Still sitzen und nachdenken

Wer viel herumkommt, wer viel reist, der weiß auch viele Geschichten zu erzählen. Geschichten über Menschen, die man getroffen hat. Unsere Uhren ticken immer schneller, Zeit ist ein wertvolles Gut geworden.

Mit Entsetzen fragen sich viele keuchend: "Ist das noch das Leben, ist das noch der richtige Weg?" Unruhig und hastig, einsam und traurig, gierig und neidisch blicken die Gesichter.

Das Einfache ist abhanden gekommen, die Einfachheit und die Stille. Wir alle haben aufgehört zu staunen über die kleinen Wunder des Lebens. Auf meinen Reisen habe ich Menschen getroffen, die ich in meiner Erinnerung als wunderbare Menschen bezeichnen kann.

Sie finden sich selbst nicht wunderbar, sie leben einfach ihr Leben. Doch sie sind die wahren Lehrmeister des Lebens, Lehrmeister der Hoffnung und der Zuversicht, sie zeigen, dass das Leben nicht nur ein Jammertal ist. Sie zeigen, dass es nicht das Anhäufen von materiellen Dingen ist, um Glück zu finden.

Da ist Carlos, Carlos ist ein Indianer und er lebt in Guatemala.

Guatemala liegt in Mittelamerika und hat eine lange Geschichte. Carlos ist ein Nachfahre der Maya Indianer:

Die Mayas hatten eine hohe Kultur und haben uns sehr viele Rätsel hinterlassen.

Im Hochland von Guatemala liegt der Atitlansee, von dem der deutsche Forscher Alexander von Humboldt einmal sagte, es sei der schönste See auf unserer Erde. Eingerahmt von vier Vulkanen, die bis zu 3000 Meter hoch sind, liegt dieser See auf fast 2000 Meter Höhe. An seinen Ufern wohnen die Indios in kleinen Dörfern, und bauen ihren Mais an.

Am Ufer dieses Sees sitzt man und fühlt sich wie in einer anderen Welt. Man hat das Gefühl, hier öffnet sich die Pforte in eine andere Welt. Carlos führte mich als Begleiter auf einen dieser Vulkane. San Pedro, dreitausend Meter hoch. Wir stiegen hinauf durch Kaffeefelder, die hier mühsam angelegt wurden.

Guatemala hat einen wunderbaren Kaffee. Viel haben aber die Indianer hier nicht davon, alles wird exportiert, nach Amerika, nach Europa. Nach sechs Stunden Aufstieg stehe ich auf dem Gipfel des Vulkans. Ich stehe und schaue, und fühle mich als würde ich ins Paradies unserer Erde blicken. So wunderschön kann das Leben sein.

Aber wir in Europa wissen wenig, da ist kein Paradies für die Menschen, die hier in Guatemala leben. In den letzten 40 Jahren wurden hier hundertausende Indios ermordet, wer weiß schon davon? Armut und Unterdrückung, das ist das Leben, das sie hier kennen. Arbeiten auf den Kaffeeplantagen der Großgrundbesitzer bis sie tot umfallen.

Man spritzt Pflanzengift auf den Kaffee, während die Indios dort arbeiten. Sie haben keine Rechte im eigenen Land. Ich war beschämt und niedergeschlagen von den Erzählungen, doch seine Worte sind bittere Realität in Guatemala, wie ich mich selbst überzeugen konnte.

Aber ich fragte mich oft, woher nehmen diese Menschen hier in Guatemala bei so viel Leid, und so viel Armut, ihren Lebensmut her?

Es sind immer dieselben Gesichter, dieselben Augen, die mich anblicken. Augen, die viel Leid gesehen haben, aber trotzdem strahlen. In diesen Augen ist noch die Hoffnung zu finden, der Glaube und die Hoffnung an das Leben, ohne Fragen an das Warum des Schicksals. Geschichten gibt es viele, viele über Menschen und Ereignisse,.

Getroffen habe ich auch auf meinen Reisen Lobsang Norbu, einen tibetischen Mönch aus Lhasa.

Lhasa war einmal die Hauptstadt Tibets, bevor die Chinesen kamen und alles zerstörten. Über 60 Jahre halten sie schon Tibet besetzt und unterdrücken dieses großartige Volk.

Seine Geschichte, sein Leben ist ein Weg voller Leid und Tränen. Viele Jahre verbrachte er in chinesischen Gefängnissen, er wurde gefoltert und misshandelt und sie versuchten seinen Geist zu brechen. Sie verlangten immer wieder, er sollte das Bild des Dalai Lama anspucken-

Der Dalai Lama ist das göttliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter, er lebt heute in Indien im Exil. Über eine Million Tibeter wurden von den Chinesen umgebracht. Tibet ist heute eine chinesische Provinz, sie haben eine Kultur und ein Volk fast vernichtet, und das alles zum Wohle des Fortschrittes.

Die westliche Welt schaut zu. Lobsang ist aber stellvertretend für alle Tibeter. 60 Jahre Unterdrückung haben ihn noch nicht zerbrochen, sondern seinen Glauben nur verstärkt.

Lobsang glaubt als tibetischer Mönch an die Wiedergeburt der Seele. Das Hochland von Tibet ist wunderschön, frei und wild sind seine Menschen. Alles ist ein Kreislauf, alles was du tust und aussendest, kehrt eines Tages zu dir zurück.

Mit Tränen in den Augen erzählte er mir in holprigem Englisch vom Leiden in Tibet, vom Leiden der Kinder Tibets, die bei Schnee und Eis über 6.000 Meter hohe Pässe vor den Chinesen nach Indien flüchten, um eine Zukunft zu finden.

Seine Augen hatten aber denselben Glanz und dieselbe Ausstrahlung wie die Augen von Carlos, dem Indianer aus Guatemala .

Augen, die viel gesehen haben, Augen, die Schmerz und Leid erlebten.

Aber in diesen Augen ist kein Hass und keine Bitterkeit, obwohl das Leben manchmal nichts schenkt.

Wir fliegen heute durchs Internet und halten uns für zivilisierte Menschen. Laut und schrill ist die Welt geworden, und die Gier und der Hass regiert. Aber sie leben noch immer unter uns, stille, einzigartige Menschen.

Es sind nicht die Lauten, es sind auch nicht die, die wir oft bewundern, weil sie reich und erfolgreich sind. Man sieht es in den Gesichtern, wenn man darin lesen kann, diese Gesichter erzählen Geschichten, die Frage ist nur, wollen wir sie überhaupt noch hören.

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Hansjuergen Gaugl

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Herbert Erregger

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