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Gestern in den Bergen (sie sehen aus wie die Dolomiten, sind aber nur wenige 100 Meter über dem Meeresspiegel) war ich bald das einzige menschliche Lebewesen zwischen Schildkröten, Schlangen, Eidechsen, Geckos, Rebhühnern, vielen Singvögeln und Milliarden von Insekten. Mühsam suchte ich mir meinen Weg bergan durchs Gestrüpp und war froh, einigen ausgetretenen Kuhpfaden folgen zu können. Doch auch diese hörten bald auf. Im Gewucher von grünen Massen stiess ich aber immer wieder auf Spuren verschwundener Zivilisation: Steinmauern, die sich den ganzen Hang hochzogen, halbzerstörte Brunnen für Mensch und Vieh, dann sogar Grundmauern von Gebäuden. Mir wurde auch bewusst, dass stellenweise Terrassen angelegt worden waren. Und neben Mauerresten wuchs eine ausgewilderte Gartenrose...
Was war geschehen? Hier, etwas von der Küste entfernt, müssen vor nicht allzu langer Zeit noch Dörfer gestanden haben, muss Landwirtschaft und Handwerk getrieben worden sein.
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Dann kamen (grosser roter Pfeil auf der Europakarte) die Touristen. Überall an den Küsten entstanden Hotels und Fremdenverkehrsgewerbe. Arbeitskräfte wurden angeworben, Hotelpersonal, Putzkolonnen, Köche, Friseure, Barkeeper, Serviererinnen, Bademeister, Surfer und Guletbesatzungen, alles, was das Nachtleben so braucht... Und rings um die Hotels wuchsen kleine Geschäfte und Restaurants aus dem Boden. Es wurden jedes Jahr Mengen von Sommerhäusern gebaut, auch für dieses brauchte man Arbeiter. Wo kamen die her? natürlich aus den Dörfern im Binnenland - und übertragen gesehen aus dem ganzen Land, besonders aus dem armen Osten. Aus einfachsten Ziegenhirten wurden so über Nacht Kellner und Bodyguards (unzählige kleine blaue Pfeile aus dem Inland in Richtung Küste).
Der eine Strom - der Fremden, der Gäste -sog also die Einheimischen an und veränderte ihr Leben. Denn natürlich sind Touristen viel leichter anzubauen als Gerste, Wein und Gemüse, viel leichter zu halten als Vieh. Sie kommen im Frühling; ist eine Schicht abgeerntet, kommt die nächste, sie lagern tagsüber regungslos im Sand, werden abends kurz lebendig und lagern dann in den Bettenburgen, überall lassen sie Mengen von Euros. Dann, im Winter braucht keiner sich um sie zu kümmern, völlig selbständig besorgen sie sich durch harte Arbeit das Geld für die nächste Ernte. Man hat eine Weile Ruhe vor ihnen, sehnt sie aber bald schon wieder herbei, weil sie der Quell allen Wohlstands sind.
Das Binnenland aber ist leergesogen, die Dörfer verfallen. Nur die wenige Kilometer vom Strand existieren noch, dort sind die Leute nur noch ein wenig nebenbei mit Garten, Mandarinenplantagen und dem Federvieh beschäftigt, hauptberuflich aber sind sie Dolmuşchauffeure, Sicherheitspersonal oder Dönerci.
Auf diese Weise hat die eine Welle der Wanderung andere ausgelöst und die Geographie und Wirtschaft grundlegend verändert.
Solche Strömungen und Migrationen finden überall auf der Erde in verschiedener Weise und aus unterschiedlichen Ursachen heraus statt. Man könnte sie auf der Karte einzeichnen und dabei über sie nachsinnen. Die Völkerwanderung. Die Mongolenzüge. Die Auswanderung in die neue Welt. Die Gastarbeiterzüge. Die Fussballweltmeisterschaften. Die Dokumenta in Kassel. Der Gang zum Zeitungskiosk. Die wachsende Mobilität der Arbeitslosen. Die Raubzüge der US-Soldateska......
In den Bergen aber breitet sich die unerzogene Natur wieder aus, erobert weite Gegenden zurück und überwächst alle Spuren unserer Anwesenheit. Ich setze mich schwitzend auf einen Felsblock und betrachte die roten Sterne von Gladiolus Illyricus. Aus ihr züchteten vor tausenden von Jahren die Wissenden unsere Gartengladiole.