Ukraine-Russland, wir schrieben das Jahr 1979. Die MS Vistafjord, auf der ich damals als Steward arbeitete, steuerte die Stadt Odessa an. Die alte Stadt Odessa, am schwarzen Meer, an der ukrainischen Küste. Ich weiß noch, ich stand damals vorne am Bug des großen Schiffes. Ein Schlepper geleitete uns in den Hafen. Für mich war das damals die Sowjetunion, alles war und wirkte für mich Russisch. Passagiere durften damals nur mit sowjetischer Begleitung geschlossen an Land gehen.

Gezeigt wurde nur das, was vom staatlichen Tourismusamt erlaubt war. Nicht so für uns von der Crew des Schiffes. Wir bekamen einen roten Pass, mit der Aufschrift CCCP (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) und durften uneingeschränkt in der Stadt Odessa herumspazieren. Gesagt getan: ich marschierte los, machte mir keine Gedanken über Russland oder die Ukraine, ich war in der Sowjetunion, so war damals mein Gefühl.

Russland im Jahr 1905. Der russisch-japanische Krieg zehrt an den Kräften der Seeflotte. Als die Lebensmittel knapp werden, bricht auf dem Panzerkreuzer Potemkin eine Meuterei aus. Die Offiziere versuchen den Aufstand zu zerschlagen, doch als der Panzerkreuzer im Hafen von Odessa einläuft, verbrüdern sich die Bürger mit den Matrosen. In Odessa waren Arbeiteraufstände ausgebrochen, die von den regierungstreuen Kosaken mit Säbeln und Gewehren blutig niedergeschlagen wurden. Die militärische Hilfe, die sich die Aufständischen von den 30,5cm Geschützen des Schlachtschiffes versprachen, aber blieb aus.

Die Beschießung der Stadt wurde nach zwei Versuchen eingestellt, weil genaues Zielen von dem niedrigen Liegeplatz aus nicht möglich war. 1979 stand ich auf der berühmten Richelieu-Treppe in Odessa, und erinnerte mich an den alten SW-Stummfilm von Sergej Eisenstein, den ich einmal gesehen hatte. Auf dieser Treppe metzelten die Kosaken 1905 die Menschen nieder, ganz gleich ob Erwachsene oder Kinder. Sie kannten keine Gnade. Aber nicht nur wie im Film, in der ganzen Stadt Odessa wurde die Zivilbevölkerung damals massakriert. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und der Streit um die Krim reichen jahrhundertelang zurück. Für beide Seiten geht es um die nationale Identität. Das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine ist seit Jahrhunderten kompliziert.

Beide Staaten eint ihre gemeinsame Geschichte, lange Zeit waren beide Völker eins. Wer die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern verstehen will, muss ihre Geschichte mit berücksichtigen. Denn das Bewusstsein für das Werden und die Historie der eigenen Nation prägt häufig das Handeln der Regierungen und ihre jeweilige Unterstützung in der Bevölkerung. Ukraine 2015 ein Land im Krieg, ein Land im Chaos, ein Land das wieder um Eigenständigkeit und Freiheit kämpft, doch der alte Bruder Russland hat etwas dagegen. Wladimir Putin will offenbar der Welt beweisen, dass er auch die Geschichte ändern kann. Die Krim ist und bleibt russisch. 1979 als ich durch Odessa streifte, wirkte alles etwas heruntergekommen und vernachlässigt.

Der alte Glanz dieser Stadt fehlte. Alles war sowjetisch, auf den LKW und Bussen sah ich groß das CCCP stehen. Einige Male wurde ich angesprochen, ob ich Jeans oder ausländische Zigaretten hätte, sie würden mir gute Preise dafür zahlen. Auch wurden mir einige echte oder unechte Ikonen (alte russische Heiligenbilder) angeboten. Doch ich lehnte ab, zu gefährlich damit erwischt zu werden. Nachdenklich stand ich noch eine Weile auf der Richelieu Treppe und dachte an die Menschen die damals da gestorben waren. Die Geschichte ändert sich nicht, sie wiederholt sich nur. Langsam ging ich zurück auf mein Schiff.

Zwei Tage später waren wir noch in Jalta, auf der Halbinsel Krim. Ein schöner Ort, eine schöne Stadt, Urlaubsort der reichen sowjetischen Oberschicht. Heute 2015 denke ich manchmal zurück, wieder wird dort gekämpft, gelitten und gestorben, zwei Länder, zwei Völker, die dieselbe Geschichte vereint, doch nicht das Gefühl der eigenen Freiheit. Wir im Westen sind ratlos, beurteilen nach unseren wirtschaftlichen Interessen, ohne uns wesentlich mit diesem Konflikt in der Tiefe auseinanderzusetzen. So wiederholt sich die Geschichte – und die Menschen bleiben ratlos. 1905.

Die meuternden Matrosen der Potemkin retteten sich später nach Rumänien. Der Panzerkreuzer Potemkin gab nie wieder einen Schuss ab. Er wurde 1919 vor Sewastopol von zaristischen Marineoffizieren versenkt, damit er nicht in die Hand der Bolschewisten fiel. 2015. Na ja, in Präsident Wladimir Putins Welt ist es ein Machtspiel zwischen Russland-Amerika und Europa geworden die Grenzen wieder neu zu ziehen.

Für ihn sind Russland und die Ukraine ein Land, da sollte sich niemand einmischen. Die Frage ist, ob der Panzerkreuzer Potemkin wieder aufersteht, aber dann wird es ein gewaltiges Blutbad geben, und die Freiheit die wurde schon lange zu Grabe getragen.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:04

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