Vor langer, langer Zeit - so Ende der 70er - tauchte bei mir im Büro eine rothaarige Ungarin mit langen, gezackten, bunten Kleidern auf. Als junger Psychologe schloss ich messerscharf: Die Alte ist total verrückt! Sie textete mich ganz im Stil einer Manikerin nieder: Sie sei eine glühende Verehrerin von Erich Fromm und warf mir vor, warum es noch keine Vereinigung für diesen großen Denker gäbe. Es war mehr eine Anweisung als ein Wunsch, dass ich ihr sofort bei der Gründung so eines Vereins helfen solle! Es sei eine Schande, dass gerade in Wien die Wichtigkeit dieses Anliegens nicht erkannt werde. Gut, auch ich hatte "Die Kunst des Liebens" und "Haben oder Sein" gelesen. Das war irgendwie Kult damals wie Hesses "Siddharta". Ilona brachte auch Bücher von Fromm mit, die sie textlich von vorn bis hinten mit bunten Farbstiften unterstrichen hatte...

Ehrlich gesagt, verband mich mit Fromm nicht viel. Meine Lust, bei der Unternehmung aktiv zu werden, hielt sich in Grenzen. Andererseits gefiel mir diese wilde Gestörte schon mit ihrem sprühenden Enthusiasmus.

Und so sagte ich zögerlich zaudernd zu! Wir trafen uns dann ein paar Mal. Sie bestand daruf, dass die Gründungsveranstaltung innerhalb eines Monats stattfinden müsse. Worauf ich dagegen hielt, dass ich nur mitmache, wenn der nötige Rahmen gefunden werde. Ich schlug den Festsaal der Universität vor. Überraschender Weise reagierte die Quästur irgendwie ehrerbietig und reservierte den Termin. Außerdem verlangte ich, Herrn Prälat Ungar - es war bekannt, dass er mit Erich Fromm einmal über den Vierwaldstätter See gerudert war - als Ehrengast einzuladen. Er sagte, er fühle sich geehrt und werde kommen! Als Begrüßungsredner bat ich meinen langjährigen Mentor, Prof. Frederick Mayer, den großen Humanisten und bekannten Redner in den USA, um Hilfe. Auch er sagte zu. Die Festrede sollte der Philosoph Prof. Arnold Keyserling halten. Ich besuchte ihn zuhause, aber er war etwas ungehalten: "Jetzt gibt es schon die Freud- und eine Jung-Gesellschaft und sie wollen auch noch die Fromm-Vereinigung ins Leben rufen? Gründen sie lieber die Othmar-Hill-Bewegung und wenn die auch noch fromm ist, soll es mich freuen." Sehr deprimiert verließ ich seine Wohnung am Heumarkt. Meine wilde Ungarin war äußerst ungehalten und zwang mich zu einem weiteren Anlauf. Inzwischen hatte ich auf meinem Nadeldrucker grotten-häßliche Einladungen ausgedruckt und verschickt, weil schöne Karten konnten wir uns nicht leisten. Der Veranstaltungstermin kam bedrohlich näher. Innerhalb von wenigen Tagen musste das Programm ja stehen. In meiner Verzweiflung bettelte ich Prof. Keyserling an, dass er wenigstens die Statuten lesen solle. Das tat er dann auch und drei Tage später - am Montag - gab er sein o.k. Der Termin vom Donnerstag darauf hielt!

Inzwischen war ich sicher, dass dieses "Gründungsfest" ein Riesen-Flop werden würde und teilte der Dame in Rot mit, dass ich mich nun ausruhen müsse... Am Veranstaltungstag schlich ich mich möglichst unauffällig in die Nähe des Festsaals und erwartete gähnende Leere. Jedoch ich konnte meinen Augen nicht trauen: Die Garderobe und die Eingangshalle waren gesteckt voll von festlich gekleideten Menschen. Es herrschte eine erhabene, festliche Atmosphäre. Woher all die Menschen kamen, war mir schleierhaft. Ich hatte doch nur 240 Karten verschickt. Der Festsaal berstete vor Gründungs-Willigen. Herr Prälat Ungar saß als Ehrengast auf einem Ehrenfauteuil in der ersten Reihe. Hinter mir erkannte ich einige Anarchisten aus der Arena-Bewegung. Zwischen drinnen befanden sich nur "Gutmenschen" wie ich. In den ersten Reihen hatten sich mindestens ein Dutzend Indianer-Häuptlinge mit Federschmuck eingefunden. (Zur Erklärung: Keyserling wob in seiner "Arbeit am Rad" sowohl die acht Himmelsrichtungen mit den 12 Sternzeichen ein und kombinierte damit auch die neun Zeichen des chines. Schafgabenorakels I Gings und indianische Wissen. Die "native americans" gaben ihm daher auch den Namen "Großvater Frosch", was ich immer sehr liebevoll empfand.)

Fred hielt die inspirierende Begrüßungsrede, Keyserling versetzte uns mit seinem guru-artigen Bass in Verzückung und die Gründungsveranstaltung wurde zum vollen Erfolg.

Gegründet wurde die Erich-Fromm-Gesellschaft übrigens nie. Ilona hatte der Witwe Fromms einen bunt unterstrichenen Brief geschickt, so dass diese die missbräuchliche Verwendung des Namens ihres verstorbenen Gatten untersagte. Na, ja, probieren wird man es ja dürfen... Ich gründete Othmar Hills Bewegung und die ist fromm.

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Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 28.06.2016 09:53:31

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