Bilanz 2015: Das digitale Europa hat viel erreicht, aber noch nichts gewonnen

In meinen Gedanken zum Jahresbeginn dreht sich vieles um unseren Cloud-„Kosmos“.

Die Europäische Union hat im Jahr 2015 trotz gewaltiger Krisen wie dem drohenden Grexit, der Flüchtlingswelle und einer permanenten Terrorgefahr bei der realpolitischen Umsetzung des Jahrhundertvorhabens „Digital Single Market“ eine gute Figur gemacht. Im März ging die Europäische Kommission mit dem 315 Milliarden schweren Juncker-Plan zunächst in eine strategische Investitionsoffensive. Im Mai folgte die Vorstellung des Maßnahmenpakets zur zügigen Etablierung des „Digitalen Binnenmarktes“ (DSM), welches beruhend auf den drei Säulen Access, Environment und Economy and Society praktisch alle politischen Handlungsfelder adressiert. Und noch knapp vor Weihnachten hat die Union zwei Gesetzesvorhaben von großer internationaler Tragweite in den Trilog-Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Eine bahnbrechende Datenschutz-Grundverordnung wird (hoffentlich) bis Jahresbeginn 2018 in allen Mitgliedsstaaten der EU in Kraft treten und für ein kontinentweit einheitliches Datenschutzniveau sorgen. Mit der Harmonisierung der Rechtsetzung für Netzwerk- und Informationssicherheit ist ein zweiter Durchbruch gelungen, der das europaweite Vertrauen der Wirtschaft in zukunftsorientierte IT-Dienste wie Cloud Computing, Big Data, Internet of Things oder Industrie 4.0 weiter stärken wird. Und auch bei der gegenseitigen Anerkennung nationaler eIDs in ganz Europa konnten 2015 bedeutsame Fortschritte erzielt werden.

Aber dennoch ist mit dem Jahreswechsel der Lorbeer für das Erreichte bereits verwelkt und bekanntlich macht nichts träger als der Erfolg von gestern. Ohne Aufschub muss der Blick daher nach vorne gerichtet werden, um Erreichtes fortzusetzen oder endlich zu vollenden.

Ohne meine Wünsche an die europäische Politik im Detail vorzustellen, möchte ich stichwortartig anführen, was jetzt an politischer Umsetzung folgen muss.

Die in Europa entwickelten hochwertigen Zertifizierungsstandards für Cloud Computing bilden eine mehr als solide Grundlage für die schnelle Standardisierung des europäischen Cloud-„Kosmos“, mit der die Industrie einen ähnlichen globalen Siegeszug antreten könnte wie vor ihr der europäische Mobilfunk. Einheitliche Vertragsbedingungen für europäische Cloud-Dienste und die stärkere Cloud Federation in Europa sind weitere Zielsetzungen, die den Cloud-Markt beflügeln sollten.

Der Ausbau der Datenökonomie

Wenn ich mir die Roadmap zu den Gesetzgebungsinitiativen der Union zur Verwirklichung des DSM ansehe, bin ich optimistisch, dass 2016 ein gutes Jahr für Europa wird. Die Kommunikation über einen modernen, europäischen Copyright-Rahmenvertrag wurde bereits im Dezember 2015 gestartet und für 2016 betreffen die aus meiner Sicht für unsere Branche relevantesten Vorhaben den Ausbau der Datenökonomie. Mit der „Free flow of data Initiative“ will die Union ungerechtfertigte Restriktionen bezüglich der Lokation für Datenspeicherung und Datenverarbeitung jenseits des Schutzes persönlicher Daten überwinden. Dabei wird sie bewusst auf zeitgemäße Erfordernisse in Bezug auf Dateninhaberschaft, Interoperabilität, Nutzbarkeit und den Zugang zu Daten in allen nur denkbaren Konstellationen (B2B, B2C,maschinengenerierte Daten, M2M-Datenaustausch) abstellen. Außerdem will die Kommission eine Europäische Cloud-Initiative launchen, die mit der Zertifizierung von Cloud Services, der einheitlichen Vertragsgestaltung, dem möglichen Wechsel von Cloud Providern und einer offenen Science Cloud zur gemeinsamen Erarbeitung neuer technologischer Cloud-Standards die richtigen Themen pusht.

Die Schrebergärten müssen weniger werden

Cloud Computing ist ein mächtiger Treiber des DSM, aber ohne die Überwindung der Fragmentierung des europäischen Telekom-Marktes, die insbesondere in der Beseitigung der Roaming-Gebühren im Mobilfunk bis Mitte 2017 ihren ersten Ausdruck finden wird, bleibt die Vollendung des digitalen Binnenmarktes weiter bruchstückhaft. Auch die behutsame Neuregelung der Beseitigung von Online-Handelsbarrieren wie z.B. die Abschwächung der Negativwirkungen von Geo-Blocking, wird in europaweiter Konsultation diskutiert. Ich tendiere hier zur Position von Digital Europe, wonach es keinen Zwang zu grenzüberschreitendem Online-Verkauf geben soll, sondern eine Auslegung gemäß Artikel 8 der Service Directive, wonach die Mitgliedsstaaten für allgemeine Bedingungen eines diskriminierungsfreien Zugangs zu Diensten Vorsorge zu tragen haben. Und von der Copyright-Neuregelung wünsche ich mir, dass eine grenzüberschreitende Portabilität von erworbenem Content sichergestellt wird.

Die Zukunft gehört dem ultraschnellen Breitband

Bei den Netztechnologien gehört die Zukunft dem ultraschnellen Breitband mit nahezu unlimitierten Übertragungskapazitäten wie Fibre-to-the-Curb/Home/Device und 5G. Der Mobilitätsdruck mit der explodierenden Anzahl von mit dem Internet verbundenen Endgeräten hat die Entwicklung in Richtung 5G bereits voll in Gang gesetzt. Mit 5G sind zu Recht hohe Erwartungen im Hinblick auf das enorme industrielle Potenzial in den Bereichen eHealth, Transport (autonome Autos), Entertainment und intelligente Roboter sowie bei Augmented Reality und beim taktilen Internet verbunden. Daher versucht Europa bei der vorbereitenden Erforschung von 5G-Technologien wieder an seine globale Führungsposition bei GSM anzuschließen und bis 2019 eine führende Rolle bei der Standardisierung einzunehmen. Damit 5G beim operativen Start ab 2020 volle Fahrt aufnehmen kann, hat Europa bereits im Vorjahr mit den 5G-Entwicklungsepizentren in Südkorea, Japan und China und den dortigen Innovationleadern im Mobilfunk wie Samsung, NTT DoCoMo oder dem weltgrößten Mobilfunkbetreiber China Mobile entsprechende Kooperationsverträge für Entwicklung und Test von 5G-Szenarien abgeschlossen.

In wenigen Jahren wird alles aus der Cloud kommen. Darauf müssen wir uns einstellen. Daher ist es wichtig, dass eine Cloud-Philosophie, die sich auf das Attribut „europäisch“ beruft, ihre Einzigartigkeit im globalen Marktgeschehen durch eine ethische Unterfütterung ausweist, die sich auf den Werten der universellen Menschenrechte begründet. Auch dafür werden wir uns 2016 weiter stark machen!

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