Geboren in Bethlehem-gestorben in Jerusalem

Ich erwache aus meinem Traum und sehe in die eiskalte Realität. Bewaffnete junge Israelis führen strenge Kontrollen durch. Da ist Stacheldraht, da ist eine hohe Mauer, die zwei Völker entzweit. Hinter dieser Mauer leben die Palästinenser, auf engstem Raum, in Städten, die Hebron und Bethlehem heißen. Umgeben von einer Mauer, die keinen Ausweg kennt, außer Israel erlaubt es. Israel, ein Staat ,den selbst Juden ablehnen. Für viele kann nur Gott Israel gründen. Nach dem Checkpoint begrüßt mich freundlich ein palästinensischer Taxifahrer. Er besitzt einen alten gelben Mercedes. 450.000 km hat er schon auf dem Tacho. „Doch der hält noch einmal so lange“, sagt er zu mir. Er ist sein ganzer Stolz - deutsche Wertarbeit. Damit verdient er sein Geld für die Familie. Ich komme von draußen, von der anderen Welt. Er will mir Bethlehem zeigen. Zehn Jahre war er nicht mehr außerhalb der Mauer. Ich sehe Panzerfahrzeuge, viele bewaffnete Soldaten, und eine Hochsicherheitsmauer, die unüberwindbar ist. Die Künstler haben sie bemalt, mit Symbolen der Freiheit.

Da sind Soldaten, die mit Blumen werfen, da sind Kinder, die träumen. Man sieht durch einen Riss in der Mauer das Meer, von dem sie nur träumen können. Da wurde Jesus geboren, von da geht jedes Jahr das Friedens-Licht hinaus in die Welt. Überall zur Weihnachtszeit wird es in den christlichen Ländern verteilt, doch nur wenige wissen, was dahinter steht. In diesem Licht leuchtet auch die Angst, die Unterdrückung, das Leid dieser Menschen von da. Wir haben die Freiheit, die wir nicht schätzen können, weil wir gar nicht wissen, was sie ist. Nachdenklich stehe ich vor der Grotte in der Jesus geboren wurde. Von da soll das Licht der Welt leuchten? Es ist ein Gedränge vor der Grotte, wie bei einem Schlussverkauf. Um jeden Millimeter wird hier gekämpft, um in die Nähe der Geburtsstätte zu kommen Ich trete aus dem Dunkel der Geburtskirche hinaus, in das grelle Tageslicht. Mein palästinensischer Taxifahrer wartet schon auf mich. „Ich bin selbst Christ“, sagt er zu mir. Was stimmen kann, aber auch nicht, denke ich mir. Eher kommt er mir wie ein Araber vor, aber es ist auch nicht so wichtig. Sein verschmitzter Blick lässt nichts Gutes für mich ahnen. Irgendwie habe ich plötzlich das Gefühl, dass der ausgemachte Preis sich langsam in seinem Kopf erhöht hat. Wir fahren durch die engen Gassen von Bethlehem, vorbei an den vielen Händlern, vorbei an Eseltreibern, an vermummten Frauen und spielenden Kindern. Überall sind Soldaten. Wir fahren an der Mauer entlang. Sie ist mit sehr traurigen Motiven bemalt. „Diese Mauer ist verrückt“, sage ich zu ihm. Er lächelt nur und fragt dann, ob ich mit ihm meinen Reisepass tauschen würde, dann käme er frei. Außerdem bin ich sicher reich, und der Fahrpreis beträgt inzwischen eine Million Dollar. Das ist wohl palästinensischer Humor, denke ich mir, und lache etwas unbeholfen. Ich habe das Gefühl, und es mag sogar zutreffen, wir leben in zwei verschiedenen Welten, ohne dass wir es ändern könnten. Ich kann da mit Worten noch soviel Verständnis für die Lage des palästinensischen Taxifahrers aufbringen, aber ich bleibe ein Tourist von draußen. Von draußen in der Freiheit. Ich bin einer von vielen, die da nur kurz vorbei schauen, mein Entsetzen über diese Mauer äußern - und wieder verschwinden. Plötzlich stehen wir vor einem israelischen Checkpoint. Es ist mein Ausgang in die Freiheit. Ich steige aus, vor mir die Mauer, überall Stacheldraht, und ein schmaler Durchgang in die Freiheit. Reflexartig nehme ich meine Filmkamera in die Hand und filme. Ich hätte auf die hastigen Warnungen der Palästinenser achten sollen, die mein Tun beobachteten. Nach einigen Minuten wurde mir klar, was sie mir sagen wollten. “Da ist absolutes Film und Photo Verbot.“ Da ist die Realität, da gibt es keine Toleranz. Israelische Soldaten kontrollierten meine Aufnahmen, und ich musste sie vor ihnen löschen. Über das Gespräch möchte ich nicht schreiben. Ich weiß nur, dass mir plötzlich heiß und kalt war. Es sind noch ganz junge Soldaten, sie lassen aber erkennen, dass sie keinen Spaß verstehen. Da spürt man die Gefahr körperlich, das ist kein Kino, keine versteckte Kamera, kein europäisches Denken, das ist die nackte Gegenwart. Zittrig und etwas beschämt gehe ich weiter, ich atme hastig. Als ich auf der anderen, auf der israelischen Seite ankam, genoss ich die Freiheit, die ganz plötzlich hätte weg sein können. Hier in diesem Land ist das Leben anders, es ist alles sehr explosiv. Von einer Minute auf die andere kann es eskalieren. Als Besucher, der aus einem freien Land kommt, geht man umher, so, als sei die Welt soweit in Ordnung. Doch das ist nicht so, das sollte man sehr schnell auch begreifen.

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Ich mag doch keine Fische vergeben
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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:57

fischundfleisch

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