellen?! Das ist einfach nur widerwärtig!

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