Verfluchen, verwünschen, wenige tun es nicht, aber wenige tun es bewußt. Wer schon ist sich zum Beispiel des Zusammenhangs zwischen dem heute (vor allem durch Fußballer verbreiteten) Ausspuckens und dem bei Jugendlichen alltäglichen „motherfucker!“, „ich fick deine Mutter!“ oder „Ja imel twaju mat“ klar? Denn gespuckt wird schließlich auf die Erde, Zitat Anatolij Koroljow: „...die bei uns als Mutter Erde ja mythische Bedeutung hat, ein bewußtes Verletzen dieses heiligen Spiegels des Seins“. Fluchen ist immer auch Tabubruch, öffentliche Verhöhnung von sakralen, sittlichen oder staatlichen Verboten, hier des archaischen, das Geschlechtsleben der Mutter, vor allem der eigenen, anzutasten. Flüche kreisen immer nur um eine Handvoll von Tabuwörtern. Zuerst Skandal, werden sie Gewohnheit und vernichten das Tabu. Zugleich sind dann Flüche nicht mehr beleidigend. Durch Fluchen treten Gesprächspartner in eine bestimmte Vertraulichkeit, unzensierte Sprache unterstreicht die Nähe und sogar Intimität eines Verhältnisses. Vom ehemaligen russischen Premier Wiktor Tschernomyrdin wird überliefert, dass seine private Rede frei und leicht floss und die prächtigsten Flüche in der Höhe dreistöckiger Häuser von seinen Lippen tropften, während er vor öffentlichen Mikrofonen eben aus Gründen dieses öffentlichen Charakters kaum ein Wort herausbrachte. Wie die meisten liebte er trotz aller pädagogischen Zeigefinger der öffentlichen Meinung die „nicht normative Lexik“. Liebespaare hinwiederum unterstreichen zuweilen den Augenblick höchster Intimität, indem sie ihn sich mit gegenseitiger Nennung einschlägiger Wörter besiegeln. Bei Jugendlichen ist heute ein krasser Ausdruck geradezu ein Friedensangebot oder eine erste Kontaktaufnahme, auch die Mädchen sind dabei und erröten nicht mehr. Hey Arschfalte! rufen sie. Theaterstücke heißen heute „shoppen und ficken“ und Romane „Kak ja, kak menja“ (sinngemäß: wie ich vögelte und gevögelt wurde). Der Fluch, der sich in seiner Provokation sehr schnell abnutzt, wird zur Formel, zur Garantie des gerade Gesagten, zur Travestie des „Amen“. Wir sind im Bereich der Volkssprache, bei Menschen, die in allen Zeiten und Ländern ihrerseits den elaborierten Code der Oberschicht und der Herrschenden nie verstanden und diesen ihrerseits wie Leerformeln nachsprechen. Im Schimpfwort ist die Sprache aber sehr viel lebendiger als im Aktenordner oder dem Kommuniqué. Man verfolge nur, wie viele Worte der Argot, der Slang, das Rotwelsch, die Materschtschnina, das Pidgin, die Volkssprache, für Prostituierte, für Geld, für Glied oder Vagina gebrauchen und fast ständig neu erfinden. Häftlinge entwickeln ein eigenes drastisches Vokabular, das wie eine Geheimsprache wirkt und von den Aufsehern nicht verstanden werden kann. Der Fluch wird zum Mittel des Überlebens. Umgekehrt versteht keiner von uns wirklich, was etwa Derivat oder Prawij uklon (Rechtsabweichler) heißen mag. Ungehemmt und frech nehmen aber viele Flüche schnell den Status von Modewörtern an und reisen um die ganze Welt und in die akademischen Spezialwörterbücher. Zynisch, nihilistisch und hedonistisch lachen sie über alle Versuche des offiziellen Sprachsystems, sie zu reinigen, abzuschleifen und einzuebnen. Schließlich ist Fluchen magisch: es versteht sich als Anrufung, mit deren Hilfe das dunkle Unterbewußte versucht, eine zumindest emotionale Kontrolle über Dinge zu bekommen, die seinem Zugriff sonst entgehen oder entgleiten.
Santa Muerte
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Wir sagen meist nur "Hueresiech", "Shit" oder "Lanet olsun!". Aber man müsste viel besser verfluchen können. Ich lob mir die Latinos (und Santa Muerte): “Oh, Santa Muerte, beschütze uns vor unseren Feinden, führe sie in den Hinterhalt, foltere sie, töte sie, mach sie zu Gehacktem! Oh, Santa Muerte, der Du über die Welt herrschst im Namen derer, die vor Dir knieen, wir bitten Dich um Macht gegenüber unseren Feinden! Nimm sie mit zum Dunkeln Hause, wo die Toten in der Kӓlte frösteln! Nimm sie und entführe sie ins Fledermaushaus, wo die Verwundeten ohne Unterlass schreiend hin- und herfliegen. Entführe sie zum Rasiermesserhaus, wo die Klingen knirschen! Uriniere auf ihre Leichen! Du kannst das alles, oh Santa Muerte. Erhöre unsere Bitten. Amen.”