Die Flucht der Verzweifelten.

Die Flucht der Verzweiflung.

Ich möchte eine wahre Geschichte erzählen, eine Geschichte meiner Mutter, die 1945 vor den Russen aus ihrer Heimat flüchten musste.

Geboren wurde meine Mutter in Pommern, ganz im Norden vom damaligen Deutschland, an der Ostsee.

Die Stadt hieß Stolp, heute Slupsk. Heute ist das alles Polen, damals war es die Kornkammer Deutschlands. Ein schönes Land mit weiten Feldern, Birkenwäldern und weißen Sandstränden an der Ostsee.

Bis zu ihrem 17. Lebensjahr hatte sie eigentlich eine glückliche Jugend, in einer kleinen Dorfgemeinschaft nahe der Stadt. Sie war als Hausdame in einem adeligen schönen Haus eines Fabrikbesitzers beschäftigt.

Doch sie war auch ein Mitglied des Hauses, wie die Töchter des Besitzers. Der Sohn des Hauses war in Stalingrad 1942 als Leutnant gefallen, wie auch der Bruder meiner Mutter. 1945 kam die russische Armee und eine verzweifelte fast kopflose Flucht nach Westen begann.

Viele marschierten über die zugefrorene Ostsee, viele Familien erfroren, oder brachen ins Eis ein oder verhungerten unterwegs. Der Fabrikbesitzer nahm meine Mutter in seine Obhut und gemeinsam mit seiner Familie versuchte er in Danzig noch eines der letzten Schiffe zu erreichen. Meine Mutter musste ihre Eltern, ihre Verwandten zurücklassen.

Im Chaos im Hafen von Danzig gelang es ihnen noch einen Frachter zu besteigen. Viele Menschen waren auf dieses Schiff gepfercht. Fast 14 Tage waren sie unterwegs, in ständiger Angst vor russischen U-Booten oder Kriegsschiffen. Viele deutsche Schiffe wurden damals mit Zivilisten an Bord versenkt.

Man denke nur an die Gustloff. Die Wilhelm Gustloff war ein Kreuzfahrtschiff der nationalsozialistischen Organisation Kraft durch Freude (KdF). Bei ihrer Versenkung durch das sowjetische U-Boot S-13 vor der Küste Pommerns am 30. Januar 1945 kamen möglicherweise mehr als 9000 Menschen ums Leben. Dies war der verlustreichste Untergang eines einzelnen Schiffes in der Geschichte der Seefahrt. An Bord war auch die SS. Sie feierte unter Deck, während Menschen starben.

Meine Mutter musste bei ihrer Überfahrt zusehen, wie Kinder verhungerten und Mütter ihre Babys ins Meer warfen.

Auch wurden die Menschen während der Fahrt bestohlen. Es war eine Verzweiflung an Bord, die sich niemand, der nicht dabei war, vorstellen hätte können. Ausgezerrt vor Hunger und Verzweiflung schafften es aber die Menschen nach Kiel zu kommen, nach Schleswig Holstein.

Aber die ständige Angst, der Hunger, die Verzweiflung hatte in den Gesichtern der Menschen ihre Spuren hinterlassen. Meine Mutter arbeitete einige Zeit in einem Krankenhaus, und sah viele Menschen sterben. Viele, eine ganze Generation, ohne Zukunft.

Sie lernte auf der Flucht einen Soldat kennen, aus Österreich, meinen Vater. So kam sie nach Österreich, obwohl dieses Land bei vielen Deutschen keinen guten Ruf hatte. Rückständig, Zigeuner usw. Ihre Eltern hat sie niemals mehr lebendig wiedergesehen. 1992 fuhr ich mit ihr in ihre ehemalige Heimat.

Alles war verkommen, zerstört und herabgewirtschaftet. Der Wald- Friedhof, auf dem ihre Eltern begraben waren, war eine Müllhalde, die Gräber zerstört, und die Grabsteine gestohlen.

So konnte sie nicht einmal mehr Blumen hinlegen, am Grab ihrer Eltern.

Für mich war das sehr, sehr traurig. Ein Krieg hatte die Menschen zerrissen, die Herzen in Stein verwandelt. Doch was haben neue Generationen daraus gelernt? Heute gibt es mehr denn je Kriege, Leid, Mord und Totschlag.

Viele schreien nach Menschlichkeit, wissen aber gar nicht, was das ist. Die Kriegsgenerationen sind verschwunden, niemand hört noch auf die wenigen Zeitzeugen. Flucht ist heute anders, viele flüchten aus rein wirtschaftlichen Gründen.

Sie wollen einfach am Kuchen teilhaben. So verwischt sich alles. Arm ist nicht gleich arm, Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Auch wurde vergessen, dass unsere Länder von Menschen mühsam wieder aufgebaut wurden.

Mit ihren Händen, aber mit einem unbeugsamen Willen, für eine schöne Zukunft ihrer Kinder. Die nächsten Generationen, sind aber gerade wieder dabei, das alles zu zerstören.

Urteile werden von Menschen gefällt, die bis jetzt nur genommen haben.

Niemand hört noch auf die Zeichen von damals.

Das macht mich traurig, weil all jene die geblutet haben, die gestorben sind, für unsere Zukunft, vergessen wurden.

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