Ich möchte euch jetzt eine Geschichte erzählen.
Sie erzählt von der Freiheit, von Träumen, vom wahren Leben, und von Erlebnissen, die wir oft mit unserem so modernen Denken verdrängen.
Lautlos erheben sich zwei nepalesische Steppenadler in die Lüfte, das Panorama ist einzigartig, unglaublich schön.
Die Luft vibriert, sie trägt, sie erhaltet, nimmt aber auch das Leben. Die beiden großen Vögel gleiten hinauf in die Unendlichkeit der höchsten Berge dieser Erde.
Der Tschomolungma, wie die Tibeter sagen, der Mount Everest. Aber mit diesen beiden Adlern, steigt auch ein Hängegleiter auf in die Lüfte. Ein Vogelmensch, der mit diesen Vögeln fliegt, sie sind seine Freunde und Gefährten der Lüfte. Extreme Kältegrade bis zu −50 °C, Sauerstoffmangel, Aufwinde am Mount Everest und den »Jetstream«, einem Wind in fast 9 000 m Höhe mit bis zu 200 km/h, konnte sie nicht aufhalten. Immer höher kreisen sie, weit in die Unendlichkeit.
All das ist mit normalen Maßstaben nicht zu erklären, nicht zu erfassen, es ist ein Traum, der sich erfüllt hatte.
Angelo, der Engel, Angelo d`Arrigo- der Vogelmensch.
Angelo d’Arrigo war der Sohn einer französischen Mutter und eines sizilianischen Vaters. Als er im Alter von sechs Jahren einen Drachenflieger beobachtete, stand für ihn fest, ebenfalls den Drachenflug zu erlernen.
Vor seinen besorgten Eltern hielt er jedoch seine Absicht und sein Flugtraining bis zu seiner Volljährigkeit verborgen. Mit dem Hängegleiter flog er höher, weiter und länger als jeder andere Mensch zuvor. Nach einem Aufprall gegen eine 20.000 Volt-Hochspannungsleitung brach er sich durch die harte Landung einen Rückenwirbel.
Er war sechs Monate lang durch den Druck auf sein Rückenmark unterhalb der Hüfte gelähmt und wusste nicht, ob er jemals wieder laufen könnte.
Dieser Unfall änderte seine Einstellung zum Fliegen: nach seiner medizinischen Rehabilitation versuchte er von nun an den Vogelflug bestmöglich zu imitieren.
Diesen Neuanfang nannte er seit dem Jahr 2000 programmatisch Metamorphosis, die Anverwandlung des Menschen in einen Vogelmenschen. D’Arrigo schaute sich von den Adlern ab, wie sie die Luftströme aufspüren Im Jahre 2001 schaffte er zusammen mit dem Adler Nike einen spektakulären Flug über die Sahara und das Mittelmeer bis nach Sizilien. D’Arrigo änderte auch sein Lebensziel, seine Flugkünste widmete er nun vermehrt der Erhaltung bedrohter Vogelarten
Mit den zwei nepalesischen Steppenadlern Chumi und Gaijy aus den Zoos von London und Moskau trainierte er zwei Jahre lang am Ätna, um sich für den Überflug des Himalaya-Gebirges vorzubereiten..
Anfang 2006 überflog er in einer maximalen Höhe von 7 400 m den Aconcagua, welcher der höchsten Berg Amerikas ist.
November 2004 traf ich Angelo in Graz, er war ein Abenteurer, der eine unerschöpfliche Herzenskraft ausstrahlte.
Damals erzählte er, von seinem Flug über den Mount Everest. „Langsam stieg ich mit dem Aufwind immer höher, und kreiste auf über 9000 m Höhe. Zu meinen Füßen, sah ich den Gipfel des Everest.
Mein Traum war Wirklichkeit geworden, wie ein Adler flog ich über den Himalaya. Aber ich wusste auch, dass ich zurück musste. Die Wolken des herannahenden Monsuns zogen herauf, das Wetter konnte sich in wenigen Minuten ändern. Durch dunkle Wolken zog ich meine Schleifen hinunter. Mit viel Glück konnte ich irgendwo in einem Seitental unsanft aufsetzen, wo mich die Sherpas verletzt fanden.“
Erst zwei Tage später war es Gewissheit, das Angelo überlebt hatte, und sich sein Traum verwirklicht hatte. Bergsteiger am Everest erzählten später, dass sie ihn über dem Gipfel fliegen sahen, in Begleitung eines Adlers.
Angelo hatte mit seinem Traum Grenzen überschritten, von denen wir wenig wissen.
Für Realisten hatte dieser Flug über den Everest keine Bedeutung. Ich bewundere Angelo, fliegen zu können wie ein Vogel, ich beneide ihn um diese Freiheit. Ich nahm mir vor, ihn in seiner Heimat zu besuchen.
Es ist so faszinierend für mich, wenn ich auf Menschen treffe, die Grenzen überschreiten. Es geht dabei nicht um Geld und Profit, nein, es geht nur um die Erfüllung eines für andere sinnlosen Traumes.
Angelo d’Arrigo starb am 26. März 2006 um 11:30 Uhr bei einer Flugschau in Comiso auf Sizilien auf einem stillgelegten Luftwaffenstützpunkt.
Zusammen mit dem ehemaligen F-104-Piloten der italienischen Luftwaffe und Demopiloten der Firma Sky Arrow (Triest), General Giulio De Marchis, stürzte er in dem doppelsitzigen Ultraleichtflugzeug Sky Arrow 650 TNT aus 200 m Höhe in einen Olivenhain. Die beiden Piloten, die zu den erfahrensten Leichtflugpiloten Italiens zählten, starben auf der Stelle.
Angelo wurde 45 Jahre alt.
Ich war zu tiefst erschüttert, als ich es erfuhr.
Aber ich weiß auch, das Angelo der Vogelmensch, weiterlebt in meinem Herzen. Wer träumt, der kann ihn vielleicht sehen. Seinen Traum vom Flug mit den Andenkondoren über die Anden konnte sich Angelo d’Arrigo vor seinem Tod nicht mehr erfüllen.
Seine beiden Kondore Inca und Maya, die er zu diesem Zweck aufzog, wurden im Sommer 2006 von seiner Witwe in Südamerika freigelassen. In dieser unendlichen Freiheit ist er jetzt zu finden, und er lebt einen unendlich schönen Traum.
Dafür hat er gelebt, dafür ist er gestorben.
Man kann darüber den Kopf schütteln, aber ich glaube, wir alle sind nur gekommen, um zu träumen. Wer das nicht begreift, hat auch niemals wirklich gelebt.
FÜR MEINEN FREUND ANGELO.