“Die Möwen sehen alle aus,

als ob sie Emma hießen.

Sie tragen einen weißen Flaus

und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,

ich laß sie lieber leben -

und füttre sie mit Roggenbrot

und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei

der Möwe Flug erreichen.

Wofern du Emma heißest, sei

zufrieden, ihr zu gleichen.”

Und auch wir, die wir nicht Emma oder Jonathan heissen, gleichen den Möwen irgendwie, naja bis auf das, dass Möwen lebenslang ihren Partnern treu sind. Aber punkto Futterneid, hallo! Die Möwen, obwohl sie am liebsten Fische essen, nehmen alles, selbst rötliche Zibeben, und streiten sich auch gerne drum oder jagen anderen ihr Futter ab.

Sie sind Geschöpfe der Küsten der Welt, weder im Hochgebirge noch auf hoher See sind sie normalerweise zu finden. Wird aber nicht allzuweit vom Meer weg ein Feld gepflügt, wird der Traktor zum schwankenden Schiff, von silbernen, laut lȁrmenden Schwȁrmen begleitet, da allerlei frische Würmer und Kȁfer durch die Pflugschar an die Oberflȁche kommen.

Wenn draussen ein Fischtrawler seine Netze einholt, werden wir Ähnliches beobachten. Die Möwe lȁsst sich eben gerne helfen....

Über die Welt verteilt gibt es so viele Möwenarten, dass nicht nur wir, sondern offensichtlich auch diese selbst sich nicht genau unterscheiden können: Nicht selten tun sich Vögel unterschiedlicher Arten zusammen und erzeugen Nachwuchs, welcher dann, ganz gegen die Regel, wiederum reproduktionsfȁhig ist.

Nichts Schöneres gibt es, als fliegende Möwen, besonders im Schwarm. Fliegen ist dabei noch das falsche Wort, sie schweben im Wind. Ich schaue von meinem Kreuzfahrtsschiff Costa Concordia auf. Unter mir dröhnen die Motoren mit über 100 000 Ps auf voller Fahrt, die Möwe aber über mir scheint im Fahrtwind zu stehen! Sie sorgt sich auch wenig um die gefȁhrlich nahen Klippen der Inseln des Toskanischen Archipels, genausowenig wie der Steuermann, der singt gerade gedankenverloren Hazy Osterwald vor sich hin:

“Denn das Schiff, das fȁhrt ja doch nicht drauf,

Ja doch nicht drauf aufs Felsenriff...”

Für den Seemann früherer Zeiten, als es weder Radar noch GPS gab, war die Möwe am Himmel ein Zeichen nahenden Festlandes, ein Signal der Hoffnung nach Wochen und oft Monaten auf hoher See. Mit brüchiger Stimme und von Skorbut angefaultem Zahnfleisch rief der Mann im Ausguck dann: “Land in Sicht!” Viele Legenden und Seefahrergeschichten ranken sich um die Möwe, in denen sie entweder als Wegweiser, Lebensretter oder Seelenführer der Toten in Erscheinung tritt.

Möwen aber wenn sie sitzen, irgendwo am Hafen, auf Pollern oder Holzpfosten, sehen reichlich unbeholfen aus, irgendwie zusammengestaucht, irgendwie spiessig...

Nun aber haben es sich die Möwen neuerdings in den Stȁdten gemütlich gemacht und sind sesshaft geworden, haben sogar ihre sonst durchaus üblichen Züge nach Süden (oder Norden) aufgegeben. Kein Wunder: profitieren sie an Abfallkübeln und auf Müllhalden doch reichlich von unserer Wegwerfgesellschaft und finden zum Fressen alles, was so ein Vogelherz begehrt.

Möwen sind sozusagen die Briten unter den Vögeln, denn sie leben in Kolonien. Unglücklicherweise bauen sie aber ihre Nester auf Hausdȁchern, verteidigen ihre Brut im Sturzflug gegen Passanten auf den Trottoirs und scheissen alles voll. Sie zu vertreiben ist schwierig bis unmöglich: schiesst man einige ab, machen es sich sogleich andere in den heissbegehrten Nestern bequem.

So wird etwa aus Bristol berichtet, dass es dort über 1200 Brutpaare gebe. Aber auch Stȁdte im Binnenland bleiben nicht verschont, wie zu hören sind nun die Möwen von İstanbul nach Ankara geflogen....

Wie die Taube in der unterirdischen Metrostation hat sich also die Möwe weit von ihrem ursprünglichen Lebensraum entfernt....

“... Und du selber? Bist du echt beflügelt?

Oder nur gemalt und abgespiegelt?

Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen?

Oder hast du Blut in deinen Schwingen?”

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Palko52

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